Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1215–1217

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Garhammer, Erich, u. Udo Zelinka [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Brennender Dornbusch und pfingstliche Feuerzungen«. Biblische Spuren in der modernen Literatur.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2003. 305 S. 8° = Einblicke, 7. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-89710-227-7.

Rezensent:

Andreas Mauz

Der anzuzeigende Band versammelt 17 Beiträge katholischer Theologen und Theologinnen, deren Mehrheit bereits mit Arbeiten im Grenzbereich Theologie ­ Literatur(wissenschaft) hervorgetreten ist. Er hinterlässt insgesamt einen recht zwiespältigen Eindruck, wie ein Hinweis auf einige der Aufsätze plausibel machen kann. Der Untertitel, »Biblische Spuren in der modernen Literatur«, vermag das Feld, das durch drei Abteilungen erkundet werden soll, nur unzureichend zu fassen. Neben Aufsätzen zum »Bibelbezug« verschiedener »moderner Autoren« (I), insbesondere Patrick Roths und Tankred Dorsts (II), finden sich auch Beiträge zur Relevanz der Literatur für einzelne theologische Fächer (III).

Der Herausgeber Erich Garhammer, der selbst mit fünf Beiträgen im Band vertreten ist, legt im ersten Teil zwei Texte vor, deren Schwächen auch in den anderen mehr oder weniger ausgeprägt wiederkehren. Sein Zugriff ist jeweils so allgemein gehalten (»Bibel und Literaten im 20. Jahrhundert«, »Literaten als Bibelleser« etc.) und methodisch diffus, dass sich die Ausführungen meist pointenlos in Zitaten, Paraphrasen und Allgemeinplätzen erschöpfen. In Aussicht gestellte Zuspitzungen bleiben aus oder vage. Die provozierend gestellte Leitfrage seines ersten Beitrags ­ »Muss die Bibel neu geschrieben werden?« (nämlich angesichts des »Vernichtungswahns des 20. Jahrhunderts«, 11) ­ wird (nicht) beantwortet durch lose verknüpfte, stark biographieorientierte Ausführungen zu Barlachs Sündflut-Drama, verschiedene Texte von Grass und Domins »Abel«-Gedicht. Sie sind als solche überzeugender als Garhammers generalisierender Schluss, dass die herausgestellten Aufnahmen biblischer Formen und Stoffe als Antwort auf Canettis Frage »Wie hätte eine Bibel aussehen müssen, dass sie die Selbstvernichtung der Menschheit aufhält?« zu sehen seien.

Die These, die genannten Autoren seien »auf der Suche nach dem Webfehler im Text der Bibel, der daran schuld ist, dass die Schöpfung insgesamt missraten ist« (28), geht aus seinen Ausführungen nicht hervor; die Vorstellung, sie seien, anknüpfend an Nietzsches Zarathustra, auf der Suche nach einer provozierenden »anderen Bibel«, nivelliert die Eigenart und je eigene Funktion des Bibelrekurses der diskutierten Werke. Ungleich überzeugender, weil präziser ansetzend, sind die Beiträge Christoph Gellners und Georg Langenhorsts. Während Gellnerz »literarisch-theologisches Tryptychon« zu Karfreitag, Ostern und Pfingsten insbesondere die »seismographische Wahrnehmungsfähigkeit« der Literaten, betont, deren »poetisch-ungesicherte Š, narrativ-erfahrungsbezogene Š« Rede eine Hilfe sein könne in der »unleugbaren Sprachnot des überkommenen kirchlichen Erlösungsglaubens« (59), widmet sich Langenhorst der bislang vernachlässigten literarischen Darstellung der Kindheit Jesu. Ausgehend von den exegetischen Befunden bietet er eine Typologie, die erhellend auf die theologischen Pointen der jeweiligen Darstellungsform abhebt und kritisch die ästhetischen Dilemmata benennt. Ulrike Grüneklees Ausführungen zu »Salomos Lesern« bleiben wiederum sehr allgemein. Anders als der Titel erwarten lässt, orientiert sich ihre Darstellung der »Rezeption der biblischen Rede von Weisheit in Theologie und Literatur« nicht an den entsprechenden biblischen Texten, sondern am Begriff der Weisheit. Der holzschnittartige geschichtliche Durchgang, der über das akademische Allgemeinwissen über Kohelet, Montaigne, Cervantes etc. kaum hinausgeht, mutet im Kontext von Teil I auch deshalb fremd an, da der »Bibelbezug« nur am Rande und »moderne Autoren« überhaupt keine Rolle spielen.

Bezüglich des zweiten Teils, der in erster Linie der Bibelrezeption Roths und Dorsts gilt, ist vor allem auf die lesenswerten Aufsätze über Roth hinzuweisen (es handelt sich um die Beiträge einer Roth gewidmeten homiletischen Tagung der Katholischen Akademie Schwerte). Der Neutestamentler Knut Backhaus liest dessen Christus-Trilogie überzeugend als mediensensibles und -kritisches Projekt der Vergegenwärtigung Jesu/ Christi. Im Rückgriff auf die Filmtheorie André Bazins und Paul Schraders Analysen des »transcendental style in film« widmet sich Reinhold Zwick den filminspirierten Momenten der Literatur des Kinokenners und -kritikers Roth. Dessen poetologische Äußerungen aufnehmend erkennt Zwick in Roths »revelatorischer Ästhetik« eine »ðnegative TheologieÐ des Filmbildes« (176). Jörg Seip, der literaturwissenschaftlich deutlich informierteste der Beiträger, entwirft durch textnahe Analysen eine Typologie literarischer Fortschreibungen biblischer Literatur (imago, translatio, imitatio scripturae), die weiterführend ist. Hier wird deutlich, dass der Pauschalverweis auf »Bibelrezeption«, auf »Zitate« und motivische »Anspielungen«, banal bleibt, solange die ­ transformierende ­ Aneignung nicht auch begrifflich präziser gefasst und deren Ort und Funktion in der Binnenlogik des Textes bestimmt werden. Neben Roth auch Texte Felicitas Hoppes und Ferdinand Schmatz¹ einbeziehend geht Seip zudem erfrischend über den etablierten Kanon immer wieder bearbeiteter Autoren hinaus. Die Beiträge zu Dorst ­ die Laudatio zur Verleihung des Ludwig-Mühlheim-Preises für religiöse Dramatik des Germanisten Wolfgang Frühwald und ein kurzer Aufsatz Garhammers ­ nehmen sich vergleichsweise dünn aus (ganz abgesehen davon, dass Garhammers erster Text in Teil II, »Literaten als Bibelleser«, der fast wörtlich Passagen des Aufsatzes »Fremdheit des Vertrauten« aus Teil I wiederholt, gemäß der Struktur des Bandes eigentlich auch in Teil I gehörte).

Auch Teil III, der nach der Relevanz der Literatur für einzelne theologische Fächer fragt, bietet Aufsätze von sehr unterschiedlicher Qualität. Lesenwert ist u. a. Thomas Meurers in seinem Ansatz innovativer Beitrag über Exegese und Literatur, der überzeugend plausibel macht, dass und wie eine Phase positiver Bezugnahme auf die Ergebnisse historisch-kritischer exegetischer Forschung (Heym, Mann, Werfel, Feuchtwanger) durch eine Phase des Desinteresses an ðexegetischer InspirationÐ abgelöst wurde. Auszumachen ist demnach eine Parallelbewegung zwischen der neueren literarischen Bibelrezeption und der neuen, stärker holistischen und leserbezogenen Methodenorientierung der Exegese selbst. Jörg Seips Beitrag »Körper ­ Text ­ Kontext. Homiletik und Literaturwissenschaft« argumentiert wiederum auf hohem Niveau, passt, indem er auf die Einführung einiger literaturwissenschaftlicher Kategorien in den homiletischen Diskurs hinaus will, jedoch nur bedingt in den Band. Neben den lesenswerten Erwägungen Jürgen Bründls über »Dogmatik und Literatur« ­ Bründl konturiert einen an Fuchs/Jüngel orientierten theologischen Literatur-Begriff ­ und Christoph Gellners über literarische Ausgestaltungen des Theodizeeproblems finden sich schließlich auch recht farblose Beiträge der beiden Herausgeber. Udo Zelinka erschließt das Feld von »Ethos und Literatur« anhand literarischer »Vor-Bilder«, bezieht sich dabei positiv auf die Identitätstheorie Meads, erstaunlicherweise jedoch weder auf Ric¦urs an sich näher liegendes und elaborierteres Konzept der »identité narrative« noch auf literaturwissenschaftliche Positionen zum Identifikationsproblem (u. a. Jauss). Garhammers Beitrag über »Literatur und Praktische Theologie« bietet eine Abgrenzung gegen Entwürfe der Praktischen Theologie als Ästhetik, um nach Schlaglichtern auf die hinlänglich bekannten wechselseitigen Vorbehalte von »Theologie« und »Literatur« ­ die mögliche Fragwürdigkeit der Opposition wird als solche nie thematisiert ­ die Vorzüge deren Miteinander zu empfehlen, wobei innerhalb seiner Schlussgedanken die Differenzierung von Praktischer Theologie und Theologie fast gänzlich entfällt.

Dass die Struktur des Bandes nur bedingt eingelöst wird, dass das titelgebende Zitat ebenso wenig kommentiert wird wie die ­ gewichtige ­ Metapher der »Spur«, dass im Verzeichnis der Beiträger ein Name erscheint, der zu ihm gehörige Beitrag aber fehlt, verstärkt den Eindruck eines insgesamt etwas zufällig und lieblos konzipierten Bandes. Hinsichtlich der Schwächen einiger der Beiträge ist er aber repräsentativ für eine bestimmte Ausprägung des »Dialogs Theologie ­ Literatur(wissenschaft)« im deutschsprachigen Raum. Was Dialog genannt wird, ist in diesem Fall eine (katholisch-)theologische Auseinandersetzung mit Literatur, kaum aber mit Literaturwissenschaft. Deren Theorieangebote, insbesondere textanalytischer Art, werden wenig wahrgenommen. Entsprechend sind ausführlichere Einlassungen auf die Feinmechanik eines Textes nicht nur im vorliegenden Band die Ausnahme und eher oberflächliche, biographisch und autorpoetisch angeleitete Kommentierungen motivisch verwandter Texte die Regel.