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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

984–986

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Danz, Christian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs.

Verlag:

Wien: LIT 2004. XIV, 291 S.gr.8 = Tillich-Studien, 9. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-8258-7057-X.

Rezensent:

Gunther Wenz

Theologie ist normative Religionsphilosophie. Mit dieser Wendung ist der Theologiebegriff Paul Tillichs (1886-1965) bündig umschrieben. Um ihre normative Funktion konkret wahrnehmen zu können, darf sich Theologie im Unterschied zur Religionsphilosophie nicht auf allgemeine, apriorische und kategoriale Einsichten beschränken, sondern muss aufgeschlossen sein für eine besondere, geschichtlich vermittelte Religionsgestalt in der konkreten Positivität ihres Geltungsanspruchs. Ohne positionelle Beziehung des Theologen zu seinem Gegenstand kann es Theologie im Unterschied zur Religionsphilosophie nicht geben. Der eigene Standpunkt ist konstitutives Element theologischer Begründungsreflexion.

Die Standpunktrelativität theologischen Denkens hat Tillich in seiner Systematischen Theologie unter dem Titel "Theologischer Zirkel" eigens verhandelt. Im hermeneutischen Zirkel der Theologie muss sich der Theologe bewegen, um seinen Gegenstand nicht nur in religionsphilosophischer Außenbetrachtung, sondern von innen heraus als dasjenige wahrzunehmen, was ihn unbedingt angeht. Zwei Grundsätze ergeben sich daraus, die nach dem Urteil Tillichs als formale Kriterien jeder Theologie fungieren: 1. "Der Gegenstand der Theologie ist das, was uns unbedingt angeht. Nur solche Sätze sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand beschäftigen, sofern er uns unbedingt angeht" (STh I, 19 f.). 2. "Das was uns unbedingt angeht, ist das, was über unser Sein oder Nichtsein entscheidet. Nur solche Sätze sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand beschäftigen, sofern er über unser Sein oder Nichtsein entscheidet" (STh I, 21). Für den christlichen Theologen kommt als materiales Kriterium hinzu, dass Jesus als der Christus es ist, in dem sich das Unbedingte erschlossen hat, um den Menschen in seiner Welt in Negation und Affirmation mit eschatologischer Letztgültigkeit anzugehen. Ohne dieses materiale Kriterium blieben die vorher genannten Kriterien bloßer Förmlichkeit verhaftet und christliche Theologie wäre nicht, was sie ihrem Begriff gemäß zu sein hat: normative Philosophie der Religion des Christentums, die dessen Wesen in Rezeption und produktiver Gestaltung zu erschließen hat.

Die Voraussetzungen, Implikationen und Konsequenzen des Tillichschen Programms von Theologie als normativer Religionswissenschaft werden in dem angezeigten Sammelband unter Konzentration auf drei Fragenkomplexe thematisiert: auf den problemgeschichtlichen Hintergrund der Religionstheorie und Theologie Tillichs, auf die Formierungsphase seines Programms in den 20er Jahren des 20. Jh.s und schließlich unter Konzentration auf die systematische Durchführung des frühen Programms im "opus magnum" der Systematischen Theologie. Im Zusammenhang des ersten Fragenkomplexes analysiert Erdmann Sturm Tillichs kritische Rezeption der Religions- und Lebensphilosophie von Georg Simmel, der auf Veranlassung Henri Bergsons zu einer Metaphysik des sich selbst transzendierenden Lebens gelangt war. Paul Ziche untersucht den wissenschaftstheoretischen Entwurf, wie er vor allem in dem "System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden" von 1923 vorliegt. Vorangestellt ist ein Beitrag von Hans-Walter Schütte, der ursprünglich dem von ihm 1973 edierten Briefwechsel zwischen Emanuel Hirsch und Paul Tillich in den Jahren 1917/18 beigegeben war und nun erneut vorgelegt wird; er führt in höchst instruktiver Weise in die Debatte der beiden ungleichen Freunde über Begründungsprobleme und Prinzipienfragen moderner Theologie und Religionsphilosophie ein.

Unter dem Gesichtspunkt der Konzeptualisierung des frühen Theologieprogramms untersucht der Bandherausgeber Christian Danz die Entwicklung der religionsphilosophischen Grundlegung von Tillichs Theologiebegriff von der Systematischen Theologie von 1913 bis zur Marburger Dogmatikvorlesung von 1925. Die Tillichsche Bestimmung der Theologie als normativer Religionsphilosophie gewinnt dadurch historische Konturen und ein klares Format. Über die religiöse Bedeutung skeptischer Reflexion bei Paul Tillich handelt ausgehend von dem frühen Briefwechsel mit Hirsch Jörg Dierken, um zu dem Ergebnis zu gelangen, die Negativität zweifelnder Reflexion sei - nicht zuletzt im Zuge fortschreitender Ontologisierung des Tillichschen Denkens - durch die absolute Positivität unvordenklichen Seins gebrochen worden, dessen man nur in der vermittlungslosen Unmittelbarkeit zweifelsfreier Gewissheit gewahr werden könne.

Zu einem vergleichbaren Resultat kommt Michael Murrmann-Kahl in seinem Beitrag zum Problem der Korrelationsmethode, nachdem zuvor in dem Text von Folkart Wittekind die werkgeschichtliche Entwicklung der Tillichschen Geschichtstheologie von der Vorkriegszeit bis 1930 rekonstruiert wurde. Im Jahr zuvor, im Sommer 1929, war Tillich in Frankfurt erstmals Theodor W. Adorno begegnet, der eineinhalb Jahrzehnte später einen Entwurf zu Papier bringen sollte, in dem er sich aus der Perspektive "Kritischer Theorie" scharf mit Tillichs anthropologischer Wesensdefinition des Menschen als endlicher Freiheit auseinander setzt, die er in negativer Dialektik als ideologischen Schein zu entlarven sucht (vgl. Th. W. Adorno, Zu Paul Tillichs Man and Society in Religious Socialism. Entwurf, hrsg. v. E. Sturm, in: ZNThG 3 [1996], 277-299). Hieran schließt Murrmann-Kahl an, um ähnlich wie Dierken Tillichs Denken zumindest in seinem Ansatz als negativitätsvergessen zu kritisieren. Im Anschluss daran entfaltet Hartmut Rosenau Grundzüge einer pneumatologischen Geschichtstheologie bei Tillich, und Dirk-Martin Grube macht mit dessen Auseinandersetzung mit dem Erfahrungsbegriff der anglo-amerikanischen Philosophietradition bekannt. Der dem Andenken John P. Claytons, Gert Hummels und Hans-Walter Schüttes gewidmete Sammelband, dem ein Namen- und Sachregister beigegeben ist, schließt mit Anmerkungen Jörg Eickhoffs zum Problem religiöser Identität im pluralistischen Religionsdiskurs der Postmoderne.

Teddy Adorno hat Paulus Tillich in einem Brief an Max Horkheimer vom 15. Mai 1936 mit kritisch-ironischem Unterton als einen "Harmonisten" gekennzeichnet. Tatsächlich war dessen Denken auf allumfassende Synthese hin angelegt. Doch künden Biographie und Werkgeschichte nicht minder von schroffer Entzweiung und unversöhnter Zerrissenheit; was Differenz bedeutet, wusste Tillich längst vor der Postmoderne.