Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1083–1085

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Öberg, Ingemar

Titel/Untertitel:

Bibelsyn och Bibeltolkning hos Martin Luther.

Verlag:

Skellefteå: Artos (2002). 592 S. 8 = Studier i Systematisk Teologi vid Åbo Akademi, 27. Kart. SEK 322,00. ISBN 952-12-1045-1.

Rezensent:

Torbjörn Johansson

Im Vorwort zu seiner Monographie Bibelsyn och bibeltolkning hos Martin Luther schreibt Ingemar Öberg, Professor emeritus, dieses Buch sei das Ergebnis von mindestens acht Forschungsjahren. Der Anspruch des Buches ist wirklich so groß, wie der Titel sagt. Gegenstand seiner Untersuchung ist Luthers Gesamtwerk, das heißt, dass er sich - wie er selbst sagt - eine gigantische Forschungsaufgabe stellte. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass Ö. früher bereits zwei große Monographien über die Theologie Martin Luthers geschrieben hat, jede ungefähr 600 Seiten stark.

Die von ihm angewandte Methode beschreibt er so: "Ich habe so treu wie möglich aufzeigen wollen, was Luther de facto gesagt, geschrieben und behauptet hat, nicht was Luther nach Meinung des einen oder anderen Forschers behauptete." Bei diesem Ansatz ad fontes wurde jedoch nicht die Sekundärliteratur außer Acht gelassen, sondern hauptsächlich in den Fußnoten diskutiert. In der Darstellung selbst will Ö. von einem immanenten Studium des Gesamtwerkes Luthers her ganz einfach dessen Standpunkte wiedergeben, und zwar unter Beachtung der historischen Situation und der Entwicklung Luthers. Zur Methode Ö.s gehört auch, dass er seine eigene Interpretation in ausführlichen, originalsprachlichen - meistens lateinischen - Zitaten in den Fußnoten belegt.

Die Untersuchung besteht aus drei Teilen, wobei der erste chronologisch aufgebaut ist, die beiden anderen thematisch. Der Entwicklung Martin Luthers von 1513 bis 1519 wird im ersten Teil nachgegangen. In den beiden anderen Teilen setzt sich Ö. mit der Periode von 1520 bis 1546 thematisch auseinander: Der Teil II trägt die Überschrift: "Grundlegende Prinzipien in Luthers Schriftauffassung", Teil III: "Die Arbeit Luthers mit den Texten der Bibel und ihre Interpretation".

Teil I beginnt mit einem kurzgefassten Überblick darüber, wie die Kirche von der Zeit der Apostel bis zur Zeit der Reformation mit der Bibel umgegangen ist. Der Abschnitt setzt eigentlich schon vor der Zeit der Apostel an, weil von Anfang an das Selbstzeugnis des Alten Testaments hervorgehoben wird. Diesen einleitenden, kurzen Abschnitt über die eigenen Ansprüche des Alten und des Neuen Testaments sollte man nicht allzu schnell durchlesen, weil hier die Frage nach der Norm der Theologie vorangestellt wird. Wird das Schriftprinzip von Luther der Schrift zugeordnet oder kommt es aus der Schrift selbst? Für Luther ist es natürlich entscheidend aufzuzeigen, dass es die Heilige Schrift selbst ist, die das sola scriptura lehrt. Diesen kurzen Abschnitt würde Luther selbst vermutlich als den wichtigsten des ganzen Buches ansehen. Aber auch wenn Luthers eigene Argumentation von Ö. dargestellt wird, so werden doch die angeführten Schriftstellen angegeben und oft zitiert.

Im Teil II werden drei verschiedene Problemkomplexe abgehandelt: die natürliche und besondere Offenbarung Gottes, die Autorität, Kraft und Inspiration der Heiligen Schrift und die Schrift in Relation zu anderen Autoritäten.

Im Teil III werden die Kanonfrage, die buchstäbliche Interpretation der Texte und die claritas scripturae behandelt. Weiter werden die Regeln der Interpretation dargelegt, und es wird gezeigt, dass das Thema Gesetz - Evangelium mit zur Bibelauslegung gehört. In einem abschließenden Kapitel zeigt Ö., wie Luther Jesus Christus, seine Person und sein Werk, als Zentrum und Mitte der Schrift betrachtet.

Ein Rezensent mag versucht sein, nur umstrittene Forschungsprobleme herauszustellen. Aber es ist eine der Absichten Ö.s, Luthers eigene Anliegen herauszustellen und weniger zentrale Fragen am Rande stehen zu lassen. Außerdem ist es so, dass zentrale Teile in Luthers Schriftauffassung dem heutigen Zeitgeschmack entgegenstehen. Eigentlich werden alle diskutierten Probleme in diesem Buch angesprochen, aber Ö. strebt eine ausgeglichene Schilderung der Haltung Luthers gegenüber der Schrift an. Er meint, dass die Sekundärliteratur in der Behandlung von Teilproblemen bisweilen ein schiefes und verkehrtes Bild gegeben hat. Ich möchte darum einen Gedanken aus Ö.s Buch hervorheben, der - wie gesagt werden darf - in medias res führt und den Ö. selbst als in der Lutherforschung allzu wenig beachtet ansieht, nämlich das, was Ö. "Luthers Lehre von der Offenbarungskette" nennt.

Eine fundamentale Grundhaltung Luthers ist, dass die Schrift Gottes Offenbarung ist. Die Heilige Schrift ist ganz einfach Gottes eigenes Wort, das er gesprochen und geschrieben hat. Der Mensch ist aufgerufen, zu glauben und zu gehorchen. Er steht unter dem Wort, nicht darüber, und er soll nicht das, was Gott gesprochen hat, schulmeistern. Luther schreibt (1543): "Die Heilige Schrift gehört nicht den Juden, nicht den Heiden, auch nicht den Engeln und erst recht nicht den Teufeln, sondern sie gehört Gott allein. Er hat sie selbst gesprochen und geschrieben."

Diese Haltung Luthers ist kein blind übernommener Autoritätsglaube, sondern eine durchdachte Haltung. Die Offenbarungskette bedeutet, dass der dreieinige Gott seinen Willen und seine Gnade zuerst durch die Worte der Propheten, dann durch Jesus Christus und dann durch die Worte der Apostel vermittelt hat. Diese Kette ist trinitarisch motiviert und hat folgende Glieder: Die göttliche Majestät an sich, den deus nudus, kann der Mensch nicht erreichen. Aber dieser Gott hat sich offenbart: Das geschah in der Zeit des Alten Testaments an verschiedenen Orten, durch verschiedene Gestalten und Schriften, aber dann vor allem durch die Inkarnation des Sohnes. Luther hebt die Identität zwischen den Worten des Vaters und den Worten des inkarnierten Sohns hervor. Es ist der Sohn, der Fleisch und Blut geworden ist, der als ein wahrer Mensch zu allen anderen Menschen von himmlischen Dingen sprechen kann. Die Worte des Menschensohnes sind die Worte des ewigen Gottes.

Das nächste Glied in dieser Kette sind die Worte des Heiligen Geistes durch die Apostel in den Evangelien und Briefen des Neuen Testaments. Luther zeigt, wie der Sohn selbst verheißen hat, dass der Geist kommen wird und die Apostel alles lehren und sie an das erinnern wird, was der Sohn gesagt hat. Mit Hinweis auf Augustins Kampf gegen die Manichäer sagt Luther, dass dieses Werk des Heiligen Geistes durch die Apostel abgeschlossen ist. In den Schriften der Apostel im Neuen Testament hat man das Schlussglied in der Offenbarungskette. Natürlich meint Luther, dass der Heilige Geist auch wirksam ist, wenn danach diese Worte verkündigt werden, aber dennoch ist diese Auslegungstradition kein selbständiges Glied in der Offenbarungskette und nicht normierend. Auf diese Weise finden wir bei Martin Luther, was Ö. eine durchdachte, trinitarisch aufgebaute Argumentation für das sola scriptura nennt.

Luthers Glauben an das Wort der Schrift als ein Wort aus Gottes eigenem Mund nennt Ö. einen "kräftigen" oder "massiven" Bibelglauben. Dieser Glaube umfasst alles in der Schrift, nicht nur die Verheißung der Gnade, sondern z. B. auch die neutestamentlichen Regeln für das Gemeindeleben und das christliche Leben.

In der Zusammenstellung und pädagogischen Darstellung des umfangreichen Luthermaterials hat Ö. eine große Leistung für die Forschung vollbracht. Alle, die quellenbeachtende Forschung schätzen, werden von seinem Buch Nutzen haben.