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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

1003 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Büttner, Gerhard, u. Veit-Jakobus Dieterich

Titel/Untertitel:

Religion als Unterricht. Ein Kompendium.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 237 S. m. Abb. 8. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-525-61488-8.

Rezensent:

Michael Fricke

Die Autoren, die beide Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts lehren, wollen mit ihrem Werk zu "neuem Hinschauen" auf den Religionsunterricht einladen (11) und dessen "Selbstverständlichkeiten" kritisch durchleuchten (5). Sie gehen von der Annahme aus, dass der Religionsunterricht "gerade so, wie er erteilt wird, zunächst einmal in Ordnung ist" (11). Diese These soll Lehrer und Lehrerinnen, die sich - in Zeiten von PISA - allzu leicht an überhöhten Ansprüchen messen und dann von Unzufriedenheit beschlichen werden, entlasten (ebd.). Die Autoren richten den Blick nicht auf Schule oder religionspädagogische Konzepte im Allgemeinen, sondern auf die reale "einzelne Religionsstunde", denn "nur dort können wir die Feinheiten und Strukturen erkennen, die letztlich im Dispositionsbereich der Unterrichtenden liegen" (ebd.).

Jedes Kapitel besteht aus drei Elementen: 1) Einem Einstieg ins Thema mit einem Beispiel (Unterrichtsprotokoll, literarische Quelle zu Unterricht und Schule, Bild o. Ä.), 2) der religionspädagogischen und -didaktischen Reflexion, bei der Grundfragen des Religionsunterrichts auf dem Hintergrund der aktuellen Fachdiskussion und, als Besonderheit, N. Luhmanns System- (und Umwelt)-Theorie bearbeitet werden, und 3) einem Fragekatalog zum Nach- und Weiterdenken über eigene Erfahrungen im Religionsunterricht als ehemaliger Schüler bzw. als Studierender oder Unterrichtender. Die Autoren behandeln dabei zentrale religionsdidaktische Themen wie etwa "Schüler/innen" (45-56), "Religionslehrer/innen" (57-69), "Erziehung" (69- 100), "Inhalte der Religionsstunde" (120-132), "Gebildet-Werden und Lernen" (148-162), "Glauben lernen" (163-179); sie stellen sich auch der Problematik, wie Religionsunterricht mit Schülern zu gestalten ist, bei denen kein "Einverständnis im Glauben" vorliegt (180-194). Als Stärken des Buches möchte ich folgende Punkte hervorheben:

1) Die Autoren nehmen programmatisch eine positive Grundhaltung gegenüber dem vorfindlichen Religionsunterricht ein und gehen mit ihrer Kritik an Lehrkräften bzw. Lehrplänen vorsichtig und sparsam um. Gerade dies wirkt als Ermutigung für den Leser, offen und selbst-kritisch über eigene Modelle und die eigene Praxis des Religionsunterrichts nachzudenken.

2) Die Autoren machen die Realität des Religionsunterrichts zum Thema und dessen Mechanismen und Strukturen sichtbar. Überzeugend arbeiten sie heraus, dass einige von diesen Mechanismen problematisch, gleichzeitig aber unveränderbar und gegeben sind. Dazu gehört etwa die Unplanbarkeit von Unterricht. Diese ergibt sich z. B. durch die Partizipation der Schüler mit unvorhersehbaren Assoziationen: "War das Dritte Reich auch das Reich Gottes, weil da war auch keiner arbeitslos?" (Beitrag eines Schülers einer 6. Klasse im Unterrichtsgespräch zu Mt 20,161).

3) Die Autoren leisten einen wichtigen Beitrag zum theoretischen religionsdidaktischen Diskurs: Das konsequente Berücksichtigen der in den letzten Jahren aufgekommenen empirischen religionspädagogischen Forschung führt zum Infragestellen traditioneller Konzepte - etwa des "linear-deduktiven Vorbereitungsmodells" (127) oder der Annahme eines kausalen Zusammenhanges von Lehren und Lernen (vgl. 148 ff.) - und zu einer Suche nach neuen Erklärungen für den Zusammenhang von Lehren und Lernen (Konstruktivismus als Alternative zum Instruktivismus). Die Autoren zeigen dabei das Problem auf, dass eine "konstruktivistische Annäherung an die Unterrichtsgegenstände ... diesen ihre Gewissheit" nimmt (154).

4) Luhmanns Ansatz erlaubt neue Blicke auf das Geschehen im Unterricht; als Nebeneffekt wird seine Theorie auch für Lesende greifbar, die sich noch nicht tiefer mit seinen Werken befasst haben (vgl. etwa den Abschnitt über Luhmanns Begrifflichkeiten zum "System", 30-35, und seine These der "Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation", 36-40).

5) Das Buch bietet schließlich eine anregende Auswahl von Texten und Bildern, die zum Innehalten ebenso wie zum Schmunzeln einladen und veranschaulichen, was im Religionsunterricht geschehen kann. Sie eignen sich sehr gut dafür, den Bezug zum eigenen Unterrichten herzustellen und in die religionsdidaktische Diskussion einzusteigen.

Zu einigen Punkten habe ich kritische Anmerkungen bzw. Anfragen:

1) Der Untertitel "Kompendium" weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Zwar bilden die ausgewählten Themen die Grundlage für ein Kompendium, jedoch ist die jeweilige Durchführung nicht kompendiarisch, sondern exemplarisch (insofern z. B. für das Examen nur als Ergänzungslektüre geeignet).

2) Die Autoren rücken wichtige und grundlegende Phänomene des Religionsunterrichts ins Blickfeld und stellen sie dar. Jedoch beschränken sie die Analyse und Deutung des jeweiligen Phänomens oft auf wenige Gedankengänge und eilen zum nächsten Thema. Insofern kann das Buch dem eigenen Anspruch einer "Sehschule" (9) nicht immer gerecht werden.

3) An verschiedenen Stellen bleibt die eigene Position der Autoren im Dunklen, etwa bei der Frage, wie angesichts der Unzulänglichkeit der klassischen religionspädagogischen Konzeptionen das Verhältnis von Selbst-Bilden der Schüler einerseits und Erziehungs- und Bildungsarbeit der Lehrkräfte andererseits gestaltet werden soll (ist Lehren nichts anderes als das Auslösen von "Irritationen"? Vgl. 50 f.148 f.).

Insgesamt empfehle ich dieses anregende Buch allen zur Lektüre, die Theologie/Religionspädagogik studieren, in der Praxis des Religionsunterrichts stehen oder Religionspädagogik lehren!