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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1233–1235

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Jörns, Klaus-Peter

Titel/Untertitel:

Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum. 2., durchges. u. korr. Aufl.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 412 S. gr.8°. Geb. Euro 24,95. ISBN 3-579-06408-8.

Rezensent:

Horst Georg Pöhlmann

Ein aufwühlendes Buch, das uns alle unausweichlich herausfordert, und ein Allegro furioso für ein neues glaubwürdigeres Christentum! Lautet doch die »Grundthese« des Vf.s: »Lebendiger Glaube ist sich wandelnder Glaube«. Das Buch wagt es daher, vorgepflasterte Wege zu verlassen und neue Wege ins Ungebahnte zu gehen, auszubrechen auch aus den Wortzäunen unserer Theologiesprache mit ihren fürchterlichen Fertigversatzstücken und Schubladenantworten. Vieles überzeugt an den acht Abschieden, die der Vf. fordert. Fragwürdig ist, wie sehr er sich an die Rockschöße der Demoskopie hängt und Meinungsumfragen zum Maßstab seiner Ausführungen macht. Was war nicht schon alles Mehrheitsmeinung in Bevölkerung und Kirche? Es ist ein Schwachpunkt des Buches, dass nicht geklärt wird, was eigentlich noch Norm sein soll für den christlichen Glauben, wenn die Bibel als Norm ausscheidet.

Kommen wir zu den acht »notwendigen Abschieden von überlieferten Glaubensvorstellungen«, die der Vf. verlangt: 1. »Abschied von der Vorstellung, das Christentum sei keine Religion wie die anderen Religionen«. Das Christentum hat keine »Sonderrolle« unter den Religionen.

2. »Abschied von der Vorstellung, die Bibel sei unabhängig von den Regeln menschlicher Wahrnehmung entstanden«, sie sei »die einzige Offenbarungsquelle« und »die einzige Offenbarung Gottes in der Geschichte«. »Deshalb müssen wir andere religiöse Überlieferungen zusammen mit der Bibel in einer großen und universalen Wahrnehmungsgeschichte Gottes sehen und Abschied nehmen von dem Anspruch, die Bibel sei die einzige Basis des Glaubens«, was sie schon deshalb nicht sein kann, weil sie ganz unterschiedliche Theologien enthält. Es gibt also nicht nur einen interreligiösen Pluralismus sondern auch einen innerreligiösen Pluralismus, der durch keinen Generalskopus zugedeckt werden kann. Denn die Wahrnehmungen Gottes sind vielfältig, weil nach der Wahrnehmungstheorie von Viktor von Weizsäcker Wahrnehmung immer ein schöpferischer Akt ist, der sowohl das Wahrgenommene wie den Wahrnehmenden verändert. Eine interessante Theorie, die in der Tat eine entscheidende hermeneutische Rolle spielt, gerade auch in der Bibelauslegung.

3. »Abschied von der Vorstellung, ein einzelner Kanon könne die universale Wahrnehmungsgeschichte Gottes ersetzen«. Diese universale Wahrnehmungsgeschichte Gottes erinnert an die revelatio generalis unserer herkömmlichen Theologie, die freilich an der revelatio specialis als Maßstab zu überprüfen ist, ob sie denn wirklich eine revelatio ist. Dieser Maßstab entfällt beim Vf., weswegen er in Gefahr ist, dem Beliebigkeitspluralismus zu verfallen. Wenn in unseren Gottesdiensten in Zukunft nicht mehr nur über einen Bibeltext, sondern auch über das Gilgamesch-Epos, die Reden Buddhas, die Upanishaden und den Koran gepredigt wird, weiß dann der Mensch noch, woran er sich halten soll im Leben und im Sterben? Dabei stimme ich dem Vf. zu, wenn er meint, die »ganze Wahrheit« (Joh 16,13) gehörte zu den letzten Dingen. Keine Religion hat die ganze Wahrheit, zu der wir alle unterwegs sind. Wir haben nur Bruchstücke von der Wahrheit (1Kor 13,9 f.). Ich brauche also das Bruchstück des anderen bei meiner Wahrheitsfindung.

4. »Abschied von Erwählungs- und Verwerfungsvorstellungen«. Übersieht der Vf. hier nicht, dass die entsprechenden Aussagen in Röm 9 von Röm 11 her relativiert werden, wo von einer Erwählung aller die Rede ist (Röm 11,32)?

5. »Abschied von der Vorstellung einer wechselseitigen Ebenbildlichkeit von Gott und Menschen«.

6. »Abschied von der Herabwürdigung unserer Mitgeschöpfe«. »Theologie darf die Schreckensherrschaft der Menschen über die Tiere nicht rechtfertigen und Tiere nicht von Gottes Zukunft ausschließen«. Der Vf. entwirft eine »Liturgie für die Beerdigung von Haustieren«.

7. »Abschied von der Vorstellung, der Tod sei ðder Sünde SoldЫ. Der Tod ist nicht Strafe für die Sünde. Er gehört zum Leben dazu, ja er ist »der letzte Abschied ins Leben« und das »Tor zu einem anderen Leben«.

8. »Abschied vom Verständnis der Hinrichtung Jesu als Sühneopfer und von dessen sakramentaler Nutzung in einer Opfermahlfeier«. »Die christliche Sühneopfertheologie«, wonach Gott ein Menschenopfer verlangt, um uns zu vergeben, ist falsch und ein »Anachronismus« in der Entwicklungsgeschichte der Opfervorstellung (1Mose 22,1­14). Ob der Vf. nicht die christliche Sühneopfervorstellung mit der Anselmschen verwechselt? Nach Luther und der Konkordienformel (BSLK S. 1030 f.) wird am Kreuz nicht Gott ein Opfer dargebracht, Gott opfert sich selbst ­ in seinem Sohn, mit dem er sich identifiziert und identisch ist. Dadurch wird die ganze Opfervorstellung auf den Kopf gestellt und ad absurdum geführt. Gott ist nicht Objekt, sondern Subjekt der Versöhnung. Gott wird nicht versöhnt, sondern er versöhnt uns (2Kor 5,19). Der Opfertod am Kreuz führt nicht zu seiner Liebe, er kommt aus seiner Liebe. Gott geht aus Liebe zu uns ans Kreuz. Mit diesem Liebestod Gottes am Kreuz steht und fällt das Christentum. Wenn wir die Sühneopfervorstellung aufgeben, geben wir uns selber auf.