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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

1018–1020

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ekklesiologie und Kirchenverfassung. Die institutionelle Gestalt des episkopalen Dienstes. Hrsg. in Zusammenarbeit m. P. Neuner u. Th. Nikolaou.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2003. 205 S. 8 = Beiträge aus dem Zentrum für ökumenische Forschung München, 1. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-8258-6529-0.

Rezensent:

Friederike Nüssel

"Ökumene kann nur vorankommen, wenn Kirche als geordnete Rechtsgestalt analysiert und aufgrund dieser Analyse die Möglichkeiten von Veränderungen, Annäherungen und Gemeinschaft bestimmt werden" (8) - so formuliert G. Wenz in der Einleitung zu dem angezeigten Band, der zehn Beiträge orthodoxer, römisch-katholischer und evangelischer Autoren zur Frage nach der institutionellen Gestalt des episkopalen Dienstes enthält. Ursprünglich für ein Kolloquium im Rahmen des Zentrums für ökumenische Forschung in München verfasst, bieten sie einen guten Einblick in die verschiedenen konfessionellen Anliegen in der Amtsfrage und dokumentieren "in Form und Inhalt den ökumenischen Tatbestand konfessioneller Multiperspektivität" (9).

Den Auftakt bildet die neutestamentliche Untersuchung von Jörg Frey zu "Apostolat und Apostolizität im frühen Christentum" (11-41), in der gezeigt wird, wie sich - im Rekurs auf die Ausbildung des Apostel-Begriffs und die biblischen Modelle von Apostolizität - in nachapostolischer Zeit Leitungs- und Ämterstrukturen herausgebildet haben. Dabei lasse sich zwar eine personale Sukzession der Apostel "historisch nirgends belegen" (40), wohl aber habe sich die Funktion von Leitung und deren Ordnung in bestimmten Leitungsämtern als notwendig erwiesen. Die Herausbildung einer spezifischen Ämterstruktur sei dabei "ein Mittel unter mehreren, mit denen die frühe Kirche versucht habe, die Apostolizität ihrer Botschaft ... in der Zeit nach dem Tod der Apostel zu sichern" (41), ein Prozess, der "bis in die Spätschriften des Neuen Testaments noch nicht zu einem einheitlichen Abschluss gekommen" (ebd.) sei.

In den Beiträgen von orthodoxer Seite bestimmt Theodor Nikolaou - auf der Basis kirchengeschichtlicher Untersuchungen zum Verständnis der Synodalität der Kirche in den sieben ökumenischen Konzilien - das Ökumenische Konzil als höchsten Ausdruck der Synodalität. Athanasios Vletsis stellt sodann im Rekurs auf Ignatios dar, dass dem Bischof als Typos und Topos Gottes bzw. Christi in der Eucharistie einheitsstiftende Funktion zukomme. Grundlegend dafür sei ein Kirchenverständnis, wonach die Kirche wesentlich als "die durch die Kraft des Geistes im Namen des Dreieinigen Gottes um die Hl. Eucharistie versammelte Gemeinde Jesu Christi" (81) zu gelten habe. Von daher plädiert Vletsis entschieden dafür, das Bischofsamt "von all der Last irdischer Macht-Typologie" (98) zu befreien. Vladimir Ivanov stellt schließlich in seinem Beitrag das Prinzip der Sobornost (Katholizität) in der russischen Theologie bei A. Chomjakov und N. Berdjajev vor.

In den beiden Beiträgen von römisch-katholischer Seite versuchen Peter Neuner und Ilona Riedel-Spangenberger in historischer und kirchenrechtlicher Perspektive Wege zur Überwindung der kirchentrennenden Bedeutung der Amtsfrage insbesondere im Verhältnis zu den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen anzuzeigen. Neuner erörtert die Bedeutung des Amtes für die Identität der Kirche, indem er zunächst den Ursprung der Amtsfrage bestimmt und dann die in der Kirchengeschichte entwickelten Modelle zur Sicherung der Apostolizität der Verkündigung vorstellt. Dabei macht er deutlich, dass in der frühen Kirche- im Unterschied zu späteren Verselbständigungstendenzen - die apostolische Sukzession nicht als eine automatische Garantie verstanden wurde (65-70). "Als Zeichen für die Treue zum Ursprung" habe die apostolische Sukzession jedoch "ihren unverzichtbaren Wert", weshalb für einen ökumenischen Fortschritt zu wünschen sei, "dass dieses Zeichen in den Kirchen der Reformation dadurch neue Deutlichkeit erhält, dass dessen bischöfliche Struktur angestrebt wird" (77). Angesichts "der Variationsbreite in der theologischen Verhältnisbestimmung von bischöflichem und priesterlichem Amt und der Stellung des Amts innerhalb der Bezeugungsinstanzen" hält Neuner es allerdings für "überzogen", von der bischöflichen Amtssukzession "allein ... die Existenz und die Gültigkeit dieses Amtes und die Existenz der Kirche abhängig zu machen" (77 f.). Wie die römisch-katholische Kirche selbst ihr Kirchesein versteht und wie sie den Zusammenhang personaler, synodaler und kollegialer Struktur des episkopalen Dienstes in ihrer Kirchenverfassung entwickelt hat, erläutert Riedel-Spangenberger. Ihre Ausführungen münden in Überlegungen zur Gemeinschaft von Kirchen generell und zur Vereinigung von getrennten Kirchen speziell. Das in jüngster Zeit bevorzugte Modell der Einheit in versöhnter Verschiedenheit setze dabei "eine Verständigung im Glauben, in den Sakramenten und hinsichtlich des episkopalen Dienstes im Wesentlichen" (179) voraus. Dies sei "der Weg zu einer konziliar gewonnenen Gemeinschaft mit dem Vollzug gegenseitiger und gemeinsamer Teilhabe am Christus-Mysterium, das in vielfältigen kirchlichen Verfassungsformen gelebt werden kann, ohne die gewonnene Kirchengemeinschaft zu gefährden" (ebd.).

Welche theologischen Differenzen und Probleme auf einem solchen Weg zu bearbeiten sind, lässt sich aus dem Vergleich dieser katholischen Überlegungen mit den Ausführungen in den vier Beiträgen von evangelischer Seite erkennen. Hans-Peter Hübner stellt hier zunächst die Grundsatzüberlegungen evangelischer Kirchenverfassung vor. Den Ausgangspunkt bildet dabei die "Partizipation aller Gläubigen an dem der Kirche gegebenen Auftrag" (114). Ferner behandelt er die Zuordnung von Amt und Gemeinde, das Verhältnis von Kirchengemeinde und Landeskirche und die strukturelle Gestalt der Kirchenleitung. Bernd Oberdorfer demonstriert sodann am Beispiel der bayerischen Kirchenverfassung die arbeitsteilige Gemeinschaft und gegenseitige Verantwortung in der lutherischen Zuordnung von synodaler und bischöflicher Episkope. Er vertritt die These, dass eine verstärkte Beachtung der theologischen Rationalität dieses geschichtlich gewachsenen Verhältnisses der Gefahr einer "Klerikalisierung der Ökumene" wehren könne (136). Wie die Frage nach der Gestalt des episkopalen Dienstes im reformierten Protestantismus durch die Entwicklung des presbyterial-synodalen Modells der Kirchenverfassung beantwortet wurde, zeigt im Anschluss Jan Rohls. Dieses Model könne dabei ebenso wie das historische Bischofsamt als Dienst an der Einheit gewürdigt werden (162). Gunther Wenz erörtert im letzten Beitrag des Bandes, welchen rechten Begriff "man sich theologisch von einem christlichen Episkopen zu machen" (180) habe. Er bedenkt dabei zuerst die wesensmäßige Einheit des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche, thematisiert dann das historisch gewordene Bischofsamt als personale Gestalt übergemeindlicher Episkope und erörtert weiter das Problem von Ordinationskompetenz und apostolischer Amtsnachfolge im Rekurs auf die Porvooer Gemeinsame Erklärung. Abschließend diskutiert er unter Bezug auf die zwischen Episcopal Church und Evangelical Lutheran Church of America geschlossene Kirchengemeinschaft, "ob historischer Episkopat und bischöfliche Sukzession Bedingungen der Möglichkeit kirchlicher Einheit darstellen" (180).

Aus der Lektüre der in diesem Band versammelten Analysen wird deutlich, dass ökumenische Annäherungen nur möglich werden, wenn der Anspruch auf Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen, den die Kirchen mit ihrer jeweiligen Verfassung verbinden, kritisch reflektiert wird. Auf dieser Basis lässt sich dann auch bedenken, welche Strukturmomente des episkopalen Dienstes sich als conditiones sine quibus non für Kirchengemeinschaft geltend machen lassen und welche Differenzen in der Ausgestaltung in den Kirchen wechselseitig toleriert werden können sollten.