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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1181–1184

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Alkier, Stefan, u. Jürgen Zangenberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments. Hrsg. unter Mitarbeit v. K. Dronsch u. M. Schneider.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2003. XVI, 535 S. m. Abb. 8° = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 42. Kart. Euro 78,00. ISBN 3-7720-8007-3.

Rezensent:

Michael Tilly

Die neutestamentliche Methodendiskussion konzentriert sich auf Fragen der Textauslegung. Auch der interdisziplinäre Diskurs beschränkt sich zumeist auf textwissenschaftliche Disziplinen, wodurch die Archäologie als »ein ganz wesentlicher Teil der Perspektive ausgeblendet« werde (XI). Vor diesem Hintergrund möchte der Band in die archäologische Forschung einführen und ihre Relevanz für die neutestamentliche Wissenschaft aufzeigen.

Der erste Hauptteil »Methodische Grundlegung« (1­62) bemüht sich um eine theoretische Grundlegung einer neutestamentlichen Archäologie.

R. Bernbeck, »Zur Theorie der Archäologie. Einführung in den Stand der Fachdiskussion« (2­20), bietet einen historisch orientierten Abriss theoretischer Ausrichtungen in der archäologischen Wissenschaft. B. akzentuiert die Verlagerung des theoretischen Schwerpunkts von einer kulturvergleichenden »distanzierten« Vorgehensweise, die nach den »Funktionen« materieller Kultur im Sinne einer menschlichen Anpassungsleistung fragt, hin zu erfahrungsorientierten Erklärungsansätzen wie der »Landschaftsarchäologie«, die eine Landschaft als ein »Kulturprodukt« menschlichen Handelns begreift (11) und so die Motive und Intentionen vergangener Gesellschaften und Individuen bei der Gestaltung ihrer Lebenswelt zu erheben beabsichtigt. In diesem Sinne ermöglichten die archäologischen Quellen, »unabhängig von Texten Geschichte zu schreiben« (16).

S. Alkier und J. Zangenberg, »Zeichen aus Text und Stein. Ein semiotisches Konzept zur Verhältnisbestimmung von Archäologie und Exegese« (21­62), versuchen, auf der Basis eines einheitlichen semiotischen Paradigmas die Zusammenarbeit von Archäologie und Textwissenschaft zu begründen. Sowohl frühchristliche Texte als auch (jüngere) christliche Relikte und Artefakte seien »zeichenhafte Reflexe der Wirkung Jesu und seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger« (23). Für Texte und Steine als »Zeichen« gelte, dass der Geltungsbereich jeglicher Aussagen über ihre Bedeutung und Funktion anhand des jeweiligen (Fund-)Kontexts zu berücksichtigen sei und dass ihre Interpretation auf bestimmten hermeneutischen Vorentscheidungen beruhe, die zu erkennen und zu berücksichtigen seien. Jede Zeichenproduktion greife auf eine umfassende »Enzyklopädie kulturell konventionalisierten Wissens« zurück (51); die Archäologie könne deshalb dazu beitragen, gemeinsam mit der Exegese diese »virtuelle Enzyklopädie des Frühen Christentums« zu konstruieren, um auf dieser Basis Einzelinterpretationen ein gesicherteres Fundament bereitzustellen (58).

Der zweite Hauptteil »Rückblicke und Ausblicke« (63­134) beginnt mit einem engagierten Beitrag, der die politische Funktionalisierung der archäologischen Forschung in den Blick nimmt.

E. M. Meyers, »Archaeology and Nationalism in Israel. Making the Past Part of the Present« (64­77), betont, dass zwar seit Jahrzehnten erkannt worden sei, »that archaeology was an important mechanism for authenticating Jewish ties to the land of Israel« (67), dass aber noch heute die Archäologie in Israel als »tool of nationalism« (77) der Konstruktion von Geschichte, dem aktuellen Bedürfnis nach Konstituierung religiös begründeter wie säkularer Identität und der Begründung territorialer Besitzansprüche diene.

J. Männchen, »Das heilige Land. Denkmal der heiligen Geschichte« (78­87), skizziert Gustaf Dalmans Konzeption von »Palästinawissenschaft«, für die »die Bewohner des Landes mit ihren Kenntnissen und Traditionen, mit ihren Erinnerungen und Bräuchen von Bedeutung« seien (83). Dalman habe Palästina als eine »theologisch qualifizierte Größe« betrachtet, wobei seine Ausführungen auch die alte christliche Substitutionstheologie widerspiegelten, die die Kirche an die Stelle Israels als erwähltes Gottesvolk stellt (84).

O. Heinemann, »Die Gustaf-Dalman-Sammlung in Jerusalem: Christ-Sein und Palästinawissenschaft« (88­109), geht auf den Lebenslauf Dalmans ein, bietet eine Beschreibung der im »Deutschen Evangelischen Institut« in Jerusalem befindlichen Kalksteinmodelle, die Dalman zu Lehrzwecken anfertigen lassen hatte, und befasst sich abschließend mit den in Jerusalem und Greifswald befindlichen Objekten aus seiner umfangreichen Sammlung.

J. Jeska, »Josephus und die Archäologie« (110­134), zeigt anhand einiger Fallbeispiele die Bedeutung der Archäologie für das Verständnis der Schriften des antiken jüdischen Historikers auf. J. gelangt dabei zu den Schlussfolgerungen bzw. methodischen Vorbehalten, dass die Werke des Josephus auf Grund ihres je und je unterschiedlichen Abfassungszwecks keinesfalls in gleicher Weise verwertbar seien, dass den von ihm herangezogenen Quellen auf Grund ihrer Bearbeitung ebenfalls nicht ungeprüft zu vertrauen sei und dass die schlechte Überlieferungslage seiner Werke ihre gründliche textkritische Betrachtung unabdingbar mache (127).

Im dritten Hauptteil »Orte und Räume« (135­306) werden überwiegend geographische Einzelthemen behandelt.

G. Lehmann, »Zwischen Umbruch und Tradition« (136­182), bietet eine Darstellung der Geschichte der Palästinaarchäologie und einen Überblick über die Kennzeichen der materiellen Kultur des Landes in der römischen Kaiserzeit. Vor dem Hintergrund der (s. E. fragwürdigen) Interpretation der Funde auf Masada warnt L. davor, literarische Quellentexte wie Bell 7,252­406 als historisch authentisch zu akzeptieren und den archäologischen Befund vor dem Hintergrund dieser ­ auch von sachfremden Intentionen geleiteten ­ neuzeitlichen Textrezeption zu interpretieren (172).

K. Galor, »Wohnkultur im römisch-byzantinischen Palästina« (183­ 208), präsentiert den archäologischen Befund hinsichtlich der spätantiken Wohnarchitektur und interpretiert die Ergebnisse wichtiger Grabungen und Surveys, insbesondere hinsichtlich der Funktionen unterschiedlicher Wohnräume. G. vertritt die These, im römisch-byzantinischen Palästina hätten die meisten Menschen eher in »Wohneinheiten« oder »Teilräumen« als in selbständigen Gebäuden oder allein stehenden Privathäusern gelebt (184).

A. Lichtenberger, »ðSieh, was für Steine und was für Bauten!Ð ­ Zur Rezeption herodianischer Architektur im Neuen Testament« (209­221), untersucht die Semiotik der herodianischen Bauten. L. zeigt auf, dass Bauten, die seitens Herodes an die jüdische Bevölkerung gerichtet waren, Niederschlag im Neuen Testament fanden, während Bauten, die an die pagane Bevölkerung gerichtet waren, von Josephus erwähnt oder sogar ausgiebig beschrieben wurden.

G. Faßbeck, »ðUnermeßlicher Aufwand und unübertreffliche PrachtÐ (Bell 1,401). Vom Nutzen und Frommen des Tempelneubaus unter Herodes d. Gr.« (222­249), will dazu beitragen, die Frage zu beantworten, ob die traditionelle Tempelkritik im Judentum anlässlich des herodianischen Neubaus einen besonderen Impuls erfahren hat. F. unterzieht zunächst die Darstellung des Tempelbaus bei Josephus und in weiteren zeitgenössischen Texten einer Analyse und setzt die literarischen Quellen mit den Ergebnissen der archäologischen Forschung in Beziehung. Es zeige sich, dass sich der herodianische Tempelneubau auf Grund seiner Konnotationen mit einem »grundlegenden qualitativen Neubeginn« einer hohen Akzeptanz in allen Bevölkerungskreisen erfreute und damit zugleich die Herrschaft des Herodes stabilisierte (245).

M. Sasse, »Beobachtungen zum Verhältnis von Archäologie und Exegese am Beispiel der Ausgrabungen am Teich Betesda in Jerusalem (Joh 5)« (250­261), beabsichtigt, mittels der Untersuchung der lokalisierten Ortslage einer biblischen Wundergeschichte die Bedeutung der Archäologie für die Bibelauslegung zu skizzieren. Ausgehend von der Interpretation von Joh 5,1­3a.5­9 und dem archäologischen Befund gelangt er zu der Annahme, die Wundererzählung beziehe sich »auf die Bäderanlage Betesda, nicht auf die Doppelteichanlage« (258), was dafür spreche, dass Joh und seine Adressaten diese Ortslage kannten: »Dies sind deutliche Indizien für eine Verortung des Johannesevangeliums und der johanneischen Gemeinden in den palästinischen Raum« (259).

J. Zangenberg, »Qumran und Archäologie« (262­306), kritisiert, dass die Archäologie Qumrans bislang weitgehend der Bestätigung, Illustration und Ergänzung von Aussagen diente, die man aus der Exegese der Texte vom Toten Meer gewonnen hatte. Eine umfassende Untersuchung der Gebrauchskeramik in Qumran zeige die »integrale Vernetzung« der Siedlung mit der umgebenden Wirtschaftsregion (288) und trage zur Modifikation der traditionellen Hypothese bzw. zur Aufgabe der Vorstellung bei, Siedlungsbewohner und Schriftrollenbesitzer seien identisch (291).

Der vierte Hauptteil »Alltagsleben und Religiosität« (307­500) thematisiert die Bedeutung der Verknüpfung von exegetischer und archäologischer Forschung für die Erhellung der Lebensumstände im antiken Palästina.

S. Alkier, »ðGeldÐ im Neuen Testament« (308­335), untersucht antike Münzen als »verdichtete Zeichen« (308) und skizziert den Beitrag numismatischer Studien zu einer Enzyklopädie des Frühen Christentums. Einer Einführung in die Erforschung des antiken Münzwesen folgt der exemplarische Aufweis der Relevanz ihrer Berücksichtigung anhand der Exegese von Mk 12,13­17parr. Die hier erwähnten Münzen seien »nicht nur Zahlungsmittel, sondern politisch-religiöse Kunst im Dienste römischer Machtpolitik« (329) und ermöglichten den Adressaten durch ihre Undeterminiertheit zugleich »aktualisierende Interpretationen« des Evangelientextes (330).

E. A. Knauf, »Writing and Speaking in Galilee« (336­350), verfolgt die Absicht, den prägenden Einfluss der hellenistischen Kultur nicht nur auf den Griechisch sprechenden Teil der Bevölkerung Galiläas, sondern auch auf diejenigen unter Beweis zu stellen, die sich überwiegend des Hebräischen und Aramäischen bedienten. Erst in frühbyzantinischer Zeit könne von einer »democratisation of Greek writing« in der Region die Rede sein (346).

C. Claußen, »Synagogen Palästinas in neutestamentlicher Zeit« (351­ 380), bietet einen Überblick über den archäologischen Befund antiker Synagogenbauten zur Zeit des Zweiten Tempels und bis 135 n. Chr., wobei er einräumt, dass die ältesten identifizierten Synagogengebäude nur sehr begrenzt über religiöse Versammlungen des antiken Judentums Aufschluss geben (378).

J. L. Reed, »Stone Vessels and Gospel Texts. Purity and Socio-Economics in John 2« (381­401), vertritt die These, dass die in Joh 2,1­11 erwähnten Steingefäße der Charakterisierung der Hochzeit von Kana als »a rather wealthy wedding« gedient haben (383). Die Untersuchung des archäologischen Befunds spreche gegen ihre Zuordnung zu einer identifizierbaren Gruppe innerhalb des Judentums. Die Bedeutung ihrer Erwähnung in Joh bezeuge seine Vertrautheit mit palästinischen Realien zur Zeit des Zweiten Tempels; ihr Verschwinden nach 70 n. Chr. lasse sogar eine Frühdatierung des vierten Evangeliums wahrscheinlich erscheinen (400).

Mit Steingefäßen im Spiegel der rabbinischen Traditionsliteratur beschäftigt sich S. S. Miller, »Some Observations on Stone Vessel Finds and Ritual Purity in Light of Talmudic Sources« (402­419). M. merkt an, dass das Ende der Produktion solcher Gefäße nach dem Jüdischen Krieg wohl mit dem Niedergang der herodianischen Stein bearbeitenden Industrie zusammenhänge und dass im antiken Judentum das Bedürfnis nach Beachtung der Reinheitsbestimmungen der Tora im Alltag außerhalb von und ohne Supervision der rabbinischen Bewegung existierte.

J. Lev-Tov, »ðUpon what meat doth this our Caesar feed?Ð A Dietary Perspective on Hellenistic and Roman Influence in Palestine« (420­446), weist anhand der Untersuchung von Tierknochen im Fundkontext antiker palästinischer Siedlungen nach, dass der hellenistisch-römische Einfluss nicht im propagierten Verzehr von Schweinefleisch bestanden habe und der Verzicht darauf nicht als Merkmal jüdischer Identität gewertet werden könne, sondern dass »fish consumption was the most marked impact of Rome¹s kitchen on Palestine¹s« (439). Ernährungsgewohnheiten seien kein leistungsfähiges Kriterium zur Unterscheidung ethnischer und religiöser Gruppen: »The popularity of fish indicates that Jews were able to emulate Roman culture without sacrificing their own« (440).

L. Triebel und J. Zangenberg, »Hinter Fels und unter Erde« (447­487), bieten einen Überblick über die antike jüdische Begräbniskultur. Einer Forschungsgeschichte folgen die Darstellung der sozialen Funktionen und religiösen Implikationen des jüdischen Sepulkralwesens in hellenistisch-römischer Zeit, eine Beschreibung von Grabtypen und Bestattungsformen sowie die Erhebung ihrer kultur- und religionsgeschichtlichen Bedeutung. Weder lägen die jüdischen Gebräuche außerhalb des breiten Stroms antiker Bestattungskultur noch ließen sich direkte Zusammenhänge zwischen Bestattungsformen und jüdischen Jenseitsvorstellungen erweisen (477).

Im letzten Beitrag, »Rest in Peace or Roast in Hell: Funerary versus Apocalyptic Portraits of Paradise« (488­500), unterscheidet B. McCane zwischen den Funktionen von Jenseitshoffnungen und Paradiesvorstellungen im Kontext des Bestattungswesens und literarischer »apocalyptic portraits« (489). Während die bildlichen Darstellungen in Grabanlagen die Gemeinschaft mit dem Toten versinnbildlichen, stehen die letzteren Vorstellungen im Zusammenhang mit dem Bedürfnis, sich der Gerechtigkeit Gottes über den Tod hinaus zu versichern (495). Beiden gemeinsam sei die Bedeutung als »projections of the human refusal to give death the last word« (496). Beigegeben sind Verzeichnisse der Schlagwörter (503­512), Orte (513­517), Texte (518­524) und Personen (525­529).

Die Beiträge des gelungenen Sammelwerks machen in überzeugender Weise die Dringlichkeit des Fachdiskurses von Archäologie und neutestamentlicher Wissenschaft deutlich, aber auch die Notwendigkeit methodischer Sorgfalt und theoretischer Begründung dieser Zusammenarbeit. Der instruktive Band stellt eine überaus brauchbare Zusammenstellung solider und anregender Arbeiten zu zahlreichen Aspekten des Verhältnisses der beiden Disziplinen dar.