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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1074–1077

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Elm, Eva

Titel/Untertitel:

Die Macht der Weisheit. Das Bild des Bischofs in der Vita Augustini des Possidius und anderen spätantiken und frühmittelalterlichen Bischofsviten.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2003. X, 304 S. gr.8 = Studies in the History of Christian Thought, 109. Geb. Euro 79,00. ISBN 90-04-12881-6.

Rezensent:

Silke-Petra Bergjan

Die Arbeit zeigt die Entstehung und Entwicklung der Bischofsvita und bezieht auf überzeugende Weise den Übergang zum Frühmittelalter mit ein.

Die Augustin-Vita des Possidius ist lange von den Confessiones her gelesen worden. Der hagiographische Diskurs hat demgegenüber zu einem neuen Zugang geführt. Während hier jedoch eine an der späteren Literatur entwickelte Typenbildung auf den Possidiustext angewendet wird, ordnet E. den Text in den "Formierungsprozess der hagiographischen Konventionen" ein und zeigt, dass Possidius in der Wahl des Genre an der antiken Bischofsbiographie orientiert war. Die spezifischen Anforderungen an eine Bischofsvita können, so die These von E., Merkmale des Textes und Veränderungen gegenüber den Confessiones erklären, für die Possidius häufig kritisiert worden ist.

Nach einer Einführung in die Forschungsgeschichte, wobei die einzelnen Beiträge im Fortgang der Arbeit sorgfältig diskutiert werden, wendet sich E. der Entstehung des Genre Bischofsvita (Kapitel 2) zu. Die Geschichte der christlichen Biographie setzt mit den Märtyrerberichten und Asketenviten ein, und dies erklärt, dass man sich erst spät der Bischofsvita zuwandte. Das Heiligkeitsideal der weltflüchtigen Asketenviten ließ sich nicht vereinen mit dem öffentlichen Auftreten des Bischofs, seinen administrativen Aufgaben und seiner zunehmenden Einbindung in die gesellschaftliche Elite. Auf der anderen Seite ließ sich auch die aus der Kaiserbiographie erwachsene Form der Darstellung des gesellschaftlichen und persönlichen Lebens öffentlicher Personen nicht gänzlich auf den Bischof abbilden, weil auch er anderen Werten, insbesondere der humilitas, verpflichtet war. Anknüpfungspunkte boten vielmehr die Motive und Topoi der Philosophenbiographie und die Vorstellung vom "Heiligen Weisen". Der christliche wie der philosophische Weise war mit einer Aura von Heiligkeit umgeben, sie waren Garanten für die Weitergabe der Lehrtradition. Sowohl Philosophen- als auch Bischofsviten weisen ein statisches Persönlichkeitsverständnis auf, um den Porträtierten vor möglichen Angriffen Andersdenkender zu schützen.

Von den Anfängen der Bischofsbiographie her, anhand der Vita et Passio Cypriani von Pontius, der Vita Martini von Sulpicius Severus und der Vita Ambrosii von Paulinus von Mailand, zeigt E. auf (Kapitel 3), wie diese Viten versuchen, in der Folge der Asketenviten den Bischof nach dem Ideal der humilitas darzustellen, seinen administrativen Aufgaben gerecht zu werden und zugleich seine Macht und Autorität unter Heranziehung von typischen Elementen aus der Beschreibung des heiligen Weisen zu legitimieren.

Es ist lange erkannt, dass Possidius, der selbst schon früh der von Augustin gegründeten monastischen Gemeinschaft in Hippo angehörte, bevor er Bischof von Calama wurde (Kapitel 4), auf die biographische Tradition Suetons zurückgreift. Darüber hinaus kann E. Bezüge zur Philosophenvita und zur Vorstellung des heiligen Weisens aufzeigen (Kapitel 5).

Die Vernachlässigung der Kindheit und Jugend erklärt sich durch diese Form der Biographie, die nicht an einer Entwicklung der betreffenden Person interessiert ist. Augustin kommt bei Possidius erst mit seiner Taufe und dann als Presbyter in den Blick. Seine Bischofswahl wird als akme verstanden. Das Bischofsamt stand im späten 4. Jh. vor neuen Herausforderungen und hatte sich insbesondere gegenüber den Ansprüchen konkurrierender Gruppen zu profilieren und zu verteidigen. Klare Abgrenzungen in der Vielfalt theologischer Positionen sowie ein mehrheitsfähiger eigener Standpunkt kennzeichnen einen fähigen Bischof (115).

Die Eignung zum Bischofsamt wird bei Possidius in Augustins Fähigkeiten in der Widerlegung von Häresien bereits als Presbyter deutlich. In der Auseinandersetzung mit Gegnern zeigt sich seine Überlegenheit und Weisheit. Possidius verzichtet auf eine detaillierte Darstellung der Lehrmeinungen, die Sachverhalte und Personen erscheinen im hagiographischen Diskurs reduziert und stilisiert. Er unterstreicht die Gefährlichkeit der Donatisten und Pelagianer. Die Gewalttätigkeit der Circumcellionen führt Possidius nicht auf soziale Probleme zurück, sondern auf "schlimme Lehrer". "Eine wirkliche Kontroverse mit ihnen kann nicht auf einer sozialen, sondern nur auf einer intellektuellen Ebene stattfinden" (130). Der zweite Teil der Vita dient nicht nur der Veranschaulichung seines Lebens, sondern dem Nachweis, dass Augustin den administrativen, gesellschaftlichen und karitativen Verpflichtungen seines Amtes nachgekommen ist. Hierzu gehört die Ausübung des Richteramtes, das wiederum als Verpflichtung eines Weisen verstanden wurde.

Das der Vita zu Grunde gelegte Weisheitsverständnis entspricht spezifisch hagiographischen Intentionen, zeigt aber nach E. Einflüsse des Denkens Augustins auf. Possidius sucht, "ein allen zugängiges Heiligkeitsideal (zu) propagieren" (145). Den darin enthaltenen anti-elitären Zug seines Weisheitsverständnisses setzt E. in Beziehung zu dem "Misstrauen des späten Augustin gegenüber einem philosophischen Zugang zu Gott". Aber auch die Vernachlässigung fast aller individuellen persönlichen Züge in der Darstellung Augustins reflektiert dessen Gnadenlehre. "Die Macht der Persönlichkeit wird zugunsten des Gnadenwirkens fundamental eingeschränkt" (156). Ebenso bildet das statische Bild Augustins, der, ohne dass er einer Entwicklung bedarf, sich im Besitz von Weisheit und Gotteserkenntnis befindet, die Gnadenlehre ab, wobei Gnade von Possidius weniger individuell gefasst wird, sondern vielmehr das Leben Augustins als Zeichen der in der Kirche wirkenden Gnade verstanden wird. Da Augustins Weisheit eine grundlegend praktische Weisheit ist, kann Augustins Beispiel zur Nachahmung dienen. E. kann somit insbesondere Elemente der Vita, die bisher als Indizien für Defizite auf der Seite des Possidius verstanden wurden, neben einer Übernahme hagiographischer Konventionen auch auf eine Auseinandersetzung mit Augustins Gnadenlehre zurückführen.

Das Bischofsamt hatte eine zentrale Rolle im Übergang von Spätantike zum frühen Mittelalter. Es stand für soziale Stabilität, garantierte Ordnung und Kontinuität in einer sich rapide verändernden Welt. Die Ausweitung der politischen und administrativen Funktionen des Bischofs zog eine Aristokratisierung des Amtes nach sich. Angesichts des allgemeinen Bildungsverfalls standen die für das Bischofsamt nötigen Kenntnisse nur noch einer kleinen Elite zu Verfügung. Dies erklärt, dass auch an der Epochenschwelle zum frühen Mittelalter das Element Bildung und Weisheit seine Bedeutung in den Bischofsviten behält. E. zieht drei Viten des 6. Jh.s, wiederum aus Italien, Gallien und Afrika, heran, um die weitere Entwicklung der Bischofsvita nachzuzeichnen (Kapitel 6).

Die Vita Epiphanii von Ennodius von Pavia ist die erste in Italien verfasste Bischofsvita nach der Vita Ambrosii, in ihr wird ein politischer Bischof als patronus civitatis portraitiert. In der Vita Epiphanii wie ebenso in der Vita des Caesarius von Arles, die in der Tradition von Lérins steht, findet sich eine neue Wertschätzung rhetorischer Fähigkeiten, die auf zeitgenössische Anforderungen an den Bischof hinweisen, aber auch in der Tradition antiker Gelehrsamkeit stehen. In der Darstellung des Caesarius und seiner Predigttätigkeit wird die wörtliche Rede als Stilmittel verwendet, womit die "Verlagerung auf das gesprochene Wort" angezeigt ist. Die Vita des Fulgentius von Ruspe gehört in ein ähnliches soziales und politisches Umfeld wie die Augustinvita des Possidius. Wie bei Augustin bestimmen auch bei Fulgentius sapientia und eloquentia, der Kampf des Gelehrten gegen Häresien sowie die Askese sein Leben.

Am Beispiel von gallischen Viten (Vita Aniani, Vita Lupi Trecensis, Gesta et passio S. Leudegarii, Vita Arnulfi, Vita Ansberti, Vita Desideri und Vita Willibrodi) zeigt E. (Kapitel 7), wie in der Zeit bis zum 9. Jh. eine veränderte Motivation in der Abfassung der Viten, ein veränderter Stil und neue Motive wie Reisen, Bautätigkeit und Mission hinzukommen. Trotz der Diversifikation des Genres und des Variantenreichtums hat es mit der Intention hagiographischer Texte zu tun, dass die Viten in ihrem Grundduktus und ihrem formalen Aufbau übereinstimmen. Mit der Verwendung etablierter Muster soll die Zugehörigkeit zum Kreis der Heiligen aufgezeigt werden. "Da das Heiligkeitsideal des Bischofs in erster Linie durch sein Amt definiert ist, sapientiam eruditio und doctrina aber notwendige Voraussetzung für seine Ausübung sind, sind sie auch Schlüssel zum Heiligkeitsideals des Bischofs" (238).

Die Bischofsviten sind eine wichtige Quelle zur Klärung der Anforderungen an das Bischofsamt. Ein wichtiger Forschungsbeitrag liegt darin zu zeigen, in welchem Maße intellektuelle Fähigkeiten, Weisheit und Eloquenz die Erwartungen an einen Bischof bestimmten, ohne dass dabei die politischen, administrativen und sozialen Funktionen des Bischofs vernachlässigt werden. Die Arbeit gibt einen sehr guten Überblick über die Bischofsviten, aus dem die Eigenständigkeit und Bedeutung des Genres klar hervorgeht.