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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1197–1200

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Tiersch, Claudia

Titel/Untertitel:

Johannes Chrysostomus in Konstantinopel (398­404). Weltsicht und Wirken eines Bischofs in der Hauptstadt des Oströmischen Reiches.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. X, 475 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 6. Kart. Euro 74,00. ISBN 3-16-147369-8.

Rezensent:

Silke-Petra Bergjan

Die Dissertation (TU Dresden) von Claudia Tiersch ist dem Thema des Bischofsamts gewidmet. Am Beispiel des Scheiterns von Johannes Chrysostomos sollen die Erwartungen und Anforderungen an das Bischofsamt im späten 4. Jh. untersucht werden. Da der Misserfolg des Chrysostomos in Konstantinopel in Beziehung zu setzen ist zu seinem vorangegangenen Erfolg in Antiochien und somit die früheren Phasen seines Lebens mit einbezogen werden, liegt in der Arbeit eine sorgfältig ausgearbeitete, materialreiche Biographie vor.

Im Ergebnis modifiziert T. am Beispiel des Chrysostomos die These Peter Browns von der neuartigen Stellung des Bischofs auf Grund der Ausdehnung seines Einflussbereiches, indem sie zeigt, dass der Ausgleich von Ansprüchen, die aus dem geistlichen Amt und der Einbindung in die gesellschaftliche Elite resultieren, dem Bischof wenig Handlungsspielraum ließ und er an die überlieferten Sozialnormen gebunden war. Chrysostomos scheiterte nach T. an der Kompromisslosigkeit, T. spricht von »mangelnder Flexibilität«, mit der er nicht bereit war, kirchliche Ansprüche angesichts kaiserlicher Interessen und politischer oder gesellschaftlicher Notwendigkeiten zu relativieren. Mit ihm scheiterte der Typ des unabhängig agierenden Bischofs. Die Einsetzung von Johannes Chrysostomos zum Bischof von Konstantinopel (26.2.398) wurde in zeitgenössischen Quellen in Verbindung gebracht mit seinem Erfolg in Antiochien. Folgt man T., waren die Wirkungsbedingungen in Antiochien grundsätzlich andere als in Konstantinopel, aber wiederum solche, die einen Erfolg des polarisierend wirkenden Chrysostomos wenig plausibel machen. Antiochien war eine Stadt mit alter, gewachsener Identität, in der das Christentum zwar am Ende des 4. Jh.s unter den Kurialen verbreitet war, aber die Kirchen an der »sorgsam gepflegten Atmosphäre von religiöser Pluralität und Toleranz« kaum etwas ändern konnten. Einer der Gründe für sein Scheitern liege darin, dass Chrysostomos unreflektiert die Erfahrungen mit dem Nebeneinander von Religion und Politik in Antiochien auf Konstantinopel übertragen habe, wo »die sakrale Sinnstiftung der Wirklichkeit Teil ... der neuen Reichsidentität geworden war« (204).

Im Zusammenhang mit dem Antiochenischen Schisma kann T. nur auf mangelnde »Attraktivität« dieser zersplitterten Gemeinden schließen. Sie versteht das Schisma als Ursache dafür, dass es den Kirchen trotz des zunehmenden Bedeutungsverlustes traditioneller Kulte nicht gelang, die kulturelle Identität der Stadt zu prägen. Es bleibt eine Inkonsistenz bestehen. Der beschränkte Einfluss der Gemeinden, die dem städtischen Leben keine christliche Prägung geben können, wird auf ihre Zersplitterung zurückgeführt. Wenn Chrysostomos dann aber diese umfassende, alle Lebensbereiche bestimmende christliche Identität einfordert und das Ideal einer Alternative zur städtischen Gemeinschaft entwirft, gerät er in einen Gegensatz zur kulturellen Vielfalt und zu dem in Antiochien praktizierten pragmatischen Miteinander der Religionen. Aus der Tatsache, dass er sich seinem Kontext nicht anpasste, wird dann die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen abgelesen. Aufgabe des Historikers in der Arbeit an den Texten von Chrysostomos wird es bleiben, die befremdliche Schärfe seiner Äußerungen nicht nur festzustellen, sondern in ihrem Kontext zu erklären. Welche Art der Veränderung erwartete Chrysostomos? Und was heißt es, wenn elitäre Abgrenzungen und Elemente der »schrillen Polemik«, die seit der zweiten Sophistik von Gebildeten an verschiedenen Orten vorgetragen wurden, in verändertem Kontext in Antiochien oder Konstantinopel erscheinen und einen anderen Erwartungshorizont evozieren? Chrysostomos konfrontierte seine Zuhörer mit Bekanntem, z. B. der Theaterpolemik, mit Biblischem und Befremdlichem. Hier wäre stärker zu unterscheiden.

Der erfolgreiche, mit den städtischen Bedürfnissen konforme Chrysostomos kommt in der Statuenaffäre in den Blick, und seine »distanzlose Übernahme der kaiserlichen Sicht« gibt einen Hinweis, der das spätere Interesse des Hofes an seiner Person erklären kann.

Das Bild ändert sich jedoch unter der Frage nach den Außenbeziehungen des Chrysostomos (Kapitel 5). In seinen Predigten erscheint Chrysostomos nicht als Anhänger der am Ende des 4.Jh.s einsetzenden »byzantinischen Kaiseridee«, wenn er den Kaiser als Exemplum darstellt und seiner eigenen Vorstellung von christlicher Lebensführung unterordnet. Auch die Verschlechterung der Beziehung zu Eudoxia sei in dieser Form von Predigt vorgezeichnet. Sein Lob der Kaiserin als Beispiel der Demut stehe in fundamentalem Kontrast zu deren Selbstdarstellung und missachte ihren Herrschaftsanspruch. T. macht die gleiche Struktur verantwortlich für das Scheitern seiner Beziehungen zur senatorischen Schicht. Das permanente Lob der Armut und die Verurteilung des Strebens nach Reichtum bedeutete eine »unüberbrückbare Distanz zur senatorischen Wertewelt«. Indem Chrysostomos die Krise in Konstantinopel auf die Habsucht der Eliten zurückführte, die exilierten Staatsmänner und den gefallenen Eutropius als Exempel der Nichtigkeit irdischer Ambitionen und einer verfehlten Lebenshaltung vorführte, brach er die Kommunikation mit den Oberschichten ab. T. spitzt hier die Gegensätze zu, sie betreffen allerdings nicht nur Chrysostomos, und man fragt sich, wie die Oberschichten sich am Ende des 4. Jh.s die christliche Religion anzueignen lernten und welche Hörgewohnheiten man in den Predigten entwickelte. Durch den apolitischen Charakter seiner Predigten und sein Beharren auf den privaten Bereich »vermittelte Chrysostomos seinen Zuhörern permanent die Gewissheit, dass die Gesellschaft für die Gewinnung des Heils bedeutungslos sei«. Die gleiche Bedeutungslosigkeit gilt für jegliche Formen irdischer Anerkennung, so auch für prestigeträchtige Ämter. Damit beteiligte sich Chrysostomos nicht an kollektiven Sinnstiftungen, und entgegen der Identifikation von Populus Christianus und Populus Romanus, wie sie in Rechtstexten ablesbar ist, bilden beide bei Chrysostomos gerade keine Einheit.

Die Reformbemühungen des Chrysostomos in den Bereichen Klerus, Kirchenbesitz und Mönchtum (Kapitel 4) entsprechen zwar den Entwicklungen am Ende des 4. Jh.s, führen aber anders als an anderen Orten unter Chrysostomos zu Abwehrreaktionen. Eine loyale oder emotionale Bindung an seine Person auf Seiten des Klerus habe Chrysostomos nicht herstellen können. Die Reformmaßnahmen, die das Erscheinungsbild des Klerus hatte notwendig werden lassen, führten zu seiner eigenen Isolation und trugen ihm Feindschaft ein. Die Verweigerung der Gastfreundschaft durch Chrysostomos erschwerte den Zugang zu seiner Person, der für eine Patronatsbeziehung und damit für eine erfolgreiche bischöfliche Amtsführung notwendig war. Für Konflikte sorgte die Verwaltung des Kirchenbesitzes. Chrysostomos wendete sich von den hergebrachten Formen des Euergetismus ab und leitete zur Armenfürsorge über. Hier würde man gern genauer erfahren, worin sich die Armenfürsorge von der herkömmlichen Wohltätigkeit unterscheidet. Nach T. gewinnt Chrysostomos von Anfang an die Loyalität der Unterschichten. Zu fragen ist, wie von den Ausführungen über Armut und die Armen auf eine Integration von Bettlern und Armen in die Gemeinden zu schließen ist.

Die Verwendung von Kirchengut für die Armenfürsorge war insofern strittig, als die Konsolidierung des Kirchengutes als Aufgabe des Bischofs verstanden wurde. Mit den Übertragungen des Besitzes von Olympias legte Chrysostomos zwar den Grundstock für den prestigeträchtigen, bischöflichen Kirchenbesitz von Konstantinopel, beschnitt aber zugleich die Möglichkeit anderer Bischöfe, ihr Patrimonium in ähnlicher Weise ausbauen zu können. Mit der intensivierten Armenfürsorge drang Chrysostomos zudem in einen Bereich vor, der den Mönchen vorbehalten war. Das Mönchtum in Konstantinopel, das über gesellschaftliche Verbindungen verfügte, die z. B. für die Armen genutzt werden konnten, das unabhängig und im Stadtbild sichtbar war, konfrontierte Chrysostomos mit dem Ideal der Zurückgezogenheit und mit der Forderung nach Unterordnung unter die kirchliche Hierarchie. Chrysostomos kam dem spezifisch städtischen Selbstverständnis der Mönche in Konstantinopel nicht entgegen. Der Akzeptanzverlust erreichte eine neue Stufe in der Gainaskrise. Chrysostomos verhinderte die Übergabe einer Kirche an die »arianischen« Goten, setzte damit zwar der Macht des Gainas Grenzen, allerdings ohne auf politische Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. Die widersprüchlichen Quellen über seine Verhandlungen mit Gainas um Freilassung der Geiseln aus Konstantinopel weisen auf einen Misserfolg des Chrysostomos hin, der ihm den Vorwurf der Kollaboration mit den Goten eintrug. Dies ist ein deutliches Zeichen, dass seinen Predigten keine stabilisierende Wirkung in der Staatskrise zugeschrieben wurde. Gleichzeitig schuf sich Chrysostomos durch die Neubesetzung von Bischofsämtern in Lydien und Karien (Kapitel 7) weitere Feinde in den Nachbarkirchen, die im Zuge seiner Absetzung mobilisiert werden konnten.

Die Absetzung des Chrysostomos (Kapitel 8) steht im Zusammenhang mit der Aufnahme der Langen Brüder in Konstantinopel und damit mit den Vorgängen in Ägypten, im Zuge derer Theophilos, Bischof von Alexandrien, nach Konstantinopel vorgeladen wurde. Bemerkenswert ist, dass es zu einem Positionswechsel vor allem des Kaisers kam und schließlich Theophilos über Chrysostomos zu Gericht saß. Eine Erklärung für diese Wende findet T. in der Weigerung des Chrysostomos, den Vorsitz in der anstehenden Synode zu übernehmen und über Theophilos zu richten, trotz des Gesichtsverlustes, den diese Weigerung für den Kaiser angesichts der bereits für die Synode angereisten Bischöfe bedeuten musste. Die Verhandlungen auf der Eichensynode stellen dann nur noch die Inszenierung einer bereits gefällten Entscheidung dar.

Als Chrysostomos schon nach wenigen Tagen aus dem Exil zurückgerufen wurde, trifft er auf eine ihm ergebene Gemeinde, die T. mit M. Weber als eine Gruppe um eine charismatische Führerfigur beschreibt, »als besonderen Herrschaftsverband, fußend auf emotionaler Vergemeinschaftung« (363). Erneute Konflikte Ostern 404 machen trotz anfänglich versöhnlicher Begegnungen wiederum die unüberbrückbare Distanz zum Kaiserhaus deutlich. Die Erfahrung des Exils habe ihn nicht dazu geführt, seine Position zu bedenken, sondern ihn in seinem prophetischen Selbstbewusstsein bestärkt. T. spricht von »unreflektiert charismatischem Selbstbewusstsein« und zieht eine Verbindung zur grundlegenden »Unflexibilität« des Chrysostomos. Das Absetzungsurteil wird bestätigt. Gleichzeitig gehen kaiserliche Truppen gewaltsam gegen seine Anhänger vor, scheitern jedoch darin, ein Schisma in Konstantinopel zu verhindern (Kapitel 9). Die johannitische Gemeinde wird erst unter Proklos 438 mit der postumen Rehabilitation des Chrysostomos in die Kirche von Konstantinopel reintegriert.

Aus dem Exil liegen mit den Briefen Selbstzeugnisse von Chrysostomos vor. Nach T. zeigen sie eine Diskrepanz auf, da in ihnen das zu finden sei, was seine Gegner in seinem schroffen Auftreten in Konstantinopel vermissten: »Flexibilität«, Wertschätzung des »großstädtischen Lebensraumes« und den Versuch, ein Netzwerk aufzubauen und sich in ein solches zu integrieren. Nach T. bestätigt diese Diskrepanz noch einmal, dass Chrysostomos weder seine Lebensbedingungen noch die politischen Bedingungen seines Wirkens reflektierte (402).