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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1080 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Arnold, Matthieu, u. Berndt Hamm [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. VIII, 167 S. gr.8 = Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 23. Lw. Euro 59,00. ISBN 3-16-147763-4.

Rezensent:

Herman Selderhuis

Die Produktivität der Bucer-Forschungsstelle in Erlangen, die in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe GRENEP der Universität Strasbourg den Briefwechsel Martin Bucers ediert, zeigt sich nicht nur in der regelmäßigen Veröffentlichung der Editionsbände. Noch vor Erscheinen von Band IV haben Leiter und Bearbeiter der Edition im Jahr 2001 eine Tagung abgehalten, um die Inhalte dieses Bandes interpretatorisch auszuwerten. Ertrag ist das 2003 erschienene Buch, das sich hauptsächlich mit dem Briefwechsel Bucers aus dem Jahr 1530 beschäftigt, also dem Jahr nach dem Marburger Religionsgespräch und dem Jahr des Augsburger Reichstages.

Matthieu Arnold vergleicht aus ihren Briefen heraus sehr genau Bucers und Luthers Schau des Augsburger Reichstages. In den Gebeten dieser Briefe findet man bei beiden die theologische Verbindung der Allwirksamkeit Gottes und der eigenen Verantwortung. Bucer verbindet den Aufruf zum Gebet mit dem Aufruf zur Buße. Luther und Bucer sahen sich beide als Mitarbeiter Gottes gegen den Teufel. Roland Liebenberg beschreibt Bucers tiefe Enttäuschung über das Scheitern des Marburger Gesprächs und wie es dann bei Bucer zu einem neuen Nachdenken über die Möglichkeit einer Einheit kommt. Nach Liebenberg gibt es bei Bucer, anders als bei Luther, eine graduelle Abstufung von Wahrheit, die mehr Möglichkeiten zur Einheit bei Glaubensverschiedenheiten gibt. Die Position Bucers in der Abendmahlsfrage im Jahr 1530 wird von Reinhold Friedrich analysiert. Bucers These, dass im Wesen nur ein Streit um Worte vorlag, war nicht taktisch, sondern theologisch motiviert. Bucer ging es nicht um die Frage, wie Christus präsent ist, sondern, ausgehend von der Tatsache der Präsenz Christi, um die Frage, wie die Feier im Leben des Christen jetzt Gestalt bekommt. Bucer distanziert sich von Extrempositionen und betont nachdrücklich die ethischen Konsequenzen des Abendmahls. Annie Noblesse-Rocher behandelt die Rezeption mittelalterlicher Theologen in Bucers Abendmahlskonzeption. Resultat ihrer Forschung ist, dass Bucer sich nur wenig auf mittelalterliche Quellen bezieht. Sichtbar wird, dass er sich von der via moderna in der Fassung Biels löst und dass der Einfluss des Thomismus seiner Studienzeit deutlich ist. Der für Bucers Theologie grundlegende Aufsatz von Berndt Hamm beschäftigt sich mit der Frage, was für Bucer die Grenzen der christlichen communio sind. Wo endet Kircheneinheit und wo beginnt Häresie? Wie beim Abendmahl geht es Bucer auch in dieser Frage nicht um die äußere Gestalt, das heißt nicht um das, was jemand lehrt, sondern um das Herz, aus dem die Lehre kommt, und um das Leben desjenigen, der in der Lehre irrt. Hamm spricht von Bucers Programm der Duldsamkeit. Dahinter steckt eine andere Theologie als z. B. die in Wittenberg übliche, wo im Konfliktfall gegen die Liebe und für den rechten Glauben entschieden werden musste. Andreas Puchta beschreibt Bucers Haltung im Bilderstreit. Bucer entwickelte sich in dieser Frage in den 20er Jahren mehr auf Zwingli zu. Bucer meinte, dass Bilder an sich nicht schlecht sind, dass sie aber entfernt werden müssen, wenn die Gefahr ihrer Verehrung aufkommt. Eine spätere Periode behandelt Volkmar Ortmann, aber die Thematik von Bucers Bemühungen um Einheit bei den Religionsgesprächen 1540-1541 ist im Wesen die gleiche. Ortmann macht ersichtlich, warum Bucer sich so kompromissbereit verhielt. Eine Kirchenspaltung war für ihn eine Zertrennung des Leibes Christi. Der Aufsatzband endet mit einem Beitrag von Nicole de Laharpe, die Luthers Tischreden gelesen hat mit Blick auf die Frage, was Luther von Bucer hielt. Die Antwort fällt negativ aus. Das Wort odium taucht mehrmals auf und Luther hat Bucer nicht nur oft lächerlich gemacht, sondern ihn auch der Blasphemie und Gottlosigkeit beschuldigt. Trost gibt es nur, weil Bucer dieses Los mit vielen anderen teilte und weil es einige Bemerkungen Luthers gibt, die auch positiv ausgelegt werden könnten.

Insgesamt befördert dieses Buch ein besseres Verstehen der Person und der Theologie Bucers. Es beweist, wie viel Detailuntersuchungen bringen können, aber auch, wie notwendig eine wissenschaftliche Edition wie die der Korrespondenz Bucers ist. Diese Notwendigkeit gilt nicht nur für die wissenschaftliche Forschung, sondern auch für die aktuelle Diskussion in Kirche und Gesellschaft. In mehreren Aufsätzen wird darauf hingewiesen, wie modern Bucer in seinem Suchen des Andern und seiner Duldsamkeit war, die aber nicht grenzenlos war.