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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

1020–1022

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Alfejev, Hilarion

Titel/Untertitel:

Geheimnis des Glaubens. Einführung in die orthodoxe dogmatische Theologie. Aus d. Russ. übers. v. H.-J. Röhrig. Hrsg. v. B. Hallensleben u. G. Vergauwen.

Verlag:

Freiburg (Schweiz): Universitätsverlag 2003. 276 S. gr.8 = Ökumenische Beihefte, 43. Geb. Euro 32,80. ISBN 3-7278-1435-7.

Rezensent:

Hans-Dieter Döpmann

Für das Verstehen des Entstehens und Anliegens dieses Buches sei ein Blick auf die persönliche Entwicklung des Vf.s gestattet. Seit 2003 Bischof für Wien und Österreich, erweist er sich als ein besonders kenntnisreicher und zugleich ökumenisch orientierter Theologe der Russischen Orthodoxen Kirche. Nur einiges sei angedeutet: Studium am Moskauer Konservatorium, Dienst in der Sowjet-Armee, Fernstudium am Moskauer Geistlichen Seminar, neben priesterlichem Dienst Lehr- und redaktionelle Tätigkeit in Russland, Frankreich, England, 1997-2002 Wirken im Kirchlichen Außenamt des Moskauer Patriarchats, Teilnahme an theologischen Dialogen mit dem Reformierten Weltbund, der Römisch-katholischen Kirche, der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Lutherischen Kirche Finnlands, der Kirche von England, Mitglied des Zentralkomitees des ÖRK; er empfing 2002 in Moskau die Bischofsweihe und wurde als Repräsentant des Moskauer Patriarchats zu den Europäischen Institutionen nach Brüssel entsandt, eine Aufgabe, die er auch als Bischof von Wien weiter wahrnimmt.

Wie er selbst erläutert, entstand sein Werk, als er im Jahre 1992 am Moskauer Geistlichen Seminar Homiletik lehrte und kurzfristig die Vorlesung in Dogmatik übernehmen musste. Er stellte fest, dass das Dogmatik-Lehrbuch, nach dem die Studenten lernten und von dem sie sich wenig angesprochen fühlten, in allen seinen Teilen dem Aufbau der mittelalterlichen scholastischen Schemata folgte. Da er sich außer Stande fühlte, nach dieser Methode zu lehren, beschloss er, seinen Kurs "ausschließlich auf den Themen aufzubauen, die in den Werken der Kirchenväter anzutreffen sind ..." (14). Für unabdingbar hielt er es, in den Dogmatikkurs auch Themen wie mystische Theologie, Liturgie, Gebet, Gottesschau und Vergöttlichung aufzunehmen. "Es schien mir wichtig, die Verbindung von Dogmen und Spiritualität, von dogmatischer Theologie und dem mystischen Leben des Christen zu betonen." Neben den Werken der Kirchenväter, darunter auch westlicher wie Augustin, benutzte er die in der russischen Emigration erschienene Literatur, die Werke von Vladimir Losskij, Georgij Florovskiij, Alexander Schmemann, John Meyendorff sowie von dem ihm sehr nahe stehenden Metropoliten Anthony von Surosh (Bloom) und Archimandrit Sophronij (Sacharov).

Es entstand, wie er es selbst sieht, weniger ein Lehrbuch der Dogmatik als ein Kommentar zu einem solchen Lehrbuch. Was wollte ich, fragt er, meinen Studenten ganz besonders ans Herz legen? Insbesondere die Verbindung von Dogma und geistlicher Erfahrung. Das Dogma ist nicht etwas Erstarrtes, Totes, Formales oder Veraltetes. Die Dogmen bilden "die Herzmitte christlichen Lebens" (15). Er sieht es als ganz aktuelle Aufgabe, "im Masse des Möglichen die Erfahrungen der Väter anzueignen und sie im Leben umzusetzen". Schließlich geht es ihm darum, die Bedeutung des orthodoxen Gottesdienstes als Quelle der dogmatischen Überlieferung zu vermitteln. Während einzelne Werke der Kirchenväter zuweilen umstrittene oder gar irrige Meinungen enthalten können, sind, wie er sagt, in den liturgischen Texten alle derartigen Meinungen durch die kirchliche Tradition entfernt worden. Die lex credendi erwächst aus der lex orandi, aus der Gebetserfahrung. Aber es ist auch charakteristisch für das vorliegende Werk, dass es nicht nur eine klare Darstellung orthodoxen Denkens entfaltet, sondern dies mit dem Blick auf Fragen der Gegenwart sowie manchmal auch dem Dialog mit anderen Kirchen verbindet.

Das spiegelt sich in den elf Kapiteln wider, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Begonnen wird mit der Suche nach dem Glauben. "Der Glaube ist der Weg, auf dem Gott und Mensch einander entgegengehen." (17) Es ist schwer für den Menschen, an Gott zu glauben, wenn er nicht zuvor den Anruf vernommen hat. Viele in unserer Zeit hören niemals dieses Wort, denken niemals über Gott nach. Heutiges Business lässt keinen Raum, die Stimme Gottes zu hören. Am Beispiel antiker Philosophen und anderer Denker wird gezeigt, wie Menschen auf unterschiedlichen Wegen nach dem Schöpfer des Universums, nach Gott gesucht haben.

Im Vergleich verschiedener Ansätze einer Etymologie des Wortes "Gott" sowie der Arten der "Bejahung und Verneinung" wird die für orthodoxes Denken charakteristische apophatische Theologie erläutert. So sind die vier Termini, die im Chalkedonense von der Vereinigung der beiden Naturen in Christus sprechen, streng apophatisch und beginnen mit der Vorsilbe "un-" als Zeichen eines Geheimnisses, das den Verstand übersteigt.

Hauptquelle unseres Wissens von Gott und von Christus ist die Heilige Schrift. Alle Häresien haben sich auf sie berufen. Deshalb ist ein gewisses Kriterium nötig: die heilige Überlieferung. Sie ist nicht "einfach Ergänzung zur Schrift: Sie legt Zeugnis von der andauernden und lebendigen Gegenwart Christi in der Kirche ab"(99). Erfreulicherweise wird an mehreren Stellen aufgezeigt, was in orthodoxer Lehre und Praxis erst historisch gewachsen ist bzw. wie sich fromme Überlieferung verfestigt hat.

So waren hinsichtlich der Erlösungslehre Momente der lateinischen Scholastik mit einem Übermaß an juridischen Termini in die russische akademische Theologie des 18./19. Jh.s eingedrungen. Man müsse "im Blick haben, dass die Lehre von den sieben Sakramenten, die sich in den Lehrbüchern der dogmatischen Theologie findet, der lateinischen Scholastik entnommen ist ... Das östliche patristische Denken ... sah es nicht als seine Aufgabe an, ihre Zahl festzulegen" (151). So wurde der Ritus der Mönchsweihe von nicht wenigen orthodoxen Autoren zu den Sakramenten gezählt. Es ist Praxis geworden, nur einmal im Jahre zu kommunizieren. Der Vf. nennt Beispiele, dass in Russland einst sogar in den Verdacht der Häresie geraten konnte, wer sehr häufig kommunizieren wollte.

Hinsichtlich des Verhältnisses der Orthodoxie zu den anderen Kirchen und zur Ökumene werden Beispiele radikaler Ablehnung - am extremsten bei einigen Theologen der Russischen Auslandskirche - ebenso angeführt wie solche ökumenischer Offenheit. Der orthodoxe Christ, schreibt der Vf., dürfe auch "nicht vergessen, dass einzig und allein Gott weiss, wo die Grenzen der Kirche sind" (146).

Jedes Kapitel endet mit entsprechenden Zitaten aus der Kirchenväterliteratur, manche zusätzlich von neueren russischen oder anderen Theologen, auch Denkern wie Albert Einstein. - Ein Anhang enthält Angaben zur Person des Vf.s und die Liste seiner Publikationen.

Das Buch ist in seiner grundlegenden und doch sehr verständlich geschriebenen Darlegung orthodoxen Glaubens nicht nur eine Unterweisung für den orthodoxen Leser, sondern bietet in der kritischen Betrachtung abendländischer Auffassungen, z. B. in der Frage der Ikonen oder der Abgrenzung von der katholischen Lehre vom Fegfeuer, auch für den nicht-orthodoxen Leser sehr zum Mitdenken anregende Informationen.