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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1252–1254

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Iwand, Hans Joachim

Titel/Untertitel:

Predigten und Predigtlehre. Bearb., kommentiert u. m. Nachworten versehen v. A. Grözinger, B. Klappert, R. Landau u. J. Seim.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2004. XII, 567 S. gr.8° = Hans Joachim Iwand Nachgelassene Werke. Neue Folge, 5. Geb. Euro 39,95. ISBN 3-579-01849-3.

Rezensent:

Werner Brändle/Klaus Bröhenhorst

Als auf Wunsch von Freunden G. Ebeling 1995 seine Predigten aus den Jahren 1939­1945 herausgab, schrieb er im Nachwort: »Dem gegenwärtigen Leser ­ auch mir selbst! ­ klingen diese Predigten z. T. fremd: theologisch steil, der Sprache heiliger Schrift unbekümmert sich bedienend, von Anklängen an Bibel und Gesangbuch voll, weniger diskursiv reflektierend als vielmehr mit Nachdruck versichernd und bekennend, gelegentlich sogar verdächtig vollmundig.« (G. E., Predigten eines ðIllegalenÐ, Tübingen 1995, 162) Diese Selbsteinschätzung Ebelings im Rückblick auf seine Predigten dürfte auch das Urteil eines heutigen Lesers der Predigten I.s nach mehr als zwei Generationen sein. Die Predigten I.s aus den Jahren 1935­1958 und seine Predigtlehre aus dem Jahre 1937 sind (nur) als ein wichtiges Zeitdokument zu werten ­ nicht mehr und nicht weniger. Man kann bzw. sollte in einer solchen Sprache heute nicht mehr predigen. Jedoch: Der Mut, mit dem I. Glaubensaussage und Lebenssituation in ein brisantes Verhältnis zueinander setzte, kann auch heute noch beeindrucken. Seltsam zeitenthoben, situationsvergessen und wohl kaum die Intention I.s treffend, formulieren die Herausgeber im Vorwort: »In der Predigt spricht sich die Theologie von ihren schulmäßigen Voraussetzungen frei und spricht den Menschen, die zuhören, Gottes Wort, seine Verheißung und sein Gebot, sein Urteil und seinen Trost zu. In diesem Sinn hat Hans Joachim Iwand gepredigt.« (VII) Unser Eindruck nach der Lektüre der Predigten: I. hat selbst (!) gepredigt; vielfach dogmatisch und ðder Sprache heiliger Schrift unbekümmert sich bedienendÐ ­ aber er hat nicht die Theologie sprechen lassen, sondern das Evangelium selbst klar, markant und authentisch verkündigt; in ðdiesem Sinn hat Iwand gepredigtÐ.

Der Band bietet 63 Predigten (darunter auch Kasualpredigten und Andachten) über einen Zeitraum von gut 20 Jahren; beigefügt ­ und das macht eine Korrelation der beiden Teile spannend­ ist die Nachschrift eines unbekannten Hörers aus dem illegalen Predigerseminar Bloestau (Ostpreußen) der Homiletik- Vorlesung I.s von 1937. Die editorischen Hinweise für beide Teile sind sachgemäß, plausibel und machen einen zuverlässigen Eindruck. Da nicht alle Predigten vom Autor datiert überliefert sind, entschlossen sich die Herausgeber, die Predigten in der Reihenfolge des biblischen Kanons anzuordnen. Dies Verfahren ist einerseits verständlich und verschafft Klarheit; andererseits wäre­ um den Dokumentarcharakter des Bandes deutlicher hervorzuheben ­ eine zeitliche Abfolge innerhalb der Gliederung in Predigten (Nr. 1­40), Totengedenken (Nr. 41­48), christliche Feste (Nr. 49­60) und in ðPredige das WortÐ ( Nr. 61­63) u. E. sehr hilfreich gewesen. Die gewählte Anordnung vermittelt den Eindruck, als wären I.s Predigten zeitlos und nicht auch stark zeitbedingt. Da jedoch in den editorischen Hinweisen eine Datierung angegeben wird, wird dieser Mangel einigermaßen wettgemacht.

Unterzieht man die Predigten einer theologischen Würdigung, so fällt neben dem schon erwähnten dogmatisch geprägten Sprachstil der ­ für einen Lutheraner verständliche ­ durchgehende Schematismus von Gesetz und Evangelium auf, von Gottes Werk am nichtswürdigen, sündigen und verlorenen Menschen. I. treibt die Verlorenheit des (!) Menschen so weit, dass die Rettung fast schon wie ein Automatismus erwartet wird. In einer Pfingstpredigt zu Röm 2,12­29 aus dem Jahre 1943 liest sich das so:

»Sie waren am Ende, sie waren nicht mehr so gewiß, daß sie sagen konnten: das müssen wir tun. Sie hatten aufgehört, Gesetzesmenschen zu sein, sie waren an der Grenze angelangt, sie hatten wirklich den Geist begriffen. Und dann sagt Petrus: Tut Buße! Kehrt um! Und lasst euch rufen zur Vergebung der Sünden. Das ist Pfingsten, dieses Zerbrochensein eines Menschen. Diese Erfüllung der Verheißung: den gebrochenen Stab bricht er nicht. Das ist Pfingsten.« (194)

Oder in einer Passionspredigt zu 1Kor 15,3­5 (1950) heißt es:

»Einen Gott haben, an ihn glauben, das heißt: Gott Recht geben auch im Blick auf das Grab, dem wir entgegengehen. Das heißt über dem Tale unseres eigenen Grabes die Bergeshöhe erstrahlen sehen, auf der das Siegeszeichen des Auferstandenen leuchtet! Das heißt wissen, dass wir erst dort am Ziel sind, und dass wir darum so tief herunter müssen, damit wir so hoch erhoben werden.« (308)

Dieser Schematismus impliziert einen sehr ausgeprägten theistischen Gottesbegriff, und es stellt sich die Frage, ob ðGottÐ bei I. der andere aus Prinzip ist ­ nicht als Überraschung, Entdeckung, Unterbrechung!? Solche Anfragen sind aus heutiger Perspektive formuliert ­ wohl wissend, dass zu Zeiten des Nazi-Regimes nur die Predigt eines ðstarken GottesÐ angesagt war: ðnemo contra deum nisi deus ipseÐ (J. W. von Goethe). So nimmt es auch nicht Wunder, dass I. vom ðglaubenÐ fast nur substantivisch redet und deshalb bei aller rhetorischen Entschlossenheit seiner Verkündigung weitgehend abstrakt bleibt. Noch 1958 heißt seine Konkretion zum ðglaubenÐ: »Glauben heißt aus der Mitte heraus leben, wo Jesus steht.« (164)

Die Homiletik-Vorlesung I.s umfasst knapp 100 Seiten (419­507) und ist in sechs Kapitel unterteilt: 1. Beauftragung zur Predigt, 2. Immer währende Verkündigung, 3. Verkündigung und Gemeinde, 4. Erwählung und Anknüpfung, 5. Predigt als Kampf: Zeichen und Wunder und 6. Formen der Verkündigung. Deutlich wird, dass I. diese Vorlesung nicht stringent durchgearbeitet und für eine Veröffentlichung vorgesehen hat; es sind Anweisungen für Vikare, die sich in einer Notsituation als Boten Gottes verstehen dürfen und sollen.

A. Grözinger schreibt im Nachwort zu I.s Homiletik, sie sei eine »dezidiert theologische Homiletik, das verbindet ihn mit der Dialektischen Theologie« (518). Dies dürfte zutreffend sein; dass daraus jedoch eine »eigentümliche Bindung der Predigt an die Welt« (518) folge, dürfte eine Fehlinterpretation sein; viel eher ist bei I. eine christologische Bindung an das »Wort vom Kreuz« intendiert. Deshalb kann I.s Homiletik auch nicht »bescheiden« (so Grözinger, 519) genannt werden. Sicher ­ eine ðtheologia crucisÐ ist in I.s Homiletik der ðrote FadenÐ, aber gerade damit meint I. keine Bescheidenheit, denn die theologia crucis ist für ihn und für die Welt die Wahrheit und damit das Schibboleth jeder wahren Verkündigung. Und diese geschieht da, wo vom Ereignis Jesu Christi erzählt und berichtet wird. Deshalb spricht er vom dreifachen Charakter der Predigt: Sie ist Kerygma, sie ist Paraklese und sie ist Didache (445). Damit korreliert er die besonderen Formen der Lehrpredigt, der Paränese und der prophetischen Predigt. Interessant wäre sicher, die Predigten von der Homiletik her zu lesen und mögliche Differenzen aufzudecken; mit Mühe wird man dabei u. a. seine homiletische Regel, »alles was nicht unmittelbar dargestellt werden kann als Erzählung, kann niemals Inhalt der Verkündigung sein« (437), in seinen Predigten eingelöst finden; doch deshalb ist diese Regel nicht hinfällig.

Man kann der Hans-Iwand-Stiftung und den Herausgebern wiederum für diesen sorgfältig edierten Band aus dem Nachlass I.s nur dankbar sein.