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Ausgabe: | Mai/1998 |
Spalte: | 510–512 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Dogmatik |
Autor/Hrsg.: | Meurer, Hermann-Josef |
Titel/Untertitel: | Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Paul Ricurs Hermeneutik der Gleichniserzählung Jesu im Horizont des Symbols "Gottesherrrschaft/Reich Gottes" |
Verlag: | Bodenheim: Philo 1997. 783 S., gr.8 = Bonner Biblische Beiträge, 111. Lw. DM 178,-. ISBN 3-8257-0054-2. |
Rezensent: | Detlev Dormeyer |
Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Dissertation in Dogmatik an der Kath. Theol. Fakultät der WWU Münster. 3 Teile gliedern die Arbeit: I "Analyse der Erzählstrukturen der Gleichnisse Jesu", II "Die Gleichnisse Jesu als Metaphern", III "Die metaphorische Interpretation der Gleichniserzählungen Jesu im Horizont des Symbols ,Gottesherrschaft/Reich Gottes".
Teil I setzt mit der "existential-literarischen Analyse" von D. O. Via (1966; dt. 1970) ein und schließt die Vorstellung der strukturalen Modelle von Propp, Greimas, Güttgemanns, Levi-Strauß und Marin an, die Ricur mit der Differenzierung zwischen Erklären und Verstehen kritisch rezipiert und mit der Hermeneutik der Metaphorik und Symbolik weiterführt.
Die Entfaltung des frzanzösischen Strukturalismus in den 70er Jahren wird breit veranschaulicht. Die einzelnen Positionen werden zutreffend referiert; die Kritik mit Ricur am Überwiegen des Codes gegenüber der Bedeutung, der Dominanz der Tiefenstruktur, dem Verschwinden der Singularität, der Willkür der Ersetzungen, dem Fehlen des textexternen Referenzbezuges und der Aufgabe des literarischen Gattungsbegriffs überzeugen. Es fällt allerdings auf, daß dieses einleitende Methodenkapitel auf den Strukturalismus der 70er Jahre beschränkt bleibt und die ansehnliche Grundlagendiskussion neben und nach Ricur (bis heute) nicht beachtet. Zwar ist der Titel "Die Gleichnisse Jesu als Metaphern" eine wörtliche Übernahme des Titels von Hans Weders einschlägigem Standardwerk (1978). Doch dessen umfassender Forschungsbericht, der typologisch den historischen vom formgeschichtlichen, hermeneutischen und literaturwissenschaftlichen Ansatz unterscheidet, bleibt unberücksichtigt, wie auch die vielen weiteren forschungsgeschichtlichen Beiträge, die sich kritisch mit dem exegetischen Strukturalismus auseinandersetzen (u. a. Klauck 1978 - Theißen 1995).
Sicherlich muß sich ein Systematiker begrenzen, zumal das vorliegende Werk schon bei weitem den Umfang des Lesbaren überschreitet. Aber die gewählte Schwerpunktsetzung erscheint im Teil I unbefriedigend. Einerseits behauptet "Exkurs I. Die Übertragung des Aktantenmodells auf das biblisch-christliche Welt- und Existenzverständnis": "... daß sich das Aktantenmodell hier erstaunlich gut zu bewähren scheint" (126), andererseits wird nicht untersucht, wie "literarische Gattung" und "narrative Kommunikation" sich zum ahistorischen, tiefenstrukturalen Aktantenmodell von Greimas verhalten und wie gar eine historisch-kritische Erarbeitung des historischen (!) Jesus als "Gleichnis Gottes" (315-342) und seines Verständnisses der Königsherrschaft Gottes (532-601) methodologisch möglich wird. Die Möglichkeit der historischen Rückfrage gehört noch immer zur umstrittensten Frage in der Exegese.
Ricur hält sich an dieser Stelle zurück, zeigt aber mit der Verdoppelung der Referenz formal an, daß realistische Gattungen einerseits die umgangssprachliche Referenz suspendieren, andererseits aber eine fiktiv-poetische Referenz neu herstellen. Wenn M. auf dieser Basis die Gattungsanalysen der alten und der modifizierten neuen Formgeschichte (Theißen) bevorzugt, sollte er wenigstens andeuten, daß erst die gleichzeitige Kritik am Strukturalismus und an der historisch-kritischen Methode die Modifikation der Formgeschichte ermöglicht und weitere neue Modelle inspiriert hat wie den "Narrative Criticism", den "Rhetoric Criticism", die Erzähltextanalyse, die Semiotik (Delorme).
Gerade mit Delormes Semiotik und den anderen synchronen Methoden, die M. leider nicht kennt, kann in der biblischen Exegese die historische Rückfrage unterbleiben, ohne daß die Kraft der Metapher und des Symbols geschwächt und die historische Welt des Erstlesers aufgegeben würde. Ricur in die historische Rekonstruktion von divergierenden Quellentexten einzubinden, bleibt dagegen eine komplexe Aufgabe, die gerade die Gleichnisforschung nicht zu leisten braucht und die meines Wissens auch nicht eine Hauptintention Ricurs trifft. Teil II bietet einen gründlichen, systematischen Überblick über die Theorie der Metapher ab Aristoteles. Ricur wird umfassend vorgestellt und von Jülicher und Bultmann zutreffend abgesetzt. Statt Satz-Wahrheit (Jülicher) und Wille zur Metanoia (Bultmann) schaffen Metapher und Gleichnis produktiv eine neue Wirklichkeit. Während bereits Weder 1978 unter Rezeption von Ricur zu dieser Differenzierung gelangt war, führt Teil III mit dem Symbolbegriff Ricurs weiter. Beim Symbol ist "zwischen einem vor- oder außerlinguistischen bzw. ,nicht semantischen Moment und einem ,semantischen Moment zu unterscheiden", so daß es "in den außerlinguistischen Bereichen des Kosmos und der Psyche wie auch in der vom Dichter antizipierten vor-linguistischen Erfahrung" verwurzelt ist (392). Über Kosmos, Psyche und Dichtung korreliert das Symbol Erfahrung mit Metaphorik.
Die Basis-Metapher "Gott ist König" wird dann zum Symbol, wenn die Sprecher und Hörer sinnlich kosmische und psychische Erfahrung mit dieser Metapher zu verbinden vermögen. Als Beweis dient M. die biblische Theologiegeschichte. Auf "das" archaisch-naturhafte Verständnis der (Königs-)Herrschaft Gottes folgt das "genuin geschichtliche Verständnis der Königsherrschaft Gottes", dem das "genuin eschatologische (apokalyptische) Verständnis der Königsherrschaft Gottes" sich anschließt. Dieser evolutive Dreischritt ist Konsens. Daß das Symbol nicht nur Erinnerungsort für theologische Entwicklungsgeschichte ist, sondern die grundlegenden Erfahrungsgestalten der Gotteserfahrung bleibend repräsentiert, deutet M. S. 531 an. Dazu wäre aber wiederum wichtig gewesen, "Gottesherrschaft/Reich Gottes" beim irdischen Jesus der Evangelien und ihren Gemeinden als echtes Symbol nachzuweisen, als erneut den historischen Jesus als Beweis (399-406; 532-601) einzuführen. Abschließend werden einige Gleichnisse analysiert.
Methodisch orientiert sich M. an der historisch-kritischen Methode mit Bevorzugung der Formgeschichte. Die streng modelltheoretische Strukturanalyse nach Greimas findet keine Anwendung (zu Recht! - aber gegen Teil I), wohl eine sorgfältige narrative Analyse nach der gegenwärtigen, modifizierten Formgeschichte (Rau u. a.). Die Ergebnisse überzeugen. Die metaphorischen Gleichniserzählungen geben produktive Handlungsmodelle wieder, das Symbol Königsherrschaft Gottes zu erfahren und im alltäglichen Leben zu realisieren.
Insgesamt ist zu sagen, daß die Arbeit die sprachphilosophische und theologische Diskussion um den Metaphern- und Symbolbegriff mit Ricur sicher weiterführt. Allerdings legt sich M. unnötige Schwierigkeiten mit dem ausufernden Volumen der Arbeit in den Weg. Forschungsberichte sind dafür da, ihnen zu vertrauen und den Konsens weitgehend ungeprüft zu übernehmen. Wenn jedes Methoden- und Sachproblem neu aufgerollt wird, entstehen umfangreiche Referate, die wie hier nicht mehr konsequent aufeinander bezogen werden können. Diese kritischen Bemerkungen sollen jedoch den Wert der Arbeit nicht mindern, wohl aber die Richtung anweisen, in die noch weiter zu gehen und auch schon gegangen ist. Ricurs imponierendes Werk durchzumustern und auszuwerten, bleibt ein lohnendes Unterfangen.