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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1217–1219

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Rainer M.-E., Marx, Bernhard, u. Gerlinde Strohmaier-Wiederanders [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Zwischenreich der Bilder.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. 282 S. m. Abb. 8° = Erkenntnis und Glaube, 35. Kart. Euro 16,80. ISBN 3-374-02091-7.

Rezensent:

Hans Georg Thümmel

In diesem Sammelband aus der Arbeit der Evangelischen Forschungsakademie ergibt sich eine große Spanne dessen, was »Bild« meinen kann: Vorstellungen, Metaphern, Welt- und Menschenbilder, aber auch angefertigte (gemalte) Bilder. Je nach Ansatz und Sachbezug, je nachdem, ob es mehr um geistige oder um künstlerische Bilder geht, sind die Wertungen und die Akzentuierungen sehr unterschiedlich.

Von G. Boehm wurden Ausführungen über den inneren Widerspruch des Bildes und über das Aufscheinen des Nicht-Sichtbaren nachgedruckt. J. Wohlmuth führt an Levinas ein Stück Seinsphilosophie vor, die sich auch mit dem Bild auseinander setzt, an das von vornherein Forderungen gestellt werden, die es nicht erfüllen kann, was zu einer Abwertung führt. J. Ebach versucht, die Einheit der Sinne aus dem Alten Testament zu erweisen. Die Wendung von der Kunsthistorik zur Bild-Anthropologie will E. Nordhofen zu einer religiösen Zeichentheorie ausweiten, und J. Splett reflektiert im Ineinander verschiedener Bildbegriffe die Möglichkeit, dass Transzendenz sichtbar wird. B. Hildebrandt interpretiert im Anschluss an Pannenberg die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Gegensatz zur Selbstkonstitution wie zur Konstitution des Menschen durch die Gesellschaft als Verwiesensein auf Transzendenz. R. Hoppe-Sailer und B. Marx beschreiben den Wandel in der Entstehung der modernen Kunst. G. Strohmaier-Wiederanders stellt an Beispielen Themen der modernen Bildkunst vor und zählt als solche u. a. auf: Person, Gewalt, Traum, Frauen, Sinnlichkeit, Tod. Dies sind ja auch schon immer bevorzugte Themen der Bildkunst gewesen, und vielleicht hätte etwas deutlicher gesagt werden sollen, worin das Neue besteht. Kl. M. Meyer-Abich sieht in der Wahr-Nehmung echter Kunst das Wesen, die Idee der Dinge erfasst. Chr. von Braun handelt über die Beziehungen in den Vorstellungen vom Sozialkörper und vom physiologischen Körper. Und schließlich handelt H.-J. Schmidt über die Formel als Bild für den Mathematiker. R. M.-E. Jacobi hat dazu eine »Einführung« geliefert, die keine solche, sondern eine Abschreckung ist. Die Anstreichungen der Rezensenten, die das Buch vor mir in der Hand hatten, enden bereits hier. Ich hatte den gleichen Wunsch, abzubrechen.

Der Band konfrontiert mit einer Fülle von Problemen, von denen hier nur die wichtigsten berührt werden können. Dass nicht gesagt ist, was eigentlich ein Bild ist und dass über sehr verschiedene Arten des Bildes gehandelt wird, gibt dem Inhalt etwas Schwebendes. Dass Geahntes in Wortspielen artikuliert wird, erhöht nicht die logische Eindeutigkeit. Oft ist die Sprache schon paradox: »Realisierung der Irrealität« (68), Veranschaulichung der Unaussagbarkeit (40), »anwesende Abwesenheit« (25) etc. Wenn Schatten nicht »Fehlen des Lichtes«, sondern »Bezeugung des verborgenen Leuchtens« ist (54, Anm. 5), dann ist alles möglich. Die Absage an feste Begriffe und Definitionen verleiht dem Ganzen einen essayistischen Charakter.

Zwei Motive gehen ineinander: Einmal ist das Bild allgemein das gegenüber der Wirklichkeit Beschränkte, zum andern geht es speziell um eine Kritik des neuzeitlichen (und mit der Moderne überwundenen) künstlerischen Bildes, das die Aussage verkürzen soll. Hauptthema ist somit der Übergang zur »Moderne«, wobei dann vor allem die so genannte »klassische Moderne« im Blick ist. Die Bestimmungen dessen, was »herkömmlich« und was »völlig neu« sein soll, sind verschieden.

Wenn von der Erkenntnisform des Bildes oder seinen Erkenntnismöglichkeiten gesprochen wird (40.169.174), bleibt offen, wer der Erkennende, was das Erkannte ist und was das Bild damit zu tun hat. Wenn der Weg »von der Nachahmung zur Hervorbringung der Wirklichkeit« führen soll (41), was ist das dann für eine Wirklichkeit? Oder geht es darum, dass ein Künstler sein Welt- und Daseinsverständnis artikuliert? Geht es um Information eines anderen über ein eigenes Erleben?

Das Bild, so doch mindestens teilweise die Forderung, soll Transzendentes oder Transzendieren zur Erscheinung bringen. Ersteres wird freilich sehr verschieden bestimmt, bei Meyer-Abich ist es das Wesen, die Idee, das Göttliche in den Dingen, sonst auch das Unsagbare, Gestaltlose, Nichtsichtbare (43). Hat Kunst dann Offenbarungscharakter?

Der Umgang mit den Ergebnissen der Geschichtswissenschaft ist nicht nur sehr großzügig, sondern auch selektiv, so dass am Ende stimmige Geschichtsbilder entstehen. Historische Quellen werden nicht nach ihrer Aussage befragt, sondern nach Bedarf in eigener Interpretation in das System eingebaut. Das betrifft das alttestamentliche Bilderverbot ebenso wie Zeugnisse der Patristik oder überhaupt den Umgang mit der Philosophiegeschichte.

Der Abfall im künstlerischen Gestalten, der in der Moderne überwunden wird, wird gern an einer neuen Phase getreuer Naturwiedergabe (Ausbildung der Zentralperspektive) und dementsprechend das Neue an der Abkehr vom Gegenständlichen, d. h. am Anfang des 20. Jh.s, festgemacht. Doch können auch Vorstufen einbezogen und so der Beginn des Neuen ein Jahrhundert früher angesetzt werden.

Falsche Klischees stehen im Hintergrund und schlagen immer wieder durch, auch da, wo ihre Fragwürdigkeit durchaus erkannt ist. So dominiert die Meinung, vor der Moderne sei das gemalte Bild Imitation, Abbildung äußerer Wirklichkeit gewesen. Aber Rubens bewegte Fleischmassen ebenso wie seine Heiligen-Apotheosen oder Rembrandts ins Bild gebrachte tiefe Emotionen wollen Empfindungen wecken und nicht irgendetwas kopieren, auch wenn die Wirkung gerade dadurch verstärkt wird, dass ein Formenkanon beibehalten ist, nach dem das Dargestellte so hätte geschehen sein können. Ähnliches gilt für die Meinung, erst mit der Moderne käme der Künstler mit ins Bild (191). Allein die Tatsache, dass ich ein von Rubens gemaltes Bild als »Rubens« erkenne, zeigt doch, wie stark der Künstler im Bild präsent ist.

Parallel gesehen ist die Philosophiegeschichte. In einem geläufigem Schema wird die Subjekt-Objekt-Relation als Kennzeichen der Neuzeit herausgestellt und ­ auch das philosophiegeschichtlich gewiss falsch ­ bei Descartes festgemacht. Ihm wird zunächst die Ehre zuteil, die Neuzeit begründet zu haben, ehe er als derjenige qualifiziert wird, der auf den Irrweg geführt hat, der endlich überwunden werden muss. »Die Trennung von Mensch und Natur (Welt), von Subjekt und Objekt wird aufgegeben« (180). So kann auch vom »Sündenfall des Begriffs« (174) gesprochen werden, und das »Zwischenreich« soll sich »diesseits von Subjekt und Objekt« befinden (25).

Freilich bearbeiten nicht nur die Naturwissenschaften und die Medizin, sondern auch die Geisteswissenschaften Gegenstände mit dem Anspruch, die Ergebnisse anderer verifizieren oder falsifizieren zu können, was irgendeine Art Subjekt-Objekt-Beziehung voraussetzt. Auch Seinsstrukturen, die vor einer objektiven Weltbetrachtung liegen sollen, können nur verobjektivierend beschrieben werden. Weiterhin kann der Vorwurf erhoben werden, dass im neuzeitlichen Objekt- und Bildverständnis nicht das Ding selbst interessiere, sondern nur seine Ausnutzbarkeit (225 f.). Sollte das richtig sein, müsste doch auch gesagt werden, dass darauf die gesamte menschliche Zivilisation beruht. Dass es Wandlungen gegeben hat, wussten die Philosophie- und die Kunstgeschichte schon immer, ja diese Wandlungen sind ihr eigentlicher Gegenstand. Ob der radikale Wandel der »Moderne« mit den angewandten Schemata zutreffend beschrieben ist, muss bezweifelt werden.

Immerhin gibt es eine »moderne Kunst«, die sich von Früherem unterscheidet, und ebenso eine moderne Philosophie, die sich von älteren Denkmodellen abwendet. Und beide erfreuen sich einer wie groß auch immer zu bestimmenden Akzeptanz. Beiden liegt wohl ein neues »Retour à la nature« zu Grunde, ein Streben nach dem Vorbegrifflichen, Vorgegenständlichen, Vorkognitiven, was als Heilslehre vorgetragen wird. Die Frage, ob nicht das begriffliche Erfassen, was auch immer das heißen mag, dasjenige ist, was den Menschen vom Tier unterscheidet, wird nicht gestellt (etwa so: Ein Tier lässt einen Stein als nicht zum Fressen und zu anderen unmittelbaren Lebensvollzügen geeignet liegen; der Mensch nimmt in gedanklichem Abstand die Schwere des Steins und die Schärfe seiner Bruchkanten wahr und macht ihn zum Werkzeug).

Dies freilich ergibt eine Art Schizophrenie, nicht nur zwischen einer Welt der Wissenschaften, die mit bestimmten Regeln und Begriffen arbeitet und auf technischem Gebiet die Welt prägt, und auf der anderen Seite einem Verwerfen dieser Weltbetrachtung, deren Philosophen sich freilich der modernen technischen Welt bedienen. Und die Schizophrenie geht noch weiter, indem das Überwinden des Begrifflichen mit Wörtern beschrieben wird, die doch etwas meinen sollen und mithin Begriffe sind. Die wissenschaftliche Fassung eines Weltzuganges wird vorgelegt, der nicht mehr wissenschaftlich ist, das Ideal einer Kunst vorgeführt, die keine Kunst mehr sein will. »Kunst ist das, was Künstler machen« (106). Aber was ist ein Künstler? Doch offenbar einer, der Kunst macht. Der Zirkelschluss ist perfekt.