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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1087–1089

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

1) Reuchlin, Johannes 2) Reuchlin, Johannes

Titel/Untertitel:

1) Briefwechsel. Bd. I: 1477-1505. Unter Mitwirkung v. S. Rhein bearb. v. M. Dall'Asta u. G. Dörner.

2) Briefwechsel. Bd. II: 1506-1513. Bearb. v. M. Dall'Asta u. G. Dörner.

Verlag:

1) Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1999. LXVI, 505 S. gr.8. Lw. Euro 91,00. ISBN 3-7728-1983-6.

2) Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2003. LXVI, 727 S. gr.8. Lw. Euro 128,00. ISBN 3-7728-1984-2.

Rezensent:

Helmar Junghans

Nachdem die Berliner Ausgabe "Johannes Reuchlin: Sämtliche Werke" - die auf circa elf Text- und sechs Kommentarbände veranschlagt ist - 1996 im selben Verlag zu erscheinen begonnen hat, folgt seit 1999 die auf vier Bände geplante Edition von R.s Briefwechsel. Dieser ist überschaubar, denn die ersten beiden Bände enthalten aus ihm gerade einmal 231 Briefe. Er umfasst also etwa 5 % von "Melanchthons Briefwechsel", der seit 1977 im selben Verlag erscheint. Der relativ geringe Umfang bietet die wahrgenommene Möglichkeit, die Ausgabe mit ausführlichen Erläuterungen und Begleittexten auszustatten.

Die Einleitung zu dem jeweiligen Band informiert ausführlich über die handschriftliche Überlieferung und die bisherigen Drucke der in ihm enthaltenen Stücke. An die Briefkultur der Antike anknüpfend nutzten die Humanisten von Petrarca an die Gattung des freundschaftlichen Briefes, um ihre Gedanken zu verbreiten. Briefsammlungen wurden zunächst handschriftlich, dann gedruckt in Umlauf gebracht. So verbreitete Marsilio Ficino seine platonischen Anschauungen besonders mittels seiner 1495 veröffentlichten Korrespondenz. R. gab 1514 unter dem Titel "Clarorum virorum epistolae" sieben eigene und 100 an ihn gerichtete Briefe heraus, die von 62 verschiedenen Absendern stammten. Johannes Hildebrand und Philipp Melanchthon betonten zwar in ihren Vorreden, diese Sammlung sollte dem Nutzen der gelehrten Welt und als Vorbild der studierenden Jugend dienen, sie demonstrierte aber zugleich, dass der angefeindete R. eine angesehene Persönlichkeit in einem humanistischen Netzwerk war, das Exilgriechen, italienische, französische und deutsche Humanisten sowie deren Förderer umspann und bis zu den Erfurter Humanisten reichte. Die lateinischen, griechischen und hebräischen Briefe bekundeten zugleich, dass R. das humanistische Ideal eines homo trilinguis erfüllte. Diese apologetische Absicht trat 1519 in der unter dem Titel "Illustrium virorum epistolae" nachfolgenden erweiterten Auflage noch stärker hervor. Sie enthielt 80 weitere Stücke, die vorrangig R.s Haltung gegen die Vernichtung des jüdischen Schrifttums unterstützten. Diese beiden Drucke sind wichtige Quellen für die vorliegende Briefwechseledition, denn die Originalbriefe sind nicht erhalten. Glücklicherweise sind wenigstens einige dieser Briefe unabhängig von diesen Drucken handschriftlich überliefert, so dass die Bearbeiter feststellen konnten, dass die Texte sorgfältig - keinesfalls von R. "redigiert"- zum Druck gebracht und lediglich in ihren Überschriften umformuliert wurden.

Die Edition bietet nicht nur Texte, die seit dem 16. Jh. nicht wieder gedruckt worden sind, sondern auch einige bisher ungedruckte. Für den ersten Band sind davon elf aufgelistet, allerdings werden im Widerspruch dazu bei den Briefen 67 und 133 Drucke aus dem 16. Jh. angegeben.

Die Edition der Briefe wird durch "Appendizes" ergänzt. Im Band 1 sind das R.s Lizentiatsdiplom vom 14. Juni 1481, ihn betreffende Eintragungen in württembergischen Landschreiberrechnungen, die Ernennungsurkunde zum Hofpfalzgrafen vom 24. Oktober 1492 und die Urkunde seiner Bestallung zum pfälzischen Rat und Prinzenerzieher vom 31. Dezember 1497 enthalten. Im Band 2 sind zu den Bundesgerichtsprozessen Oettingen gegen Bayern 107, Oettingen gegen Brandenburg 32 und Egloff von Rietheim gegen Türkheim drei Schriftstücke - meist nur als Regest - sowie das Mandat Maximilians I. zur Konfiskation von R.s "Augenspiegel" vom 7. Oktober 1512 angehängt.

Die Bände sind großzügig ausgestattet. Die Einleitung skizziert R.s Leben in dem jeweiligen Zeitabschnitt als Hintergrund für die Texte. In Band 2 wird R. dabei als Hebraist, werden der Judenbücherstreit und R. als Richter des Schwäbischen Bundes behandelt. Eine Zeittafel listet die einzelnen Vorgänge - einschließlich das Verfassen von Schriftstücken - mit Quellenhinweis auf. Darauf folgt das "Verzeichnis der Briefe und Appendizes". Den Brieftexten geht ein ausführliches Regest voraus. Den griechischen und hebräischen Briefen sind lateinische Übersetzungen beigegeben, die - wie die Bearbeiter annehmen - zum Teil von R. stammen. Der historische Sachkommentar ist breit angelegt, da er auf einen interdisziplinären Benutzerkreis zielt.

Jeder Band ist mit einem Stellenverzeichnis - 1. Bibelstellen, 2. Sonstige Zitate, Anspielungen und Verweise -, einem Personen- und einem Ortsregister versehen. Das Personenregister lässt erkennen, ob die jeweilige Person in dem edierten Schriftstück - gegebenenfalls auch als Verfasser oder Empfänger - oder nur in den Erläuterungen erwähnt wird und wo das dazugehörige Biogramm zu finden ist.

Diese Briefedition genügt den Ansprüchen einer kritischen Quellenausgabe. Sie führt durch ihren Umfang und ihre Kommentierung weit über die bisherige Überlieferung hinaus. Sie ist aber auch inhaltlich von besonderem Wert, denn sie ist eine wichtige Quelle für das Studium des deutschen Humanismus. Sie erleichtert den Zugang zu Interessen und Beziehungen vieler Humanisten dieser Zeit. Weil sie von R. selbst edierte Briefe enthält, werden damit Texte erschlossen, die seine Zeitgenossen zur Kenntnis genommen haben und die deren Urteil über Humanisten prägten. Das Interesse an ihnen reichte bis in die zweite Hälfte des 16. Jh.s, wie der Nachdruck der "Clarorum virorum epistolae" von 1558 in Zürich annehmen lässt. Bemerkens- wert ist dabei, dass Erasmus von Rotterdam bis 1513 nur einmal erwähnt wird, nämlich als Konrad Peutinger am 12. Dezember 1512 R. mitteilte, er habe das "Encomium moriae" des Erasmus gelesen, der darin Juristen und Theologen kritisiere. R. ging in seiner Antwort darauf nicht ein. So gewährt R.s Briefwechsel einen aufschlussreichen Einblick in den deutschen Humanismus am Anfang des 16. Jh.s, dessen Wurzeln in Italien lagen, der die Verbindung dorthin pflegte, in Oberdeutschland, Basel und Zürich seinen Schwerpunkt hatte und sich bis in den mitteldeutschen Raum erstreckte.