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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1102 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Fischer, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Erfahrung Gottes. Sanjuanistische Kreuzestheologie als Antwort auf moderne Gottesaussagen.

Verlag:

Würzburg: Echter 2004. X, 252 S. gr.8. Kart. Euro 25,00. ISBN 3-429-02580-X.

Rezensent:

Erik A. Panzig

Der katholische Theologe Hermann Fischer (Jahrgang 1968) legt mit dieser Arbeit seine im Jahr 2002 an der Universität Augsburg zugelassene Dissertation vor. Sie widmet sich dem spanischen Mystiker, Dichter und Karmeliten Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz, 1542-1591) und dessen Theologie, die sich ausgehend von Johannes vom Kreuz' bekanntestem mystischen Gedicht Noche escura del alma (Die dunkle Nacht der Seele) als das Trachten der Seele nach der Vereinigung mit Gott beschreiben lässt. Diese wird durch Erfahrung erreicht, die dem Modell des königlichen Weges folgt und darin eine Parallele zur Kreuzigung und Auferstehung Jesu darstellt. So wird die erste Hälfte des Titels der Arbeit verständlich (der Terminus sanjuanistisch lässt aber nicht sofort auf Johannes vom Kreuz schließen). Im zweiten Teil des Titels werden moderne Gottesaussagen genannt, auf die Johannes vom Kreuz und seine Theologie der Erfahrung Gottes Antwort geben sollen. Dahinter verbergen sich mehrere Entwürfe evangelischer Theologen des 20. Jh.s (u. a. Barth, Bultmann, Tillich), die - so F. - Versuche darstellen, die Erfahrung Gottes aus dem Verständnis des jeweiligen Zeitgeistes heraus zu definieren, um daraus Rückschlüsse auf Gott selbst zu erheben. Da diese aber nur einzelne Aspekte einer persönlichen Gotteserfahrung beleuchten und damit eher Fragen aufwerfen als Antworten anbieten, sieht F. in der Kreuzestheologie des Johannes vom Kreuz eine geeignete Lösung zur Beantwortung der innerhalb der modernen Theologie unbeantwortet und ungelöst gebliebenen Frage nach der Erfahrbarkeit Gottes durch den Menschen.

F. gliedert seine Arbeit nach einer sehr kurzen Einleitung (1-5) in fünf Kapitel. Das erste Kapitel (7-26) will die Grundbedingungen der Theologie des Kreuzes festhalten, die Johannes vom Kreuz im 16. Jh. zum karmelitischen Reformgeist des goldenen spanischen Zeitalters haben werden lassen. F. zeichnet zuerst die geistlichen Lebenslinien des Mystikers nach, um schließlich auf die geistliche und mystische Tradition der Karmeliter einzugehen.

Ein zweites Kapitel (27-76) widmet sich ausführlich dem Wesen der Mystik überhaupt, indem neben Überlegungen zu den strukturellen Grundlagen von Mystik besonders der Vollendung der Seele in der unio mystica nachgegangen wird. F. orientiert sich zur Erhebung dieser philosophisch-theologischen Grundbestimmung an Plotin, Dionysius Areopagita und Meister Eckhart.

Das dritte Kapitel (77-172) entfaltet nun die Theologie des Johannes vom Kreuz in einem Dreischritt als "sanjuanistische Mystik", indem 1. ein mystischer Weg des Johannes vom Kreuz bis zur Vereinigung mit Gott dargestellt, 2. die Liebe als realer Grund der unio mystica genannt und 3. die Erfahrung der Liebe Gottes im Kreuz vorgestellt wird.

Im vierten Kapitel (173-208) werden in knapper und programmatischer Weise vier Beispiele aus der evangelischen Theologie des 20. Jh.s benannt, die die Frage nach Gott in einer nichttheistischen und/oder atheistischen Erfahrungswelt zu beantworten suchen: Karl Barth (Die Entobjektivierung Gottes), Rudolf Bultmann (Die Entmythologisierung der christlichen Glaubenslehre), Paul Tillich (Der Gott des absoluten Glaubens) und Dorothee Sölle (Atheistische Gotteserkenntnis in einer "Gott-ist-tot"-Theologie).

Schließlich setzt das fünfte Kapitel (209-238) die Beispiele des vierten Kapitels in den Kontext der Theologie des Johannes vom Kreuz, um Letztere als vorweggenommene Antwort auf moderne Gottesaussagen darzustellen. F. will hier zeigen, dass die Theologie des Kreuzes auch heute in vollem Umfang Gültigkeit besitzt und dass die Aktualität der Theologie des Johannes vom Kreuz eine umfassende Antwort auf die Unzulänglichkeit moderner Gottesaussagen bietet.

Es ist zu fragen, inwiefern die Entwürfe deutscher, evangelischer Theologen des 20. Jh.s in ihrer situativen Besonderheit überhaupt mit dem Konzept eines spanischen Mystikers des 16.Jh.s vergleichbar und gegeneinander abwägbar sind. Ist nicht auch die Erfahrung Gottes des Johannes vom Kreuz in ihrer Situationsbezogenheit wahrzunehmen?

Nachdem Johannes vom Kreuz 1568 das erste Kloster der Unbeschuhten Karmeliter eröffnete, seine Versuche, das klösterliche Leben zu reformieren, aber letztlich scheiterten und zwischen 1576 und 1577 zu seiner Inhaftierung führten, hebt im Gefängnis der Höhepunkt seiner theologischen und dichterischen Arbeit erst an. So hätte sich dann möglicherweise ein Vergleich mit dem Werk Dietrich Bonhoeffers eher gelohnt, wenn schon deutsche, evangelische Theologie des 20. Jh.s mit spanischer Mystik des 16. Jh.s verglichen werden soll.

Andererseits fehlt in der Arbeit jeglicher Hinweis auf das geistige und geistliche Umfeld des Johannes vom Kreuz. Zumindest seine Landsmännin und Zeitgenossin, die heilige Theresa von Avila, die bei der Gründung eines neuen Ordenszweigs der Karmeliter Johannes um Hilfe bat, hätte erwähnt werden können.

F. legt eine gut lesbare Arbeit zur Kreuzestheologie des Johannes vom Kreuz vor. Dass diese eine Antwort auf moderne Gottesaussagen sein soll, bleibt allerdings Postulat.

Schließlich sei noch auf einige formale Besonderheiten hingewiesen: Das Quellen- und Literaturverzeichnis fällt äußert knapp aus. So nennt das Quellenverzeichnis lediglich 20 Titel und das Literaturverzeichnis 71 Titel. Es fehlt u. a. jeglicher Hinweis auf Karl Barths Kirchliche Dogmatik. Dietrich Bonhoeffer bleibt völlig unerwähnt. Ungewöhnlich ist weiterhin, dass sich F. in erster Linie auf ältere Sekundärliteratur stützt. Die meisten Titel entstammen den Jahren 1950-1990, nur wenige Titel sind neueren Datums, kein Titel aus der Zeit nach 2000 ist zu finden. Der Arbeit ist ein Abkürzungsverzeichnis beigegeben. Ein Personenregister fehlt.