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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

522–524

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ahonen, Risto

Titel/Untertitel:

Evangelisation als Aufgabe der Kirche. Theologische Grundlegung kirchlicher Evangelisation.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1996. 175 S. 8 = Forschungen zur Praktischen Theologie, 15. Kart. DM 49,-. ISBN 3-631-30034-4.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Diese Untersuchung entstand aufgrund einer Bitte der Synode der finnischen evangelisch-lutherischen Kirche mit dem Ziel, einen theologischen Konsens über Evangelisation (= E.) zu finden, der sie möglichst vielen Teilen der Kirche akzeptabel und damit praktikabel macht. Bemerkenswert ist, daß sich die Synodalen einer im Vergleich zu Deutschland viel stabileren Volkskirche derartig für E. interessieren. Selbstverständlich stellt A., Missionswissenschaftler in Helsinki, seine Untersuchung in den Rahmen der internationalen Diskussion.

Einleitend weist A. auf die begriffliche Unklarheit hin und lehnt ein zu enges Verständnis von E. ab, da diese "von den zentralen Aktivitäten der Kirche isoliert [ist] und [er] sie nur als eine Arbeitsform unter anderen versteht". E. ist Basisaufgabe der Gemeinde und hat die missionarische und diakonische Gemeinde zum Ziel.

Ein historischer Überblick umreißt die Diskussion von der Parole "E. der Welt in dieser Generation" vor hundert Jahren bis zur Lausanne-Bewegung und der heutigen römisch-katholischen Evangelisationstheologie. Als Übereinstimmung findet A. die Zusammengehörigkeit von Kirche und Mission und von Verkündigung und gesellschaftlicher Verantwortung sowie das grundsätzliche Ja zur Kontextualisierung, das allerdings die Gefahr des religiösen Relativismus enthält, der den Konsens zu sprengen droht.

Es folgt die theologische Begründung der E. im Handeln des dreieinigen Gottes in der Welt. Die creatio ex nihilo "betont den unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Schöpfer und Erschaffenem und wehrt pantheistische Vorstellungen ab, denen zufolge alles ein und dieselbe Gottheit wäre" (70). Zugleich verfügt jeder Mensch "mittels des Gesetzes über ein gewisses Bewußtsein der Existenz Gottes", er kann sich aufgrund seiner Herkunft nie von seiner religiösen Natur freimachen. Außerdem ermutigt die Schöpfungstheologie dazu, "den Glauben der eigenen Kultur anzupassen und neue geeignete Ausdrucksformen für ihn zu suchen", ohne daß Gott zum Erfüller eigener Wünsche gemacht wird. Der erste Glaubensartikel macht die Weltverantwortung zu einem Inhalt der E. Unter christologischem Aspekt hat das donum Vorrang vor dem exemplum. Zum dritten Glaubensartikel kommen besonders die Gemeinde und ihr Gottesdienst in den Blick. E. geht von der Begegnung mit dem Auferstandenen beim Abendmahl aus, und sie "zielt auf Erweckung und Bekehrung, bei der der Mensch seine eigene Schuld vor Gott und den Menschen einsieht und sein ganzes Vertrauen auf Gott setzt". Die Taufe erhält zentrale Bedeutung als Tor zur Gemeinschaft der Gemeinde. "In der lutherischen E. ist die Taufe sowohl Ausgangspunkt als auch Ziel" (102).

E. gehört unlösbar mit Diakonie zusammen, weil Glaube und Liebe, Rechtfertigung und Heiligung untrennbar sind. Aus der ökumenischen Diskussion erwähnt A. mögliche Verbindungen geistlicher Erneuerung mit körperlicher Heilung, ohne sie zu einem notwendigen Bestandteil von E. zu erklären. Notwendig ist vielmehr die in Finnland ganz anders als in Deutschland existierende Verknüpfung von E. und Gemeindediakonie. Der uneigennützige Charakter der Diakonie macht sie nicht neutral, denn sie verkündet auf ihre Weise die Liebe Christi.

Das vieldiskutierte Verhältnis von E. und Mission definiert A. so, daß E. zentraler Inhalt und Kern der Mission ist. E. ist "Verkündigung in einem enger gefaßten Sinn, die auf die Entstehung des Glaubens und eine Erneuerung des Lebens hinzielt" (134). Der Dialog mit Andersdenkenden steht in notwendiger Spannung zum Glaubenszeugnis, er darf nicht zum Synkretismus führen.

Das Ziel der E., die missionarische und diakonische Gemeinde, ist nur durch geistliche Erneuerung zu erreichen. Sie führt nicht unbedingt zu großen Mitgliederzahlen (mit der Church-Growth-Bewegung setzt A. sich nicht auseinander), aber die Chancen der volkskirchlichen Mehrheitsposition werden gewürdigt. Als Ideal sieht A. in der Volkskirche die Ortsgemeinde als Großfamilie, "in der sich jedes einzelne Mitglied zuhause fühlt und jeder seinen eigenen Weg findet, um am Leben der Gemeinde teilzunehmen und nach seinen Fähigkeiten Verantwortung zu tragen" (146). Die kirchliche Verwaltung und Ökonomie müssen diakonische Qualität gewinnen, und die Gemeinden sollen ihre universale Berufung stärker verwirklichen. Grenzen sind zu überschreiten und abzubauen. Heute gehören 23,5% der Bevölkerung Helsinkis keiner Kirche an, während die Kirche in der Gesamtbevölkerung positiv beurteilt wird. Die Erweckungsbewegungen fanden "mit ihren Sommerfesten und Versammlungen eine die Finnen ansprechende Form der E.". Die Integration dieser Gruppen in die Volkskirche gelang offenbar besser als in Deutschland. Sie nehmen den Ortsgemeinden nichts von ihrer grundlegenden Bedeutung für die E.

Die Arbeit schließt mit einem Hinweis auf die Bedeutung des Priestertums aller Gläubigen, dessen Beziehung zum Amt als "fruchtbare schöpferische Spannung" bezeichnet wird. Es ist spannend, die Chancen der E. von den Möglichkeiten des allgemeinen Priestertums her weiter zu bedenken und in einer Gesellschaft fruchtbar werden zu lassen, die ungleich stärker säkularisiert ist als die finnische. Möge die Notwendigkeit der Mission in Theologie und Kirchen Deutschlands ernster genommen werden als bisher. Daß dieses Buch in den "Forschungen zur Praktischen Theologie" erschien, ist ein Signal der Hoffnung.