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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1116–1118

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hübner, Jürgen, Stamatescu, Ion-Olimpiu, u. Dieter Weber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie und Kosmologie. Geschichte und Erwartungen für das gegenwärtige Gespräch.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. X, 519 S. gr.8 = Religion und Aufklärung, 11. Kart. Euro 79,00. ISBN 3-16-0148475-4.

Rezensent:

Joachim Weinhardt

Der Band dokumentiert Konsultationen der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft. Die Hälfte der Aufsätze behandelt die Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Kosmologie. Diese vorwiegend historisch orientierten Texte werden hier nur kurz genannt: B. Ego behandelt die Kosmologie in rabbinischer Literatur (81-98), A. M. Ritter die Christliche Kosmologie in der Alten Kirche (99-112), H. M. Nobis die gewandelte Einstellung der Gelehrten zur Natur im Mittelalter (113-168). J. Zahlten untersucht die Kosmologie in der Kunst des Mittelalters (169-184), Ch. Markschies bietet eine Retractatio seiner Kritik am Konzept der Theologie der gotischen Kathedrale (185-208). F. Möbius stellt kosmologische Aspekte der allgemeinen mittelalterlichen Kirchenarchitektur dar (209-222). G. Brunos Infinitistische Kosmologie wird von J. Seidengart analysiert (223-236), ein zweiter Beitrag von Zahlten ist der Barockkunst gewidmet (237-254).

Die restlichen Beiträge sind dem gegenwärtigen Dialog zwischen Physik und Theologie zugeordnet. Von den vier vertretenen Physikern gibt H. F. Goenner einen sehr dichten Überblick über die Entwicklung der Anschauungen vom physikalischen Kosmos von den Vorsokratikern bis in die Gegenwart (255- 276). J. Ehlers fokussiert auf das aktuelle Standardmodell des Universums (287-306). I.-O. Stamatescu analysiert die religiösen Vorstellungen von Naturwissenschaftlern, u. a. von Planck, Einstein und Heisenberg (307-331). Er unterscheidet dabei vier Grundtypen des religiösen Selbstverständnisses: 1. den epistemologischen Ansatz, wonach Religion notwendig ist, um die Welt im Letzten verständlich zu machen, 2. den naturalistischen Ansatz, wonach Gott ein Moment der Natur oder ganz mit ihr identisch ist, 3. den psychologischen Ansatz, wonach die Religion für Werte, die Naturwissenschaft aber für die Erkenntnis zuständig ist. Nach dem 4. humanistischen Ansatz entfaltet sich der Mensch sozial, und die Religion tritt als Vertrauen im Streben nach Gutem und Wahrem auf (308 f.). Stamatescu wendet bei der Beurteilung dieser Ansätze das Kriterium von St. Weinberg an, dass zu überprüfen sei, ob das, was in den Theorien "Gott" heißt, nicht nur eine Metapher für eigentlich nichtreligiöse Größen sei (317 f.). Stamatescu meint, dass zwar in vielen Religionskonzepten von Naturwissenschaftlern kein persönlicher Gott vorkomme, dass sie aber dennoch nicht-trivial seien (331). J. Audretsch untersucht die Rahmenbedingungen für den interdisziplinären Dialog (279-285). Es liege eine grundlegende Asymmetrie vor: Theologische Vorstellungen seien für die Physik als Fach irrelevant. Dagegen müsse die Theologie fachübergreifend sein, denn sie "darf inhaltlich nicht in Widerspruch zu wissenschaftlichen Aussagen anderer Disziplinen geraten" (280). Dabei ist vorausgesetzt, dass die Theologie über einen eigenen Aussagebereich verfügt und dass sie wesensmäßig mit anderen Disziplinen in Berührung kommt. Audretsch warnt die Theologie davor, "eigene umfangreiche Beiträge zum Wissenschaftsbereich des Partners zu leisten", da solche Versuche "oft fragwürdig" ausfielen (282). Die Beiträge der Physiker sind miteinander kompatibel, es zeigen sich keine verschiedenen Positionen. Anders verhält es sich bei der Theologie. Das liegt mit daran, dass die Theologen tatsächlich weit mehr auf die Naturwissenschaft zugehen (und damit Audretsch Recht geben), als die Physiker sich auf die Theologie einlassen.

D. Evers schreibt über Das Verhältnis von physikalischer und theologischer Kosmologie (43-57). Er geht mit D. Ritschl davon aus, dass die Theologie zu ihrer eigenen Entfaltung sich zu den jeweiligen kosmologischen Modellen verhalten muss. Dennoch sei die Kosmologie nicht als "Leitperspektive" anzusehen, was seine Ursachen im Wesen der biblischen Religionen habe (43 f.). In der Gegenwart wirke noch der Zerfall des mittelalterlichen biblisch-aristotelischen Weltbildes nach, so dass die Theologie sich oft auf existenzielle und soziale Aspekte begrenze, um Probleme mit der Naturwissenschaft zu vermeiden (49). E. fordert, dass sich die Theologie um ihrer selbst und um des Glaubens willen nicht verabschieden dürfe von den Einsichten der Naturwissenschaft über die Welt des Menschen (50). Er stellt fest, dass auch manche Naturwissenschaftler den Bereich der methodisch abgesicherten Aussagen überschreiten, um physikalische Modelle in eine universale Weltanschauung zu integrieren (54). Der Dialog findet also nicht zwischen Naturwissenschaft und Theologie, sondern zwischen meta-physikalischen und christlichen Weltanschauungen statt.

J. Fischer wendet sich gegen Versuche, Gott im Denkrahmen der Naturwissenschaft als den Schöpfer aufzuweisen (367). Die von ihm genannten Moltmann und Link haben aber gar keinen naturwissenschaftlichen Beweis, sondern lediglich ein Verständlichmachen von Gottes Schöpfertum im Dialog mit der Naturwissenschaft anvisiert. Fischer fordert dagegen, die Natur in einem anderen Sitz im Leben als dem theoretischen Diskurs zu thematisieren, nämlich im Lob des Schöpfers (367 f.). Doch nähert er sich der etwas steil interpretierten Gegenposition merklich an, wenn er der Theologie die Aufgabe stellt, Denkmöglichkeiten für den Schöpfungsglauben im Dialog mit der Naturwissenschaft auszuarbeiten (370). S. Vollenweider schließlich (61-80) koppelt die Theologie eng an die Naturwissenschaft an. Er will eine "Christusförmigkeit des Kosmos" (77) nachweisen, im Sinne eines Gleichnisses, wobei die Naturwissenschaft als Bildspenderin fungiert (75): Der Weltprozess ist irreversibel, indem mit der Zeit immer mehr Energie und Ordnung in Entropie (Wärme, Unordnung) umgesetzt wird. Dabei gibt es jedoch relativ isolierte Orte, an denen evolutionär sogar neue Ordnungsstrukturen entstehen, so dass die Entropie zwar im Gesamtuniversum zu-, in einzelnen Segmenten jedoch abnimmt. Dies sei ein Gleichnis für das Kreuz Jesu und seine Auferstehung, wobei das Kreuz der Entropiezunahme (Zerstörung von Ordnung), die Auferstehung der neuen Struktur entspricht. Es stellt sich hier die Frage, ob dieses Gleichnis sinnvoll ist. Denn es ist schief - wenn die Auferstehung Jesu der lokal begrenzten Entropieabnahme entspricht, dann hieße das, dass insgesamt doch der Tod triumphiert; und es erklärt nichts - weder Ostern physikalisch, noch den Kosmos christologisch.

Der Philosoph R. Vaas diskutiert das anthropische Prinzip (375-498). Das anthropische Prinzip hat zur Voraussetzung, dass das Universum Strukturen hat, die bewusstes Leben ermöglichen. Das kosmologische Standardmodell erlaubt es, dass in der Anfangssingularität ("Urknall") auch andere Universen hätten entstehen können. Das anthropische Prinzip besagt in seiner schwachen Form, dass wir das Universum beobachten können, weil es faktisch die - statistisch sehr unwahrscheinliche - Struktur hat, die es hat ("Feinabstimmung"). Wäre ein anderes Universum entstanden, gäbe es uns nicht, und niemand würde auf seine Struktur reflektieren. Das starke anthropische Prinzip behauptet, das Universum müsse so beschaffen sein, dass in ihm irgendwann Bewusstsein entsteht (390 f.). In dieser Fassung dient das anthropische Prinzip manchen Autoren als Analogon zum physikotheologischen Gottesbeweis. Vaas zeigt aber, dass schon die Voraussetzung des anthropischen Prinzips, die Feinabstimmung, nicht unbedingt notwendig ist und dass es auch alternative kosmologische Theorien gibt, die das anthropische Prinzip überflüssig machen.

Der Band eignet sich vorzüglich zum Einstieg in den interdisziplinären Dialog, weil alle Beiträge sich um allgemeine Verstehbarkeit bemühen.