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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1213–1215

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Fritz, Johann Michael

Titel/Untertitel:

Das evangelische Abendmahlsgerät in Deutschland. Vom Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. M. Beiträgen v. M. Brecht, J. Harasimowicz u. A. Reimers.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. 582 S. m. zahlr. Abb. 4°. Geb. Euro 88,00. ISBN 3-374-02200-6.

Rezensent:

Andrea Zimmermann

Mit der vorliegenden Publikation »wird zum ersten Mal ein Buch über das evangelische Abendmahlsgerät in Deutschland vorgelegt« (12). Obwohl es ­ aus theologischer wie aus kunsthistorischer Sicht ­ kaum vorstellbar erscheint, dass es bisher kein Werk gibt, das einen Gesamtüberblick über Geräte wagt, die doch der Ausspendung des Abendmahles unter beiderlei Gestalt dienen, die bis heute in den Gottesdiensten verwendet werden und die nicht zuletzt Zeugnis über die Stifter und deren Frömmigkeit ablegen, resp. die kostbare, formal wie ikonographisch interessante und kunsthistorisch bedeutende Goldschmiedearbeiten darstellen, trifft dies zu. Der Anfertigung eines solchen Opus standen zweifellos erhebliche Schwierigkeiten entgegen, so etwa die immens hohe Zahl der zu berücksichtigenden Untersuchungsobjekte, deren nicht vorhandene bzw. lückenhafte Dokumentation und das Fehlen von für die Beurteilung formaler und ikonographischer Aspekte unverzichtbaren Abbildungen. Wer würde sich angesichts dieser Situation an ein solches Projekt wagen?

Der Vf., der sich zum einen seit über 40 Jahren intensiv mit Goldschmiedearbeiten des Mittelalters und der Neuzeit beschäftigt hat und der zum anderen eben diese Schwierigkeiten bereits in seiner Dissertation (Gestochene Bilder: Gravierungen auf deutschen Goldschmiedearbeiten der Spätgotik, Freiburg 1962) gemeistert hatte, war wie kaum ein anderer dafür prädestiniert. Hinzu kommt ­ und dies hat das vorliegende Werk stark beeinflusst ­, dass er das evangelische Abendmahlsgerät nicht nur aus dem Blickwinkel seines eigenen Faches, der Kunstgeschichte, sieht, sondern sehr stark am interdisziplinären Dialog interessiert ist. Dieses Interesse spricht sich nicht nur in der Einbindung theologischer Beiträge (vgl. 46­59 und 72­82) und der Wahl der Evangelischen Verlagsanstalt als Verleger, sondern auch in der Intention der vorgelegten Publikation aus. Zum einen soll natürlich das o. g. Forschungsdesiderat aufgearbeitet werden, indem das Material vorgestellt und mit bestehenden Vorbehalten und Vorurteilen konfrontiert wird. Zum anderen soll aber auch auf die Bedrohungen der Gegenwart, die u. a. durch Diebstahl, Desinteresse, anwachsende Entchristlichung der Gesellschaft und finanzielle Nöte von Staat und Kirche gegeben sind, aufmerksam gemacht werden und schließlich ein Anstoß gegeben werden, sich »mit dem eigenen Besitz zu beschäftigen, ihn zu nutzen, in Ehren zu halten, sorgsam zu pflegen, angemessen zu publizieren und zu einem tieferen Verständnis im Sinn der christlichen Verkündigung dienstbar zu machen« (25).

Wie ist nun ­ angesichts der schwierigen Voraussetzungen und der Vielzahl von Intentionen ­ das evangelische Abendmahlsgerät behandelt worden? Die Untersuchung ist ­ eingespannt zwischen eine umfangreiche Einführung und den Anhang ­ weitgehend chronologisch angelegt (Mittelalterliche Kelche und Hostiendosen in lutherischen Kirchen, Von der Reformation bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, Zweihundert Jahre Abendmahlsgerät reformierter Kirchen, Vom Westfälischen Frieden bis zum Ende des Alten Reiches, Hostiendosen und andere liturgische Geräte, Abendmahlsgeräte aus Zinn und anderen Materialien). Innerhalb der Abschnitte werden die vorrangig nach geographischen Gesichtspunkten ausgewählten Beispiele einzeln dokumentiert und erläutert sowie durch einführende Texte aufeinander bezogen und dem Ganzen eingeordnet. Im Ergebnis der Untersuchung wird deutlich, dass sich in lutherischen Kirchen viele Kelche und Patenen aus mittelalterlicher Zeit erhalten haben, die nach der Reformation weiter verwendet wurden, und dass eine Reihe der im 16. Jh. neu geschaffenen Abendmahlsgeräte diesen traditionellen Formen verpflichtet bleiben. Doch es gibt auch ­ frühestens seit 1530 ­ Beispiele für eine Um- bzw. Neugestaltung von Abendmahlsgeräten. Diese bezieht sich zum einen auf die Anpassung von Kelch und Patene an die veränderten liturgischen Anforderungen und zum anderen auf die Schaffung neuer Stücke, wie der Abendmahlskannen, der Brotschalen und der Versehgefäße. Die Zeit vom Augsburger Religionsfrieden (1555) bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) brachte dann »die überwiegende Zahl der neu geschaffenen Geräte, darunter die meisten, die theologisch, kunsthistorisch sowie allgemein geschichtlich bedeutsam sind« (354), hervor. Die Anzahl der neu hinzukommenden Abendmahlsgeräte bleibt bis ins 18. Jh. hoch, »die gestalterischen Fähigkeiten für sakrale Geräte verlieren sich jedoch zunehmend« (465). In den reformierten Kirchen hingegen schuf man Abendmahlsgeräte, die sich in ihrer Form und z. T. der Wahl des Materials bewusst vom Bisherigen unterschieden, setzte dies jedoch nicht ausnahmlos durch, so dass »in bestimmten Regionen, z. B. der Schweiz und in Brandenburg, doch die überlieferte Kelchform« (27) anzutreffen ist.

Insgesamt ist die Formenvielfalt, die für die Abendmahlsgeräte in lutherischen Kirchen kennzeichnend ist, nicht so groß. Diese Entwicklung ­ Beispiel für Beispiel, 452 Beispiele lang ­ nachvollziehbar und sichtbar (da bis auf Kat. 202 alle erwähnten Beispiele abgebildet sind) gemacht zu haben, ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung. Dass das Thema mit der vorliegenden Publikation aber keinesfalls »abgeschlossen« ist, ist dem Vf. bewusst. Er resümiert: »Nicht alle Fragen konnten ausreichend oder gar abschließend geklärt werden. Daher versteht sich das Buch mit der Vielzahl der darin berührten Aspekte auch als eine Art Steinbruch, in dem Bausteine für weitere Forschung zu finden sind, und es erwartet Berichtigung und Ergänzung.« (16) Als Ergänzung, für die er mit seinem Buch »Bausteine« zu liefern hofft, wünscht sich der Vf. »eine detaillierte Darlegung der verschiedenen liturgischen Formen des Abendmahlsgottesdienstes Š, die im Laufe der Jahrhunderte in den Reformationskirchen entwickelt wurden« (16).

Weiterführende Arbeiten wären aber m. E. auch im Bereich der begrifflichen Präzisierung wünschenswert und wichtig, da das Thema gegenwärtig, etwa in den gängigen theologischen Nachschlagewerken, nur unter meist kurzen und jeweils differierenden Stichworten (wie Vasa sacra, liturgische Geräte, liturgische Gefäße) aufgenommen wird. Unsicherheiten sind die Folge. So werden in der vorliegenden Publikation Patene, Kelch, Hostiendose und Kanne als Untersuchungsgegenstand bestimmt. Was ist nach dieser Bestimmung jedoch mit den auch behandelten Vorhalteplatten, Versehgefäßen und zusätzlichen Geräten wie Löffel, Seiher und Saugröhrchen? Es wird von dem ðevangelischen AbendmahlsgerätÐ gesprochen, doch eigentlich wird, da die bis zu 300 Jahre vor der Reformation entstandenen Geräte in lutherischen Gemeinden einbezogen sind, eher das ðAbendmahlsgerät in evangelischen KirchenÐ behandelt. Ferner ist nicht klar, wie das Verhältnis der evangelischen zu den katholischen Vasa sacra im Einzelnen zu bestimmen ist. Auch in der systematischen Erweiterung unserer Kenntnis der erhaltenen Abendmahlsgeräte ist, obgleich eine Vielzahl mit dieser Publikation bereits Beachtung gefunden hat, eine Ergänzung ­ vor allem unter Einschluss des 19. und 20. Jh.s ­ nötig.

Diese als einige mögliche Gesichtspunkte für die erwartete »Berichtigung und Ergänzung« (16) angeführten Überlegungen sollen jedoch ­ und dies sei nachdrücklich betont ­ in keiner Weise die weitreichenden Bemühungen während der Erstellung der Publikation, den wertvollen Beitrag zur Bearbeitung eines Forschungsdesiderats und den beabsichtigten Anstoß zur Erhaltung und Wertschätzung des evangelischen Abendmahlsgerätes schmälern.