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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1047–1049

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Skarics, Marianne

Titel/Untertitel:

Popularkino als Ersatzkirche? Das Erfolgsprinzip aktueller Blockbuster.

Verlag:

Münster: LIT 2004. X, 402 S. 8 = Religion - Medien - Kommunikation, 3. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-8258-7440-0.

Rezensent:

Inge Kirsner

"Aufblühende Religionen adoptieren häufig existierende Feiertage, um neuen Gläubigen den Übertritt zu erleichtern. Man nennt dieses Phänomen Transmutation. Es hilft den Menschen, sich an den neuen Glauben zu gewöhnen. Sie behalten ihre alten Feiertage, beten an den gleichen heiligen Orten, benutzen ähnliche Symbole ... lediglich die Gottheit wird ersetzt." (Dan Brown, Illuminati, Bergisch-Gladbach 2003, 310)

So provokant, wie der Titel noch vor zehn Jahren geklungen hätte, ist er, zudem noch als Frage formuliert, heute glücklicherweise nicht mehr. Die Kommunikationswissenschaftlerin Marianne Skarics geht in ihrer 2004 bei LIT erschienenen Dissertation über das Erfolgsprinzip aktueller Blockbuster einem Phänomen nach, zu dem es bereits einige theologische Untersuchungen gibt, und es wird schnell deutlich, dass es immer wieder nötig ist, neue Gesichtspunkte zu diesem Thema zu untersuchen.

Filme, als Spiegel der Gesellschaft verstanden, wechseln ebenso ihr Gesicht, wie es die soziologische Befindlichkeit tut. So lassen sich also Veröffentlichungen zum "Sinnstifter Kino" als Fortsetzungsromane lesen. Ähnlich wie Jörg Herrmann in seinem 2001 erschienenen "Sinnmaschine Kino" (vgl. Rez. in ThLZ 128 [2003], 954) bezieht sich S. in ihrer Untersuchung ausschließlich auf erfolgreiche Mainstream-Filme, und sie begründet dieses Vorgehen damit, dass gerade das Popularkino häufig Ausdruck authentischer Lebenserfahrung ist, also einen Index für die Ängste und Sehnsüchte der Menschen darstellt, ein Mittel, um aktuelle Probleme aufzuzeigen und damit verbundene Fragen zu beantworten.

Die westliche Gesellschaft wird gegenwärtig durch ein Spannungsverhältnis von Symbol-, Mythen- und Orientierungsverlust einerseits und Remythisierungsversuchen und neuer Religiosität andererseits gekennzeichnet. S. geht von der Annahme aus, dass es in Wirklichkeit keinen Symbolverlust gibt, da Archetypen, also kollektive Symbole, nicht verschwinden oder sich grundlegend verändern, sondern lediglich ihre Ausdrucksweise wechseln (3). So geht es auch mit der Religion: Sie findet nicht mehr in ihren angestammten Institutionen ihren Ort, sondern ist ausgewandert, verdichtet sich und verflüchtigt sich wieder - z. B. im Film, der dieselben Funktionen erfüllt. Filme sind also nicht nur religiös, sondern selbst eine Form von Religion - bzw. ein "subtextueller, temporärer Religionsersatz" (363). S. reduziert dabei Kirche und Glauben auf ihre anthropologische Zweckmäßigkeit, doch mit ihrem funktionalen Religionsbegriff ist sie in Hinblick auf gegenwärtiges medientheoretisches Arbeiten in bester (auch theologischer) Gesellschaft. Nur die Begehung so genannter "großer Transzendenzen", so schränkt sie mit Herrmann ein, kann im Film nicht funktionieren - er kann Sinnmodelle bieten, doch die rites de passage, die Schwellen- und Übergangssituationen des Menschen wie Geburt, Hochzeit, Tod, wollen nicht nur gezeigt, sondern auch gedeutet und durchlebt werden.

Was aber der Film leisten kann, das wird von S. in ihrer profunden Arbeit ausführlich dargestellt. Sie bietet dabei einen großen Brückenschlag zwischen Sozial-, Kultur- und Kunstwissenschaften, der durch viele Pfeiler gestützt wird. Einer kommunikationstheoretischen Grundlegung folgt die Vorstellung der Analysemethoden, die von Cultural studies über die verschiedensten Filmanalyseansätze bis zum myth critisism reichen; dieser erste Teil wird durch Untersuchungen zum Wesen des Symbols (als kleinste Einheit), des Mythos (als nächst größere) und der Glaubenssysteme (als umfassendste Einheit) abgeschlossen. Dem zweiten, filmtheoretischen Teil, der sich neben dem Drehbuch, der Symbolik und der Mythentheorie auch der oft vernachlässigten Filmmusik widmet, folgt der dritte und ausführlichste filmanalytische Teil, bei dem Schritt für Schritt die zuvor vorgestellten Analyseinstrumente angewandt werden. Mit Titanic, Cast Away, Terminator 2 und The Lion King hat S. US-amerikanische Filme der 90er Jahre bis heute ausgewählt, die weltweit große Publika ansprachen und zu den 50 weltweit kommerziell erfolgreichsten Spielfilmen zählen.

"Es ist eine Tatsache, dass jede organisierte Religion nur wenig Echtes besitzt. Religionen entstehen nicht aus dem Nichts. Sie entstehen auseinander. Moderne Religionen sind ein Sammelsurium ... eine historische Abfolge, welche die Suche des Menschen nach göttlichem Verständnis widerspiegelt."

Was Dan Brown in seinem Bestseller "Illuminati" den Religionswissenschaftler Robert Langdon seinen Studierenden erklären lässt, verdeutlicht S. in der Analyse ihrer Mainstream- Filme. So detailliert, wie sie, wenn auch recht schematisch, vorgeht, fördert sie selbst bei schon vielfältig analysierten Filmen wie dem von Theologen wie Philosophen gerühmten Terminator 2 Neues und durchaus Kritikwürdiges zu Tage. Als grundlegendes Thema von Terminator 2 stellt sie die Anklage des Regisseurs Cameron vor, der den Technikwahn des Menschen angreife und - mit Hilfe des Gebrauchs eben der (technischen) Mittel, die er verurteilt - zeige, was geschieht, wenn sich der Mensch über Gott erheben will und Kreaturen schafft, die ihn schließlich ins Verderben stürzen wollen. Grundtenor ist also die Erlösungsbedürftigkeit der durch ausufernden Technizismus bedrohten Menschheit. Erlösung bringt hier aber nicht Gott, sondern der Mensch: "Die Parallelen zu christlichen Motiven und Topoi sind unübersehbar; doch: Statt zum rechten Gottesglauben zurückzufinden, gilt es im Glaubensystem von Camerons Terminator 2, den Wert menschlichen Lebens schätzen zu lernen, damit apokalyptische Zukunftsszenarien abgewendet werden können. Einmal mehr werden hier christliche Glaubensgrundsätze in abgewandelter Form zitiert und der Glaube an Gott durch den Glauben an den Menschen substituiert, wodurch ein breites Publikum angesprochen werden kann." (282)

Der Glaube an Gott wird durch den Glauben an den Menschen ersetzt, er ist (wie Dan Brown es in dem eingangs erwähnten Zitat vorstellt) die neue Gottheit, deren Begrenzung und Wahn Cameron klar herausstellt - zugleich aber auch die Hoffnung auf die Zukunftsfähigkeit des Menschen. Er zeigt auf, was geschieht, wenn der Mensch sich zum Gott macht - und zeigt ihn zugleich als Erlöser aus der Sackgasse, in die der Glaube an die Menschheit führt. Oder besser: Er zeigt in Sarah Connor eine Erlöserin. "No fate!", ist ihre Botschaft, mit der sie die Aussage ihrer männlichen Co-Erlöser auf den Punkt bringt, nach der die Menschen ihre Zukunft selbst in der Hand haben und sich nun für den richtigen Weg entscheiden müssen: "Diese säkularisierte, hochgradig moralisch aufgeladene Glaubensbotschaft ... wurde und wird von vielen Menschen, ob im religiösen Sinne gläubig oder ungläubig, gerne angenommen und ist daher wesentlicher Bestandteil des Erfolgsgeheimnisses dieses Films", beschließt S. ihre Überlegungen (282).

Ein Abschlusskapitel bringt ein lesefreundliches Resümee, das die "Undercover-Religion" des Blockbusters noch einmal auf den Punkt bringt und mit einem Aufruf an die Kirche endet: Indem sie den Hollywood-Mainstream-Film auch heute noch meist negativ bewertet, "beraubt sich die Kirche selbst der Chance auf Erkenntnisse für eine Neu-Evangelisierung, denn gerade die Erzählungen des Popularfilms sind es, in denen die Sehnsucht nach Antworten auf letzte Fragen Ausdruck findet und deren Glaubensaussagen so viele Menschen erreichen, während die Kirchen bei den Gottesdiensten zusehends leerer werden" (375).

Filme also (hoffentlich) nicht als neue Missionierungsinstrumente, sondern als Dialogpartner in Hinblick auf die Befindlichkeit der erlösungsbedürftigen Menschheit. Aber: Hat S. nicht doch mehr als eine Veränderung der Ausdrucksweise in Hinblick auf Symbolgehalte und (religiöse) Archetypen beschrieben und einen Paradigmenwechsel indiziert, in dem das Objekt des Glaubens ausgetauscht wird und im Menschen nun Subjekt und Objekt des Glaubens zusammenfallen?