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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

528–530

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Brandner, Tobias

Titel/Untertitel:

Einheit gegeben - verloren - erstrebt. Denkbewegungen von Glauben und Kirchenverfassung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 328 S. gr.8 = Kirche und Konfession, 39. Kart. DM 94,-. ISBN 3-525-56543-7.

Rezensent:

Günther Gaßmann

Die Zürcher Dissertation (WS 1994/95) nimmt sich das Zentrum der Arbeit der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) vor: das Bemühen um die Einheit der Kirche. Der zeitliche Rahmen der Arbeit ist mit der Kommissionssitzung von Faith and Order 1967 in Bristol und der Weltkonferenz 1993 in Santiago de Compostela abgesteckt. Das ihr zugrunde liegende Material sollen besonders die Texte von Faith and Order sein. Bereits in der Einleitung läßt B. erkennen, daß er eine eingehende und kritische Analyse anstrebt. Er will nach den "Tiefenstrukturen" der Einheitsdiskussion suchen unter folgenden Aspekten: fundamentalethischen (Umgang mit "dem Anderen" der Einheit, mit Vielfalt), systematisch-theologischen, konfessionskundlichen, kommunikationstheoretischen ("Auseinandersetzungskultur" und "Auseinandersetzungsstrategien" der Kirchen), fundamentaltheologischen (Einheit und Wahrheit) und ästhetischen (Ausdrucksformen eines theologischen "Gestaltungszwanges") (15-17).

Mit einer "zum Strukturalismus neigenden Textanalyse" will der Vf. die gemeinsam erarbeiteten ökumenischen Texte neu lesen, um mit Hilfe einer solchen "relecture" die "textimmanenten Strategien für Einheit wie die Spuren von Differenz" sowie die vielfältigen und oft einander widersprechenden Motive, Interessen und Positionen im Einheitsdiskurs offenzulegen. Diese Relecture soll auf eine "außenperspektivische Begründung oder Widerlegung der Rede von Einheit" verzichten, sie soll nicht von einer vorgängigen Norm oder einem Kriterium zur Beurteilung der Einheitskonzeptionen ausgehen (19 u. 21). Vielmehr soll sie einer "nacherzählenden tiefengrammatischen Klärung des Einheitsdiskurses" dienen (19). Das ist wahrlich ein anspruchsvolles und methodologisch interessantes Programm.

In Teil 1 der Arbeit "Entwicklungen, Begriffe und Ebenen der Einheitssuche" werden zunächst als historischer und thematischer Rahmen für die folgenden Ausführungen Überblicke gegeben über die ökumenischen Einheitsbemühungen bis 1967 und dann über die Arbeit von Faith and Order zwischen 1967 und 1993. Hier zeichnet sich bereits das besondere und von ihm auch selbst unterstrichene Interesse des Vf.s an der Frage des Verhältnisses von Einheit und Verschiedenheit ab. Dem schließen sich Beschreibungen und vor allem eingehendere Analysen der wichtigsten Konzepte christlicher Einheit an sowie, als weiterer Schritt, eine Untersuchung der Voraussetzungen, Verfahrensweisen, Formen und Zielsetzungen des Bemühens um Einheit.

Teil 2 ("Theologische Motive der Einheitssuche") identifiziert und analysiert die theologischen Orientierungen und Akzentuierungen der Einheitsbemühungen in der Form christologischer, pneumatologischer, trinitarischer Motive, der "eucharistischen Verdichtung" der Einheit, des geschichtstheologischen Rahmens und der "heilsgeschichtlichen Vermittlerrolle der Kirche" in ihrer Beziehung zur Welt als Zeichen, Sakrament, Instrument/Werkzeug oder Träger der Einheit und als Mysterium.

Teil 3 behandelt die "Methodologie des Einheitsdiskurses- Sprachformen der Einheit" und analysiert Formen ökumenischer Kommunikation und Einheitssuche wie Dialog, Konsens und Konvergenz (einschließlich der Frage der Rezeption), Interkontextualität in der Gestalt des Bemühens ("Universalisierungsdrang"), die Kommunikation zwischen den verschiedenen Kontexten (wie auch schon zwischen Kirche und Welt) im geschichtlichen Handeln Gottes zu verknüpfen.

Der abschließende und stark philosophisch geprägte Teil 4 "Zur Metakritik des Einheitsdiskurses" enthält als ersten Schritt die zusammenfassende kritische Stellungnahme des Vf.s Auf der Grundlage seiner kritischen Analysen und mit der Hilfe der postmodernen philosophischen Kritik der Moderne entwickelt er seine These von einer Strukturanalogie zwischen ökumenischer und moderner Rationalität vergleichbaren Ausdrucksformen wie Einheitsmotive, Identitätslogik und Kolonisierung (oder Ausschluß) des Anderen, Exteriorität (Konstituierung von Einheit über ein Zentrum), Geschichtslinearität im Sinne einer universalen Schau der Einheit der Geschichte von Gottes Handeln in der Welt. Das so offengelegte hierarchische, ausgrenzende, zentristische, institutionelle, ekklesiozentrische, universalistische Programm und Verfahren von Faith and Order wird abschließend als kontextuelles Produkt einer partikularistischen abendländischen Rationalität abqualifiziert.

Dennoch möchte der Vf. damit nicht das Ende ökumenischer Einheitssuche dekretieren. Er umreißt abschließend einige Formen "eines anderen Umgangs mit Einheit" ausgehend von einem "dezisionistischen Sprung in ein kontingentes Rationalitätsgefüge", der mit Ironie und Leichtigkeit die Unmöglichkeit eines umfassenden Einheitsdiskurses und die eigene Kontextualität annimmt. Verbunden damit wären Selbstbeschränkung (Verzicht auf Definition von Grenzen und Zentrum der Einheit), Solidarität, Pragmatisierung der Einheitsbemühungen, Freude an den Unterschieden, Verzicht auf universale Ausweitung des eigenen Sprachspiels im Rahmen einer doxologischen Orientierung und Bejahung paradoxer Sprachformen, die mit darauf hindeuten, daß Bemühungen um Einheit keine heilsrelevante Dignität besitzen, sondern als menschliches Experiment erscheinen.

Meine grundsätzliche Kritik (eine Einzelkritik wäre auch auf 10 Seiten nicht zu leisten) am vorliegenden Buch besteht darin, daß der Vf. sich nicht an seine eigenen Versprechungen gehalten hat und seine Darstellung der einzelnen Teile bereits durch die Kriterien der abschließenden Kritik bestimmt sein läßt. Entsprechend geht er mit einer gewissen "Leichtigkeit" mit den Texten um, benutzt sie oft nur als (nicht immer stimmiges) Sprungbrett für seine weitergehenden Analysen und kritischen Folgerungen, die über längere Strecken auch ohne Textbezüge auskommen.

Dies alles endet auf einer höchst abstrakten Ebene der Reflexion ("Ökumenische Bemühung um Einheit scheint sich durch ihren spezifischen Diskurscharakter erst das Problem, das sie zu lösen versucht, zu schaffen", 280), die nichts mehr von der historischen Realität einer gespaltenen Christenheit ahnen läßt und die darum auch mit einem privaten, gemütlichen Ökumenismus am Kamin endet. Inmitten dieser "self-fulfilling prophecy" finden sich dann aber auch viele interessante und aufschlußreiche und darum bedenkenswerte Beobachtungen und Überlegungen eines wohlinformierten und hochintelligenten Theologen.