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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1051–1053

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Guillaume, Philippe

Titel/Untertitel:

Waiting for Josiah. The Judges.

Verlag:

London-New York: T & T Clark (Continuum) 2004. XIV, 325 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series, 385. Lw. £ 75,00. ISBN 0-8264-6988-4.

Rezensent:

Andreas Scherer

Die Genfer Dissertation will durch eine Analyse des Richterbuches einen Beitrag zum Abschied von Noths deuteronomistischem Geschichtswerk leisten.

Im ersten Kapitel (5-74) wendet G. sich Ri 3-9 zu, um dort Richters Retterbuch (BBB 18, 21966) neu zu entdecken. Die Erwägungen der beiden einleitenden Abschnitte dieses Kapitels sind von entscheidender Bedeutung für die Untersuchung. Ein Forschungsüberblick (5-14), der sich stark auf Beyerlins Differenzierung zwischen dem Richterschema Ri 2,11-19 und den Umrahmungen der einzelnen Erzählepisoden konzentriert (FS A. Weiser, 1963, 1-29), mündet im Bekenntnis zu Knaufs Hypothese, der zufolge das Retterbuch ("Book of Saviours" = BS) kurz nach 720 in Bethel komponiert worden sein soll (JSOT.S 306, 2000, 388-398). Dann bemüht sich G. um eine sachliche Annäherung an sein Retterbuch (14-27). Er versucht zu zeigen, dass die Rahmenangaben der einzelnen Erzählepisoden nicht das Prädikat deuteronomistisch verdienen. Die dort greifbare Theologie, namentlich die Formulierung "das Böse in den Augen JHWHs", sei keine deuteronomistische Prägung, sondern "simply traditional" (23). Das Richterschema stellt angeblich eine Kritik des traditionellen Konzepts dar und wird einem jüngeren Stratum zugewiesen. Bei der Durchsicht von Ri 3-9 hält G. Ri 3,12-30 für eine literarisch einheitliche Fiktion des Autors von BS ohne jede Überlieferungsgrundlage, die Schamgarnotiz (Ri 3,31) für einen Zusatz. In Bezug auf Ri 4 f. vertritt G. den Vorrang der Dichtung, an deren hohem Alter er festhält. Allerdings rechnet er mit Ergänzungen gegen Ende des 10. und zu Beginn des 8. Jh.s. Die Erzählung aus Ri 4 erscheint dann wieder als Werk des Autors von BS, auf den womöglich auch die Figur Barak zurückgeht. Nur etwas mehr als 20 Verse des Gideonzykus' (Ri 6,1-6.33-35; 7,1-3.9.16-21; 8,22 f.28) weist G. dem BS zu. Auch dabei erscheint BS als Werk eines Autors, ohne dass überlieferungsgeschichtliche Fragestellungen in den Blick kämen. Im Zusammenhang mit Ri 9 beschreibt G. zum ersten Mal etwas ausführlicher die Intention von BS. Ri 9 erscheint ihm als weitgehend einheitliche Größe. Die den Schöpfern des Kapitels von Anfang an bekannte Jothamfabel diene in Ri 9 dem Zweck, "to reject the crowning of a Shechemite king, not to illustrate a theoretical treatise on the nature of kingship" (63). Die Abimelecherzählung wendet sich nach G.s Ansicht speziell gegen das israelitische Königtum. Herrschaft als solche werde keineswegs negiert. Vielmehr verfolge BS die Absicht, die Bewohner des Nordreichs zu einer friedlichen Unterwerfung unter die assyrische Herrschaft zu motivieren. BS "is an official treatise ... in favour of a peaceful integration in the Empire" (71). BS endet für G. mit dem Abimelechkapitel, da der Jephthahkomplex (10,17-12,7) keines der für BS typischen Charakteristika enthalte. Das Retterbuch wird von G. als prä-deuteronomistisch bzw. prä-josianisch eingestuft. Er spricht von einem "Assyrian Book of Saviours" und meint, eine auffällige "similarity of the BS with official Assyrian propaganda " (74) diagnostizieren zu können. Die Theologie von BS ist seines Erachtens vor allem durch die Vorstellung von einer bedingungslosen, automatischen Errettung Israels durch seinen Gott geprägt.

Eine zweite Editionsstufe führe von Bethel nach Jerusalem (75-105). Dort soll unter Manasse die Appeasement-Botschaft des Retterbuchs für den judäischen Kontext fruchtbar gemacht worden sein. Dabei seien der Komposition weite Teile von Kapitel 1 (V. 4-18.27-34) hinzugefügt worden. Was die Othnielepisode betrifft, bleibt unklar, ob Ri 3,7-11 insgesamt auf das Konto von Manasses BS geht oder ob diese Redaktionsschicht lediglich ein zuvor anonymes Beispielstück um die Namen Othniel und Kuschan-Rischathajim erweitert hat. Beide Namen erscheinen G. jedenfalls als "clear reference to the entente cordiale between the Kushite and Assyrian Empire at the end of the eight century" (103).

Ein Umbruch sei zur Zeit Josias erfolgt, in der sich das Retterbuch in ein Richterbuch verwandelt habe (106-128. 129- 143). Die Editionsarbeit dieser Phase verhalte sich kritisch zur ursprünglichen Intention von BS. In die josianische Epoche gehören für G. neben den sonst häufig als deuteronomistisch bzw. sekundär-deuteronomistisch reklamierten Stücken Ri 2,1- 5.11-19; 6,7-10 zahlreiche zuvor ausgeschiedene Partien des Gideonzyklus', die so genannte Richterliste (Ri 10,1-5; 12,8- 15) sowie die beiden um Michas Gottesbild und die Wanderung der Daniten gruppierten Kapitel Ri 17 f. Kritisiert werde das Vertrauen auf den Heilsautomatismus und das Schreien um die Hilfe JHWHs. Die Zeit vor Josia werde als Zeit der Inkonsequenz und Schwäche gebrandmarkt. Expansionsdrang und religiöse Exklusivität der josianischen Ära fänden hier ihren Ausdruck. Die proassyrische Tendenz werde nun in ihr Gegenteil verkehrt. Die Richterliste diene einerseits als euphemistische Chiffre für die Zeit der assyrischen Fremdherrschaft, andererseits trage sie dazu bei, Josias eigene Herrschaftsform zu legitimieren. Kapitel 17 f. führe die Gefahren der königslosen (vorjosianischen) Zeit und die Chancen des von den Assyrern zurückgelassenen Vakuums vor Augen.

Jephthah und Simson (Ri 10,6-16,31) bezeichnet G. als "losers" (145). Bethel, der Ort, an dem für G. einst die proassyrische Propaganda in Blüte stand, sei nach der Zerstörung Jerusalems zum Ort der Abrechnung mit Assur geworden. Man habe dort die Zyklen um Jephthah und Simson in das Richterbuch eingefügt, um sich von den Helden Israels zu verabschieden und zugleich das mesopotamische Erbe auf dem Wege der Demythisierung zu desavouieren (144-197).

Ri 1,22-26; 19-21 stellt G. unter das Motto "Jerusalem versus Mizpah" (198-226). Der Übergang zur persischen Epoche sei geprägt durch die Rivalität zwischen Bethel und Jerusalem. Während sich in Ri 1,22-26 Bethel gegen Judas Ansprüche behaupte, liege mit dem gegen Benjamin gerichteten Appendix Ri 19-21 die Jerusalemer Reaktion auf solche Tendenzen vor. Schmid (WMANT 81, 1999) liefert G. die von G. nochmals deutlich radikalisierte Vorstellung von einer sehr späten Eingliederung des Richterbuches in die jüdische Historiographie (kurz vor 200 v. Chr.). In diesen Zusammenhang gehören für G. redaktionelle Texte wie Ri 1,1-3.19-21; 2,6-10; 4,5, die zur Verknüpfung mit Jos und 1Sam dienen. Ein paar Details wären schließlich noch in makkabäischer und hasmonäischer Zeit hinzugekommen (227-253). Die Bedenken, die sich gegen den ebenso innovativen wie phantasievollen Entwurf erheben, sind zahlreich. Ich muss mich auf wenige Bemerkungen beschränken.

1. Die Differenzierung zwischen dem Schema und den stereotypen Wendungen der Einzelepisoden ist nicht zwingend, zumal dann nicht, wenn man anders als G. innerhalb von Ri 2, 11-19 mit einer literarischen Schichtung rechnet. 2. Die Phraseologie der Rahmenangaben ist keineswegs schlicht traditionell. Vielmehr wird "das Böse in den Augen JHWHs" in 3,7 und 10,6* durchaus näher qualifiziert. Beide Stellen haben im deuteronomistischen Konzept eine rahmende Funktion und sind im Verhältnis zu 3,12; 4,1; 6,1, wo je eine abgekürzte Redeweise vorliegt, nicht sekundär. 3. Bei seiner Exegese des Gideonzyklus' bekennt sich G. ausdrücklich zur Methode des Zirkelschlusses und stellt die rhetorische Frage: "Is there any other way to proceed?" (55). Ja, einen solchen Weg gibt es. Er besteht darin, die literarkritische Analyse konsequent vor alle redaktionsgeschichtlichen Überlegungen zu stellen. G.s Exegese von Ri 6-8 führt dagegen zu keinen akzeptablen literarischen Zusammenhängen. 4. In Ri 3-9 lässt sich keine proassyrische Tendenz nachweisen. Die von G. unterstellte euphemistische Umschreibung der vorköniglichen Zeit in Ri 10,1-5; 12,8-15 ergibt als projosianische Propaganda keinen Sinn. 5. Es geht nicht an, die Dopplung der Landnahmeüberlieferung (Jos/Ri 1) als redaktionsgeschichtliche Möglichkeit auszuschließen, wenn man zugleich die Dopplung der Überlieferung von Josuas Tod (Jos 24,29-31/Ri 2,6-9) als sinnvolle redaktionelle Maßnahme verkaufen will.

Ganz so einfach ist es wohl doch nicht, "to read the book of Judges outside the mental framework of Noth's Deuteronomistic History" (1).