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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1256 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mildenberger, Irene, u. Wolfgang Ratzmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Klage ­ Lob ­ Verkündigung. Gottesdienstliche Musik in einer pluralen Kultur.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. 250 S. 8° = Beiträge zu Liturgie und Spiritualität, 11. Kart. Euro 16,80. ISBN 3-374-02229-4.

Rezensent:

Klaus Danzeglocke

Die Ergebnisse der kultursoziologischen Arbeiten (G. Schulze, P. Bourdieu u. a.) und der kulturtheologischen Diskussionen (z.B. in der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland »Räume der Begegnung«) haben die Überlegungen zu Theorie und Praxis der Kirchenmusik entscheidend gefördert. Das Liturgiewissenschaftliche Institut der VELKD in Leipzig hat die Fragestellung auf die Problematik der gottesdienstlichen Musik fokussiert und zu einer Tagung mit Theologen und Kirchenmusikern eingeladen; die Manuskripte der Vorträge sind in diesem Buch gesammelt und durch weitere Beiträge ergänzt.

In ihrem Vorwort haben die Herausgeber Mildenberger und Ratzmann die Problematik in drei Fragenkreisen umrissen: 1. »Wie soll Gottes Lob, wie soll Klage und Verkündigung Š musikalisch laut werden, wenn in einer pluralen Gesellschaft jeder andere Töne, andere Rhythmen, andere Instrumente wählt?«; 2. »Gibt es Kriterien für die Angemessenheit von Musik im Gottesdienst?«; 3. »Kann Š der Gottesdienst ein Ort sein, an dem Milieugrenzen überschritten werden?« (5)

Zu 1. Alle Autoren verbindet die gemeinsame Überzeugung: Musik gehört als Medium religiösen Ausdrucks in den Gottesdienst und gewinnt sogar zunehmend an Bedeutung (so z. B. P.Bubmann, 14). Ebenso verbindet die Autoren die Einschätzung, die Pluralisierung der kirchlichen Musikkultur mit ihren ethischen und ästhetischen Implikationen lässt sich nicht rückgängig machen; im Gegenteil: Sie ist wahrzunehmen und als Bereicherung produktiv zu nutzen. Auch widerspricht die Aufnahme des Milieubegriffs gerade der absoluten Individualisierung (»jeder andere Töne«, s. Fragenkreis 1). Die verschiedenen Autoren machen die Chancen der Pluralisierung deutlich: In der gottesdienstlichen Gemeinde wird jeder in seiner kulturellen Prägung akzeptiert.

Zu 2. Bubmann (16 ff.) referiert fünf Angebote für Kriterien aus der Theologiegeschichte und aus der gegenwärtigen Theologie. 1. Die richtige Wirkung ist entscheidend (Katholisches Lehramt, Calvin); 2. Entsprechung zum Geist der Liturgie bzw. zum liturgischen Heilsgeschehen (II. Vaticanum, Ratzinger); 3. Rekurs auf eine musikalische Schöpfungsordnung (Albrecht, Söhngen); 4. Musik als Ausdruck evangelischer Freiheit und Verbreitung des Evangeliums (Luther); 5. Freiheit zur eigenen situationsbezogenen Entscheidung (Krummacher). Bubmann selbst schließt sich der integrativen Position von U. Lieberknecht an und nennt als Kriterien: Zeitgemäßheit, Pluriformität, Kommunikabilität, Zielgruppenorientierung, Nutzen für die Gemeinde, pneumatologischer Vorbehalt.

Der Musikpädagoge H.-J. Feurich wählt als zentralen Begriff »Authentizität« und interpretiert ihn als unmittelbare Lebensäußerung. Er beschreibt Chancen und Defizite von Authentizität im Hochkulturschema, im Trivialschema und im Spannungsschema (Pop/Rock/Folk). M. Schmeding und A. Lang variieren den Begriff der Authentizität. Der Organist Schmeding denkt über die freie Orgelimprovisation im Gottesdienst nach und nennt als zentrales Kriterium: Moment des Unmittelbaren in der Verbindung von eigener Gotteserfahrung des Organisten mit Situation, Bedürfnissen, Gedanken der Zuhörerschaft (113 f.). Der Popularmusiker Lang nennt als zusammenfassendes Kriterium »Musik, die mich berührt«, und gliedert dies auf: Musizierbarkeit, Aktualität, Kommunikavität, zielgerichteter Einsatz.

G. Kenner nimmt in seinem Beitrag den von M. Meyer-Blanck in die liturgische Diskussion eingeführten Begriff »Inszenierung« auf und bestimmt Stimmigkeit und Relevanz (95) als Kriterien. Die Begriffe »Inszenierung« und »Dramaturgie« des Gottesdienstes ermöglichen ihm eine Feinjustierung der Funktionen von Kirchenmusik in den jeweiligen Strukturblöcken des Gottesdienstes.

Zu 3. Die spannendste Fragestellung ist die dritte: »Ist das Zusammenbleiben der kulturell verschieden Geprägten überhaupt möglich und wünschenswert?« (Bubmann, 15) Das Buch vertritt eine eindeutige Tendenz: Eine radikale Pluralisierung ist aus christologisch-ekklesiologischen Gründen nicht zu empfehlen. Ästhetische Richtungsgemeinden entsprechen nicht der Einheit des Leibes Christi (so Ratzmann in seinem Nachwort, 241). Eine Kirche, die die kulturellen Unterschiede wahrnimmt und akzeptiert, wird immer auch nach dem Gemeinsamen und Verbindenden fragen. Das ist nur in einem geschwisterlichen Klärungs- und Verständigungsverfahren, in einem konziliaren Prozess möglich (Bubmann, 30). Ähnlich plädiert W. Herbst für eine milieuverbindende Kirchenmusik: »Wir lassen es nicht bei den von den Soziologen festgestellten Differenzen bewenden, sondern mühen uns um ein Gespräch, um Meinungs- und Erfahrungsaustausch und um die unvoreingenommene Begegnung mit dem ganz Anderen.« (69) Dann können Luther-Lieder und Simplesongs einander ergänzen (B. Martini, 203 f.)

Das Buch enthält weiterhin Reflexionen von kirchenmusikalischer Alltagspraxis (Singen, Gospel, Kinder- und Jugendchor, avantgardistische Kirchenmusik), die viele Anregungen zum Weiterdenken geben.