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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1220–1222

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Motté, Magda

Titel/Untertitel:

»Esthers Tränen, Judiths Tapferkeit«. Biblische Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. 343 S. m. Tab. 8°. Geb. Euro 50,50. ISBN 3-534-16897-6.

Rezensent:

Andreas Mauz

Magda Motté gehört zu den wenigen, die den Grenzgang zwischen Theologie und Literaturwissenschaft, wie er im Zuge der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung der Fächer zunehmend populär geworden ist, bereits seit Jahrzehnten betreiben. Gemessen daran ist die jüngste Monographie der emeritierten Aachener Germanistin aber eine Enttäuschung. Zusammenfassend lässt sich sagen: M. bearbeitet eine empfindliche Lücke, durch die Weise der Bearbeitung tritt diese aber nur umso deutlicher hervor. Sicher, die Aufgabe, die sie sich diesmal gestellt hat­ eine Darstellung der »Biblischen Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts« ­, ist nicht eben klein. Darüber ist sich auch M. im Klaren, und entsprechend will der Band denn in erster Linie »zeigen, was vorhanden ist« (12). Der ungleich breiteren und besser aufgearbeiteten literarischen Rezeption männlicher Bibelgestalten soll etwas entgegengehalten werden ­ nicht nur in Bezug auf die spektakulären und schönen Heldinnen wie Ester, Judith, Batseba oder Delila, sondern auch bezüglich der unscheinbareren und schmaleren Stoffe jener Mehrheit von Frauenfiguren, die lediglich »als Anhängsel der entsprechenden Männer« (11) Erwähnung finden. Doch ist M.s Interesse, wie die dreifache Zweckbestimmung des Bandes zeigt, nicht nur dokumentarischer Art. Er soll 1. »Nachschlagewerk« sein, 2. eine »Interpretationshilfe«, 3. aber auch »detaillierte Š Analysen und vertiefte Š Studien« umfassen (13). Dieser Intention entsprechend versammelt ein erster Teil Analysen ausgewählter Werke zu einzelnen Gestalten (wobei den ­ viel und kontrovers rezipierten ­ ðSchwellenfigurenÐ Eva und Maria Magdalena umfangreichere Einzelstudien gewidmet werden), während derzweite Teil eine figurbezogene tabellarische Übersicht der literarischen Texte und Hinweise auf Forschungsliteratur bietet.

In beiden Teilen kommt dabei eine Einschränkung zum Tragen, die aus dem Untertitel nicht hervorgeht: Im Zentrum stehen deutschsprachige Texte, während anderssprachige Literatur nur punktuell berücksichtigt wird. Das Spektrum der zur Kenntnis genommenen Autoren bzw. Texte ist erfreulicherweise sehr weit; neben erwartbaren Namen ­ Bachmann (Mirjam), Hochhuth (Judith), Kaschnitz (Eva), Lasker-Schüler, Mann (u.a. Dina, Tamar), Rilke (u. a. Eva, Rut, Maria), Rinser (Mirjam) etc. ­ finden sich auch zahlreiche Hinweise auf unbekannte und ðtrivialliterarischeÐ Werke sowie Texte der ðneuen christlichen LiteraturÐ (Kurz, Marti, Peikert-Flaspöhler, Sölle etc.). Wie im Falle ðwichtigerÐ nicht deutschsprachiger Werke wird auch die Begrenzung des untersuchten Zeitraums frei gehandhabt; wo der stofforientierte Zugriff dafür spricht, werden vereinzelt Texte des 19. Jh.s mit einbezogen. Diese ­ erstmals kenntlich gewordene ­ Materialfülle wird dann, nach einer knappen Erinnerung an die biblische Physiognomie der jeweiligen Frauengestalt, in Form inhaltlich orientierter kurzer Kommentare präsentiert. Abhängig von der Anzahl der literarischen Bearbeitungen einer bestimmten Gestalt folgt M. jeweils deren Chronologie, der Gattungsordnung oder der »Adaptionsart« (15). An der Weise, wie das letztgenannte und entscheidende Moment theoretisch entfaltet wird, zeigt sich exemplarisch die methodische Schwäche des gesamten Bandes. M. unterscheidet drei Formen, wie biblische Stoffe »in der Literatur« präsent sind: 1. in Gestalt »historisierender Paraphrasen« (d. h. traditionelle ðfrommeÐ Bearbeitungen, die sich streng an die biblische Vorlage halten; Saltens Simson), 2. in Form von »Aktualisierung und Problematisierung« (d. h. freie, stärker gegenwartsbezogene Bearbeitungen, die das raum-zeitliche Setting aber unberührt lassen; Heyms Der König David Bericht) und 3. als »Transfiguration und Neuschöpfung« (d. h. Bearbeitungen, die auch die biblische Kulisse preisgeben und nur einzelne Züge, nicht aber eine Gesamtbiographie in eine zeitgenössische Gestalt transponieren; Feuchtwangers Jüdin von Toledo). Den Fragen, die sich an diese Typologie zwangsläufig anschließen, wird nun kaum Rechnung getragen. Wie umgehen mit dem Problem der Trennschärfe? Was bedeutet die Systematik, die ­ um einige Nuancen reduziert ­ der Jesusroman-Forschung entlehnt ist, für die Analyse lyrischer und dramatischer Texte? Trägt sie dem entscheidenden Moment der stark schwankenden, meist aber sehr schmalen Basis des biblischen Stoffsubstrats Rechnung (ðHeldinnenÐ vs. ðStatistinnenÐ)? Folgt das Verhältnis adaptierte Figur/ Adaptionsart einer bestimmten Logik, die allenfalls auch historisch oder konfessionell zu differenzieren ist? Diese und ähnliche Folgefragen werden bei der Einführung der Typologie nicht thematisiert und in der Auswertung bestenfalls gestreift. Mangels triftiger Unterscheidungen bleiben die »Analysen« der literarischen Bearbeitungen denn auch mehrheitlich konturlos. Ihre ermüdende Reihung weist dabei immer wieder ärgerliche Inkonsistenzen auf. Obwohl M. an sich gerade »ironische Distanz zum Stoff«, »überraschende Wendung[en]« und »verblüffende Lösung[en]« (325) als Charakteristika gelingender Adaptionen gelten lässt (weshalb vor allem der transfigurative Zugriff ästhetisch überzeuge, 325), wird die literarische Freiheit doch immer wieder theologisch reguliert und limitiert. Luise Rinser trifft etwa der Vorwurf, dass sie »theologisch Š viele Wünsche offen lasse«, da sie sich für exegetische Finessen (»synoptische Tradition[,] Sonderstellung der johannäischen Schriften«, 258) nicht interessiere. Und wenn M. fordert, »das verunstaltete Eva-Bild positiv [zu] verwandeln« (33), wird nicht nur die historisch-kritische Exegese, sondern der biblische (Prä-)Text selbst ­ bzw. ein implizites ðrichtigesÐ Eva-Bild ­ zum Maß der literarischen Um- und Fortschreibung erklärt. Das unzureichend geklärte Problem, wie Theologie und Literatur(-wissenschaft) im Fall literarischer Bibelrezeption ins Verhältnis zu setzen sind, führt an einer Stelle absurderweise gar zu einer Infragestellung ihres eigenen Unternehmens.

In den Schlussbemerkungen zum Magdalena-Kapitel heißt es: »Nichts wird mehr deutlich vom biblischen Bezug. Š Wollte man der Konzeption der hier vorgelegten Untersuchung ðBiblische FrauengestaltenÐ ganz streng nachgehen, gehörten diese Stücke nicht in den Zusammenhang, denn eine Magdalena dieser Art kennt die Bibel nicht.« (269) An anderer Stelle (239 f.) wird nicht nur moniert, dass Agnes Miegel »das Bild der biblischen Frau [Magdalena]« »in unbeschreiblicher Verkitschung Š entstellt«, darüber hinaus ist von der »literarischen ðVergewaltigungÐ dieser biblischen Frauengestalt« die Rede. Deutlich ist: Die kommentierende Inventarisierung dessen, »was vorhanden ist«, erfolgt nach Maßgabe massiver, jedoch nicht explizierter ästhetischer, moralischer und theologischer Prämissen. M. verfährt weniger analytisch als normativ. Entsprechend führt etwa der nicht nur im genannten Fall ­ legitimerweise ­ auftretende ðKitschÐ-Befund nur zur Verurteilung der betreffenden Texte. Dass gerade ðKitschÐ (oder allgemeiner: nicht innovative, nicht ironische, auf »überraschende Wendungen« etc. verzichtende bibelnah-erbauliche Adaptionen) einen zentralen Rezeptionstypus biblischen Erzählguts darstellen könnte, gerät nicht in den Blick. Am unerträglichsten äußert sich der penetrant wertende Gestus, wenn die Kommentierung bestimmter als Defizit wahrgenommener Eigenschaften eines Textes in wohlmeinende Ratschläge mündet, wie diese zu vermeiden gewesen wären (geradezu grotesk im Falle der Ausführungen zu Lilian Faschingers Magdalena Sünderin, 268).

Gerade aus dem Mund einer Literaturwissenschaftlerin nehmen sich aber auch eine Reihe weiterer Vorstellungen recht irritierend aus, wobei auch sie sich teilweise der starken Norm-Orientierung verdanken. Weshalb stehen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (Rinser, Weil, Hochhuth), »der große Roman und das überzeugende Drama über eine biblische Frauengestalt noch aus« (323)? Muss es die denn geben? (In ähnlich problematischer Weise wurde in den 1990er Jahren diskutiert, wer denn wohl den definitiven »Wende-Roman« geschrieben habe.) Und wenn, was zu honorieren ist, auch populärwissenschaftliche Publikationen in die Bestandsaufnahme Eingang finden, weshalb werden sie dann nicht als solche diskutiert? Wozu soll man ihnen ausführlich vorwerfen, was sie gerade auszeichnet und auch rezeptionsanalytisch interessant macht, nämlich »Unwissenschaftlichkeit«, »Eklektizismus« etc. (259)?

Erstaunlich ist ferner, dass M. angesichts der extensiven Debatten um den hermeneutischen Status des Autors und dessen Intention ebendiese vollkommen ungebrochen als interpretationsleitende Perspektiven zur »Entschlüsselung« heranzieht (so ihr diesbezügliches Lieblingswort und ­ fragwürdiges ­ Ziel; 113.250.251 u. ö.). In ähnlicher Weise wird man auch theologisch an einigen Stellen rückfragen wollen und sich nicht mit dem vielfach unterstellten Gemeinsinn (Signalwort: »bekanntlich«) zufrieden geben. So dürfte u. a. etwa strittig sein, dass es in den biblischen Geschichten »bekanntlich um Urmuster menschlicher Verhaltensweisen und Konflikte [geht], wie sie zu allen Zeiten vorkommen« (81). Dass M. in formaler und inhaltlicher Hinsicht eben die »patriarchalische« (11) bzw. »androzentrische« (323) Tradition fortschreibt, aus deren unheilvollem Schatten (der über den biblischen Texten und über Teilen deren literarischer Rezeption gleichermaßen liege) sie doch gerade hinaus will, ist vermutlich die tragischste der zahlreichen Inkonsistenzen der Untersuchung (»die weibliche [Endung ist] stets mitgedacht«, 14; »die Waffen einer Frau, die Verführung«, 102; »Schönheit und Anmut« als die »Mittel Š einer Frau«, 207; »Das weibliche, das mütterliche Prinzip Š könnte Š einen besänftigenden Einfluss auf männlichen Fanatismus und Macht ausüben.«, 328).

Die kurze und syntheseschwache »Auswertung« macht schließlich noch einmal klar deutlich: Gerade der Umfang des Projekts hätte erfordert, dass der methodische Zugriff, die Frage, wie Analyse und Darstellung literarischer Bibelrezeption in diesem Fall sinnvoll verfahren könnten, präziser geklärt wird. So aber sind Durchführung und Ergebnis unbefriedigend, und dies auch gemessen an der erklärten Absicht, ein Überblickswerk vorzulegen. Das Verdienst M.s liegt in erster Linie im Dokumentarisch-Bibliographischen. Mit M. wird man daher hoffen, dass nun andere das Thema aufgreifen (9) ­ anders aufgreifen ­, vielleicht auch angeregt durch den in Aussicht gestellten Quellenband (13).