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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1173–1175

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Eißler, Friedmann

Titel/Untertitel:

Königspsalmen und karäische Messiaserwartung. Jefet ben Elis Auslegung von Ps 2.72.89.110.132 im Vergleich mit Saadja Gaons Deutung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XXII, 700 S. m. 1 Abb. gr.8° = Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism, 17. Lw. Euro 149,00. ISBN 3-16-147706-5.

Rezensent:

Folker Siegert

Was ist aus der israelitischen und jüdischen Messiaserwartung geworden, deren Entwicklung zwischen der Königszeit und dem Bar-Kochba-Aufstand man gut kennt, danach aber weit weniger? Die hier anzuzeigende Arbeit, kein Gesellen-, sondern schon ein Meisterstück (vorher theologische Dissertation bei Stephan Schreiner und Josef van Ess), gibt hierzu eine profilierte und hervorragend dokumentierte Antwort, und zwar als Kostprobe aus den ­ großenteils noch unedierten ­ judäo-arabischen Kommentaren des Jefet ben Eli, eines Karäers aus der zweiten Hälfte des 10. Jh.s. Aus dessen Psalmenkommentar, wie er in den »hebräischen« Handschriften (der Schrift nach so benannt) Nr. 286­289 der Nationalbibliothek Paris in Abschrift aufbewahrt ist, werden hier die Psalmen 2, 72, 89, 110 und 132 in hebräischen Lettern mit gegenüberstehender deutscher Übersetzung abgedruckt (477­661), unter deutlicher Scheidung dessen, was Jefets Übersetzung ist und was sein Kommentar.

Die Übersetzung, so erfährt man auf S. 11, war das eigentliche Ziel Jefets. Bei aller Kenntnis der Targumtradition versucht diese, ganz im Gegenteil, möglichst wörtlich zu sein. Jefet schafft sich hierfür sein Übersetzungsarabisch. Als Kontrast zu Jefet wird sein rabbanitischer Vorgänger und intellektueller Widerpart Saadja mit untersucht, zu dessen Exegesen Jefet die wörtlicheren Alternativen finden möchte gemäß der Hermeneutik (nämlich dem Literalismus) der Karäer. Es nimmt darum nicht wunder, dass wir auf S. 14 erfahren: Jefet lehnt Rabbi Jischmaels Hermeneutik ab, will z. B. von deren Figurenlehre nichts wissen und bewegt sich eher in den Spuren Rabbi Aqibas. Folgendes ist, von vorne verfolgt, die Einteilung der Arbeit: Nach einer 30-seitigen Einleitung, die Auskunft gibt über die Person Jefets, seine Schriften und den Stand von deren Erhaltung und Publikation (nur sein Hosea, Nahum, Daniel und das Hohelied haben bisher einen Abdruck erfahren), präsentiert ein großer II. Teil die fünf ausgewählten messianischen Psalmen (wie sie mit einem zugegeben modernen Ausdruck genannt werden). Er gibt zu den Ausführungen Jefets einen Superkommentar, den man besser auf die Übersetzung von Jefets Kommentar hätte folgen lassen können. Ein kürzerer Teil III ist betitelt »Jefets Übersetzung der Königspsalmen«, Grammatisches betreffend und die Übersetzungstechnik (367­457). Ein IV. Teil »Jefet als Exeget« versucht, dessen ­ meist ja implizite ­ Hermeneutik zu würdigen (459­476). Die Probleme von Jefets Literalismus werden mit einer Verbeugung vor Franz Rosenzweig (476) am Ende vornehm liegen gelassen. Rosenzweig ist einer von denen, die den traditionellen Messianismus auf das jüdische Volk als Ganzes beziehen.

Jefet, der eine seit dem 8. Jh. unter der Karäern wieder aufgeflammte Naherwartung teilt, vermeidet eine hermeneutische Besinnung auf seine Situation. Immerhin lebt er mehr als ein Jahrtausend nach dem Tode des letzten messianischen Propheten und ­ auch nicht unproblematisch ­ in einer tiefen Gespaltenheit des Judentums. Mit ein paar Umstellungen (Babel ist für ihn Bagdad) und Verbindungen (Psalm 2 darf aus Ezekiel 38­39 interpretiert werden ­ so S. 40­48 ) meint er auszukommen. Jefet repristiniert also fast unverändert die biblische Apokalyptik­ wie a. a. O. ein Vergleich mit Jefets Auslegung von Dan 11­12 erweist. Alle Erwartung richtet sich auf einen Messias ben David, also den königlichen Messias, und seine Inthronisation in Jerusalem. Hierbei ist das Wort »Messias« bei Jefet eher selten (immerhin zu Ps 2,2); sonst spricht er von David, Salomo, Josia, oder auch Zidkija (20; Letzteres 159, übrigens in Übereinstimmung mit der Übersetzung Jer 23,6 in der Septuaginta), deren Wiederkehr er in der Zukunft erwartet, meint aber Personen der Zukunft. Der arabische Name al-Quds bezeichnet bei Jefet übrigens nicht die Stadt Jerusalem, wie im Arabischen allgemein, sondern ­ ganz wörtlich ­ das dortige Heiligtum, jenes, dessen Wiederherstellung er für die Endzeit ­ also demnächst ­ erhofft.

Ergiebig, wie zu erwarten, ist bei aller Kürze der Ps 110 und die Auslegung des Titels »Herr«: Während der Königstitel bei Jefet meist für Gott selbst reserviert wird (auch das, ohne dass man es hier erführe, eine Tendenz schon der Septuaginta), ist der dortige »Herr« der zu erwartende Herrscher in Jerusalem, sonst vorzugsweise »Fürst« genannt. Während der Rabbanit Saadja den Ps 110, in ferne Vergangenheit gehend, auf den Sieg Abrahams über die vier Könige (Gen 14) bezieht, aktualisiert ihn Jefet für seine Naherwartung: »Der skizzierten Grundauffassung des Psalms folgend ergeht das ðWort des EwigenÐ in V. 1 an den Messias selbst, der in seiner Funktion als Führer und Befehlshaber des erneuerten Israels mit adon ðHerrÐ angesprochen wird. Innerhalb der jüdischen Tradition eine gewagte Identifizierung, wird sie vom karäischen Exegeten ohne ein Wort zuviel sachlich durch zwei Bibelstellen gestützt, die zunächst schlicht die Bezeichnung des Königs mit adon ðHerrÐ belegen (1Kön 1,11 David; 1Kön 22,17 par. 2Chr 18,16 in der Prophetie des Micha ben Jimla). Der Bezug speziell auf den König Messias ergibt sich aus dem Gesamtentwurf.«

Die Erwartung ist also ganz und gar politisch, und Jefet lässt nichts von alledem in der Vergangenheit abgegolten sein (wie die Rabbinen oft taten). Man fragt sich bei alledem, wie lange die Erwartung einer »nahe bevorstehenden messianischen Zeit« (119) im Karäismus dann vorgehalten und wann sie wohl wieder nachgelassen hat und was aus ihr heute eventuell geworden ist ­ eine vom Vf. nicht aufgegriffene Frage.

Die Stärken der Arbeit liegen also, wie diejenigen Jefets selbst, ganz eindeutig auf philologischem, weniger auf theologischem Gebiet. Für eine Beurteilung des Philologischen kann die lobende Rezension in REJ 163 (2004), 352­354, verglichen werden. Hier nur noch einige Besonderheiten der Materie: S. 5, Anm. 8 bemerkt die Ähnlichkeiten im Vokabular zwischen gewissen Qumranschriften und den Karäern, die schon manchen zum Erstaunen gebracht haben. Hat hier, am rabbinischen Filter vorbei, ein zadokitisches Erbe weitergewirkt? ­ Auf S. 119 werden die sieben Geister des Messias gewürdigt, eine bisher nur aus der christlichen Wirkungsgeschichte der Septuaginta (Jes 11,2) bekannte Auffassung, die aber, dem Vf. unbekannt, in Pseudo-Philons De Sampsone 24 auch schon belegt war. ­ Interessant für heutige Exegeten mag auch Jefets Auffassung sein, dass die Psalmen von verschiedenen Verfassern stammen, gemäß ihren Überschriften, und dass sie durch die Hände von Redaktoren gingen (38 f.116.300). Interessant zu verfolgen ist die Art, wie Jefet Anthropomorphismen auflöst (z. B. 72­77.105). Er macht in einer Bultmann-Lesern nicht unvertrauten Art metaphorische Substantive zu dass-Sätzen.

Zum Schluss Formales: Ein Inhaltsverzeichnis von elf Seiten und ein Anfangssatz von zehn Zeilen sind jeweils reichlich »barock«. Sie taugen eher als wissenschaftlicher Panzer denn als Mittel der Kommunikation. Im Register ist das Neue Testament nicht erwähnt, obwohl gerade zu Ps 110 eine wenigstens indirekte Auseinandersetzung mit Mk 12,36 und Parallelen nicht zu übersehen ist. Die Register, bis S. 700 reichend, sind im Übrigen vorbildlich und nützlich. Im Literaturverzeichnis wird man vielleicht Salmon, Autor eines Psalmenkommentars, vermissen; dieser findet sich auf S. 31 bzw. 668 unter dem Herausgebernamen Alobaidi. Nicht am wenigsten zu loben ist an diesem Buch seine ästhetische Perfektion.

Ein Wort noch zur Länge der Arbeit: Wenn das eine Doktorarbeit war, dann fragt man sich, ob nicht das französische System Recht hat, das nach einer solchen Arbeit von einem künftigen Universitätslehrer nur noch die »Habilitation zum Unterrichten« verlangt. Ob es wohl sinnvoll ist, noch ein solches Buch zu schreiben, um für eine Professur kandidieren zu können?