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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

1022–1024

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bischof, Franz Xaver, u. Stephan Leimgruber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Vierzig Jahre II. Vatikanum. Zur Wirkungsgeschichte der Konzilstexte.

Verlag:

Würzburg: Echter 2004. 424 S. 8. Kart. Euro 30,00. ISBN 3-429-02605-9.

Rezensent:

Gunther Wenz

"Aggiornamento": Mit diesem Begriff lässt sich die Leitlinie umschreiben, die nach den Vorstellungen Johannes XXIII. bestimmend werden sollte für das Konzil, das der Papst am 25. Januar 1959 ankündigte und dessen Ziele er in der Enzyklika "Ad Petri Cathedram" vom 29. Juni selbigen Jahres definierte. Prinzipientreue und Aufgeschlossenheit sollten nicht länger als Gegensätze verstanden werden, wobei eine bisher nicht gekannte Öffnung des römischen Katholizismus für die Ökumenische Bewegung besondere Hervorhebung verdient. Mit der Einladung von Konzilsbeobachtern aus den getrennten Kirchen sowie der Gründung des Sekretariats für die Einheit der Christen wurde die ökumenische Offenheit bekräftigt.

Doch zeigten sich in den Jahren der Konzilsvorbereitung von 1959 bis 1962 auch gegenläufige Tendenzen: Das konservative Lager formierte sich und der progressive Aufschwung drohte ausgebremst, wenn nicht umgekehrt zu werden. Im Verlauf des Konzils selbst, das in vier Sitzungsperioden in der Zeit vom Herbst 1962 bis Ende 1965 tagte (Johannes XXIII. verstarb am 3. Juni 1963; zu seinem Nachfolger wurde am 21. des Monats Paul VI. gewählt), kam es dann allerdings zu keinen starren Frontbildungen, und bei Schlussabstimmungen achtete man sorgsam auf den "consensus unanimis". Doch wurde der Ausgleich unter den Parteien nicht selten durch eine gewisse inhaltliche Unausgeglichenheit der Konzilstexte ermöglicht, deren spannungsvolle Genese sich darin reflektiert, dass sie zum Teil höchst unterschiedliche Interpretations- und Rezeptionsmöglichkeiten eröffnen.

Die Wirkungsgeschichte der Konzilstexte ist von diesem Sachverhalt bis heute bestimmt. Insofern spiegelt "die aktuelle Auseinandersetzung über Deutung und Umsetzung des Konzils" nicht nur "die veränderten gesellschaftlichen und kirchlichen Voraussetzungen, unter denen die konziliare Erneuerung heute verwirklicht werden will" (7). Sie ist auch und vor allem textintern, also durch die Inhalte der verabschiedeten Konzilsdokumente und ihre Entstehungsgeschichte bedingt. Durch die Analysen der Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen des II. Vatikanum, wie sie im angezeigten Band gesammelt sind, wird dieser Befund im Wesentlichen bestätigt, wobei es sich methodisch als vorteilhaft erweist, dass die im Untertitel angezeigten wirkungs- und rezeptionsgeschichtlichen Perspektiven mit Gesichtspunkten genetischer und textimmanenter Betrachtung verbunden werden.

Aus einer Themennummer der "Münchener Theologischen Zeitschrift" zum II. Vatikanum erwachsen (vgl. MThZ 54 [2002], 98-192) enthält der Sammelband zu jedem Konzilsdokument je eine Studie. Der Anfang wird mit der Konstitution über die heilige Liturgie "Sacrosanctum Concilium" (K. Richter) gemacht, welche das Konzil als erstes unter den 16 Dokumenten zusammen mit dem Dekret über die Massenkommunikationsmittel (H. Rolfes) bereits am Ende der zweiten Sitzungsperiode verabschiedete. Den Schluss bildet eine Untersuchung der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" (F. X. Bischof), die zu den umstrittensten und zugleich folgenreichsten Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils zu rechnen ist. Von den sonstigen Dokumenten verdienen unter ökumenischen Gesichtspunkten vor allem die dogmatische Konstitution über die Kirche (E. Klinger) und über die göttliche Offenbarung (H. Sauer), das Ökumenismusdekret (P. Neuner), aber etwa auch die Dekrete über die katholischen Ostkirchen (F. Gahbauer) und das Laienapostolat (H. Filser) sowie die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (A. Renz) besondere Aufmerksamkeit. Vorangestellt ist den Analysen eine einführende religionssoziologische Untersuchung über die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft, die sich in den 40 Jahren seit Konzilsende vollzogen haben (M. Ebertz). Angefügt sind Beiträge zu den theologischen Impulsen, die Karl Rahner dem Konzilsgeschehen verliehen hat (A. Batlogg), sowie zur Rezeption der Konzilsbeschlüsse im Kirchenrecht (Th. Amann).

Um aus der Fülle der Perspektiven, die das reichhaltige, um eine Auswahlbibliographie vor allem deutschsprachiger Literatur zum Thema angereicherte Werk erschließt, nur einen Aspekt herauszugreifen: die sowohl ekklesiologisch als auch ökumenetheologisch weichenstellende Wendung des "subsistit in" von Lumen Gentium 8 (vgl. A. V. Teuffenbach, Die Bedeutung des subsistit in [LG 8]. Zum Selbstverständnis der katholischen Kirche, München 2002), durch welche das traditionelle "est" ersetzt wurde, das noch im ursprünglichen Textentwurf an dieser Stelle stand. Mit dem subsistit-Begriff verbinden sich trinitätstheologische (vgl. 95, Anm. 48) und insbesondere christologische Assoziationen. Nicht von ungefähr wird im gleichen Abschnitt von LG das Verhältnis der im Credo bekannten "una, sancta, catholica et apostolica ecclesia" und der römisch-katholischen Kirche ausdrücklich mit der differenzierten Personeinheit göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus analogisiert: "D. h.: Die faktische Kirche, die in der Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen lebt, ist mit der Kirche des Glaubensbekenntnisses vergleichsweise so eins wie die Menschennatur Christi mit dem göttlichen Logos, sie dient ihr als konkrete Erscheinungsform. Die Kirche als Institution bringt die Kirche Jesu Christi in einer geschichtlich begrenzten Gestalt zur Erscheinung. Die in der Geschichte existierende Kirche ist konkrete Form, wie die im Heilsplan Gottes gründende Kirche in Raum und Zeit eine Verwirklichung findet." (125)

"Diese Aussage ist ökumenisch brisant", schreibt Peter Neuner und fügt hinzu: "Den Anspruch, die Kirche des Credo zu realisieren, wird jede Kirche erheben." (Ebd.) Erstere Feststellung ist evident, letztere zumindest erläuterungsbedürftig. Zum einen wäre zu klären, wie man sich die geistliche Realität der Kirche als der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen im Unterschied zu ihrer konkreten Verwirklichung denken soll, wenn man die zumindest momentane Idee einer "civitas Platonica" vermeiden will. Zum anderen bedarf es genauer Klärung, auf welche Weise die existierenden Kirchen den Anspruch erheben, die Kirche des Credo zu verwirklichen. Ob hier eine direkte Vergleichbarkeit der konfessionskirchlichen Ekklesiologien als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf, scheint fraglich zu sein.

Was die ekklesiologische Tradition der Wittenberger Reformation angeht, so beantwortet der VII. Artikel der Confessio Augustana die Frage nach dem Wesen der Kirche bekanntlich mit der bündigen Formel: "Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta" (CA VII,1). Hier ist dezidiert von einem ekklesiologischen "est" die Rede. Wo das Evangelium recht verkündigt und die Sakramente stiftungsgemäß verwaltet werden, da ist Kirche wesensmäßig und real präsent. Es würde sich lohnen, die christologischen Implikationen dieses Sachverhaltes genau zu bedenken. Die einschlägigen, im Kontext der Abendmahlsstreitigkeiten geführten Debatten des 16. Jh.s, die für die lutherische Seite in den entsprechenden Artikeln der Konkordienformel zu einem vorläufigen Abschluss gebracht wurden, sind diesbezüglich nach wie vor höchst aufschlussreich.

Was hinwiederum das Bekenntnis zu den kirchlichen Wesensmerkmalen der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität betrifft, so wird es von lutherischer Seite zweifellos geteilt, ohne dass deshalb die denominationelle Gestalt lutherischer Konfessionskirchen mit der "una, sancta, catholica et apostolica ecclesia" unmittelbar identifiziert oder zu einer Subsistenzweise derselben erklärt werden könnte. Im gottesdienstlichen Vollzug der um Wort und Sakrament im rechten Glauben versammelten Gemeinde, der ein universalkirchlicher Bezug unveräußerlich zugehört, ist Kirche real präsent, so dass in, mit und unter dieser Realität auch ihre Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität in Erscheinung tritt und vom Glauben erkannt werden kann. Die wahre Kirche ist also keineswegs unsichtbar, obwohl sie in Anbetracht ihrer empirisch-historischen Glieder, aber auch in Anbetracht der amtlich verfassten kirchlichen Organe als verborgen zu gelten hat.

Unter der Prämisse dieser ekklesiologischen Argumentationsfigur wird man zu prüfen haben, ob bzw. inwieweit der Begriff der Subsistenz und die Vorstellung pluraler, in ihrem kirchlichen Gehalt entweder gleichrangiger oder abgestufter Subsistenzen oder Weisen der Subsistenz der "una sancta" in den gegebenen Kirchentümern ekklesiologisch hilfreich und ökumenisch verständigungsförderlich ist. Dass die Wendung "subsistit in" aus reformatorischer Sicht und unter ökumenischen Bedingungen im Vergleich zu dem herkömmlichen "est" als ein erheblicher Fortschritt römisch-katholischer Ekklesiologie zu beurteilen ist, bleibt davon unberührt.