Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2005

Spalte:

1024 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Rittner, Reinhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Was heißt hier lutherisch! Aktuelle Perspektiven aus Theologie und Kirche.

Verlag:

Hannover: Lutherisches Verlagshaus 2004. 275 S. 8 = Bekenntnis, 37. Kart. Euro 17,90. ISBN 3-7859-0900-4.

Rezensent:

Ulrich Kühn

Sowohl die Situation im ökumenischen Dialog wie die Diskussion um die Neuordnung der EKD und die Zukunft der VELKD bilden Hintergrund und Anlass dieser Beiträge, die auf zwei Tagungen des Theologischen Konventes Augsburgischen Bekenntnisses 2002 und 2003 zum Thema "Lutherisches Profil - lutherische Identität" vorgetragen und diskutiert worden sind. Es ist "vermutlich die Befürchtung oder die Diagnose, dass dieses Profil oder diese Identität gefährdet oder sogar schon verloren gegangen sein könnte" (164: N. Slenczka). Die Einsicht, dass das unterscheidend Lutherische als "etwas Unverwechselbares und doch wohl auch Unverzichtbares" (ebd.) neben anderen konfessionellen Gestaltungen existiert und auch nicht verleugnet werden sollte, hat zunächst nichts mit einem intransigenten Konfessionalismus zu tun, sondern erinnert an den Reichtum der vielen Gestalten, die der christliche Glaube im Laufe seiner Geschichte gefunden hat und die als lebendiges Erbe der Christenheit heute keinesfalls nivelliert werden dürfen. In diesem Anliegen spiegelt sich auch das ökumenische Bewusstsein von einer legitimen und notwendigen "Verschiedenheit" wider, die allerdings vor der Frage steht, ob und in welchem Sinne sie heute als miteinander "versöhnt" verstanden werden darf.

Die Beiträge dieses Bandes versuchen, das Profil des Lutherischen im Bereich exegetischer Arbeit, (K. Grünwaldt, K.-W. Niebuhr), im Blick auf kirchengeschichtliche Sachverhalte (H. Holze, M. Grahl), unter dem Gesichtspunkt systematischer Fragestellungen (G. Wenz; N. Slenczka), in praktisch-theologischer (M. Petzoldt, C. Dahlgrün) und in ökumenischer Hinsicht (J. Track) zu veranschaulichen. Man erfährt nebenbei auch Erstaunliches: etwa dass es unter Studierenden der Kirchlichen Hochschule Bethel gegenwärtig aus konfessionellen Gründen eine Tendenz zur Aufkündigung der Leuenberger Konkordie gibt (die Lutheraner wollen das Seelenheil der Reformierten "nicht durch die Ermöglichung unwürdigen Empfangs [sc. des Abendmahls] gefährden", 215: C. Dahlgrün). Von solchem neuen (in diesem Falle: innerprotestantischen) Konfessionalismus ist bei den Autoren des Bandes selbst nichts zu spüren. Es werden indessen in konstruktiver Weise Aspekte der lutherischen Tradition aufgedeckt, die in einzelnen Sachbereichen orientierende Akzente setzen.

Das betrifft bei den Alttestamentlern Gerhard von Rad (lutherisch) und Walter Zimmerli (reformiert) das jeweilige Gottesbild, die theologische Wertung des altorientalischen Mythos, das Verständnis des Politischen sowie das Verhältnis der Testamente zueinander (K. Grünwaldt), beim Neutestamentler Ulrich Wilckens die - ökumenisch bedeutsame - Bereitschaft, die lutherische Tradition unter das kritische Urteil der Schrift (neues Paulusbild!) zu rücken (K.-W. Niebuhr). Es betrifft Luthers Umgang mit dem altkirchlichen Dogma (H. Holze), den Rückgriff Th. Kliefoths auf das lutherische Verständnis der Beichte (M. Grahl) sowie das Bemühen einer heutigen Praktischen Theologie, sie wiederzugewinnen (C. Dahlgrün), den in großer Breite (und weithin in Auseinandersetzung mit Karl Barth) erfolgenden Rückgriff der lutherischen Dogmatik des 20. Jh.s auf die Zweiheit von Gesetz und Evangelium als organisierendes Prinzip für den dogmatischen Stoff (G. Wenz) sowie Luther als Ursprung des Subjektivitätsdenkens der Neuzeit, der ihr aber wegen der für den Glaubenden maßgeblichen anderen Identität (Christus) zugleich fremd gegenübersteht (N. Slenczka). Es betrifft die Musik als Medium lutherischer Frömmigkeit (M. Petzoldt, C. Dahlgrün) sowie die Bedeutung der lutherischen Rechtfertigungslehre und des lutherischen Kirchenverständnisses für den ökumenischen Dialog (J. Track).

Es ist bemerkenswert, wie die Autoren vorwiegend das lutherische Profil innerhalb der Spektrums der evangelischen Theologie, jedoch kaum eine spezifische Profilierung gegenüber dem Katholizismus erkennen lassen (tendenziell allenfalls im Beitrag von N. Slenczka, vgl. 180.182; betont ökumenisch offen bei J. Track, hier jedoch 265, Anm. 12, doch wohl eine Überinterpretation von "Dominus Iesus", wenn es heißt: "Die Kirche subsistiert allein in der katholischen Kirche", was nach D. I. nur auf die Kirche in ihrer Vollgestalt zutrifft).

Die Zusammenstellung dieser - in Stil und Diktion durchaus unterschiedlichen: teils eher im lockeren Erzählstil (Dahlgrün), der auch schwierige Zusammenhänge zugänglich macht (Slenczka), teils eher in epischer Breite verfassten - Beiträge vermittelt ein anregendes Bild der Unverzichtbarkeit der lutherischen Tradition für Theologie und Frömmigkeit der Gegenwart, ohne in eine ausschließende konfessionelle Selbstbehauptung abzugleiten.