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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1081–1083

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Martin Bucers Deutsche Schriften. Bd. 11,2: Schriften zur Kölner Reformation. Bearb. v. Th. Wilhelmi.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2003. 496 S. gr.8 = Martini Buceri Opera Omnia, I: Deutsche Schriften, 11,2. Lw. Euro 128,00. ISBN 3-579-04896-1.

Rezensent:

Irene Dingel

Der nun vorliegende zweite Teilband der im Zusammenhang der Kölner Reformation erstellten Schriften Martin Bucers umfasst drei umfangreiche Stücke: zunächst seine "Zweite Verteidigungsschrift" (1543), die die Hälfte des gesamten Bandes einnimmt, sodann B.s Ausführungen "Von den einigen rechten Wegen und Mitteln, deutsche Nation in christlicher Religion zu vergleichen" (1545) und schließlich seine unter dem Titel "Wie leicht und füglich christliche Vergleichung der Religion zu finden" (1545) zusammengefassten Überlegungen. Sie stammen alle aus jener Zeit, in der sich B. auf Einladung des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied - seit dem 14.12.1542 - in Bonn aufhielt. In dessen Auftrag hatte er im Januar 1543 mit der Abfassung eines Reformationsentwurfs begonnen, des in Bd. 11,1 edierten "Einfältigen Bedenken", das sogleich Einwände seitens der Universität Köln hervorrief.

Schon damals hatten sich B. und der ebenfalls beteiligte Melanchthon mit einer "Christlichen und wahren Verantwortung" verteidigt. Aber B. meldete sich 1543 darüber hinaus mit einer weiteren "Zweiten Verteidigungsschrift" zu Wort, die neue Angriffe und Verunglimpfungen seitens des Kölner Klerus, darunter des Karmeliterprovinzials Eberhard Billick, zum Gegenstand hatte. B.s Anliegen ist es, die hinter dem Reformationswerk stehende Autorität Gottes aufzuweisen, während alle Einwände dagegen als Menschenwerk in sich zusammenfallen. Um dies deutlich zu machen, verhandelt er sechs "Loci": Erbsünde, gute Werke und ihre angebliche Verdienstlichkeit, Heiligenverehrung, Konfirmation bzw. Firmung, Abendmahl und Messe sowie die Frage der Ordnung und Organisation der christlichen Gemeinden bzw. Kirche. Eine Zurückweisung der Angriffe auf die protestierenden Stände, die Stadt Straßburg und die eigene Person schließt sich an. Die Schrift zeigt B. in direkter Auseinandersetzung mit seinen Gegnern, deren Argumente er gezielt widerlegend aufgreift. Dabei unterstellt er sich dem Urteil des Lesers, wohl wissend, dass er auf die göttliche Legitimation seines Reformationswerks bauen kann. Dem dienen auch die zu Beginn zahlreichen bekenntnisartigen Formulierungen und die Kontraststruktur der Ausführungen. Rechte Lehre wird der falschen entgegengesetzt, rechte Bräuche den Missbräuchen. Dabei rekurriert B. nicht nur auf die Heilige Schrift, sondern lässt auch das Kirchenrecht und die Tradition der Kirchenväter gelten.

Die beiden weiteren hier edierten apologetischen Texte stammen - so der Bearbeiter - aus dem Frühjahr und Sommer 1545. Es handelt sich um die Schriften "Von den einigen rechten Wegen und Mitteln, deutsche Nation in christlicher Religion zu vergleichen" und außerdem "Wie leicht und füglich christliche Vergleichung der Religion zu finden", denen ein Zerwürfnis zwischen B. und Gropper vorausgegangen war, mit welchem der Straßburger noch bis Ende 1542 in freundschaftlicher Verbindung gestanden hatte.

Bei der Übertragung des Titels "Von den einigen rechten Wegen ..." in eine zitierfähige neuhochdeutsche Überschrift ist unglücklicherweise der Satzteil "und Mitteln" weggefallen - vgl. das Inhaltsverzeichnis und S. 249-, während die den edierten Text begleitende Kopfzeile korrekt ist. Die Schrift ist übrigens nicht, wie in der Einleitung des Bandes angegeben, auf den Seiten 351-454 abgedruckt, sondern vorgezogen auf S. 249-349. Entstanden ist sie - laut Angabe S. 249 - "Ende Mai bis Juni 1545", also wohl nicht, wie in der Einleitung S. 19 vermerkt im Juli 1545. Man könnte deshalb vermuten, dass hier durch nachträgliche Korrektur der chronologischen Reihenfolge Konfusion entstanden sei. Aber die daran anschließend abgedruckte Schrift "Wie leicht und füglich ..." erschien, wie man den Ausführungen S. 353 entnimmt, "schon im März oder April in Straßburg im Druck" und demnach noch früher, so dass die Reihenfolge des vorliegenden Abdrucks falsch und die ursprünglich in der Einleitung vorgesehene, aber nicht eingehaltene, korrekt sein dürfte.

Beide Schriften haben gemeinsam, dass das Religionsgespräch in Worms und Regensburg in ihnen noch nachwirkt. B. rekapituliert in "Von den einigen rechten Wegen" das zurückliegende Kolloquium gegen Groppers Vorwürfe, er sei bei der Kölner Reformation von seiner damals geäußerten Lehre abgewichen. Stattdessen bezichtigt er in Beantwortung von Groppers Vorwürfen diesen des Sinneswandels. In seiner an Kaiser und Reichsstände gerichteten Schrift "Wie leicht und füglich" dagegen unternimmt B. einen weiteren Versuch, eine Entscheidung für ein freies Nationalkonzil ohne Beteiligung des Papstes herbeizuführen. Dennoch schlägt auch hier die Kontroverse mit Gropper in Bezugnahme auf die Kölner Situation durch. Die gesamte Argumentation B.s, die zusätzlich zur Heiligen Schrift sowohl die Väter als auch das Recht heranzieht, dient dazu, den Gegner sozusagen mit den eigenen Waffen zu schlagen.

Der Band präsentiert B. als Autor von Streitschriften und eingebunden in heftige Kontroversen. Dabei kommt auch seine - z. B. im Blick auf die Abendmahlslehre - typische Theologie zum Ausdruck, vor allem aber seine Gewandtheit in der Handhabung von argumentativen Mitteln, die gemeinhin der altgläubige Gegner ins Feld führte: die Tradition und rechtliche Gesichtspunkte. Im Blick auf die Verflechtung B.s in die herrschenden Kontroversen um die Kölner Reformation sind die Einleitungen zu den Schriften aufschlussreich und ermöglichen eine erste Orientierung. Ausgesprochen wertvoll für ein gezieltes Erschließen des Materials sind die Register am Ende, von denen besonders das Register von Zitaten und Belegen der Bucer-Forschung gute Dienste erweisen dürfte.

Dieser insgesamt durchaus positive Eindruck wird dann leider doch auch ein wenig getrübt. Denn inadäquat für eine solch wertvolle Edition sind die Layout-Schwierigkeiten am Ende des Bandes. Dies betrifft z. B. die Überschriften des zweiten und dritten edierten Textes, die im Vergleich zur "Zweiten Verteidigungsschrift" zu klein geraten und deshalb nicht gleich als Titel identifizierbar sind; die Kopfzeile S. 351 ist falsch und fehlt dann durchgehend auf den folgenden Seiten. Schwierig ist die Art und Weise, wie die Foliierung bzw. die Bogenzählung in der Edition umgesetzt wird, z. B. S. 200: "cxviija/Ggija" - warum beide Angaben und warum nicht einfach "118a" oder "Gg2a"? Auch die bisher übliche Durchnummerierung der edierten Schriften, wie sie im Inhaltsverzeichnis angegeben ist, wird nicht durchgehalten. Damit verlässt der Band die inzwischen etablierte und bewährte Verfahrensweise. Bei den Worterläuterungen hätte man durchaus sparsamer sein können. Sie sind hypertroph und manchmal fraglich, so z. B. ist ein "summarischer Begriff" nicht einfach nur ein summarischer "Inhalt", sondern kann - darüber hinausgehend - eine Art "corpus doctrinae" (32), ein Kompendium also meinen, und die "verletzte" Natur in der Worterläuterung in "gefallene" Natur umzudeuten, ist theologisch nicht unbedingt adäquat und überflüssig. Generell zu begrüßen ist das Einfügen von Textabschnitten, wobei - wie in der "Zweiten Verteidigungsschrift" - zu viele Absätze auch die Orientierung erschweren können. Auffallend ist schließlich, dass der Band durchgehend noch mit den alten Auflagen von RGG und LThK arbeitet, obwohl die neuen seit 1998 bzw. 1993 vorliegen.

Trotz allem gilt: Die Bucer-Ausgabe ist nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Sie ermöglicht einen unverstellten Blick auf die zahlreichen Aktivitäten des Reformators, auf seine Theologie, sein Argumentationsgeschick, seine umfassende Bildung und sein Agieren auf der Bühne von Kirche, Gesellschaft und Politik.