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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

970 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hoye, William J.

Titel/Untertitel:

Die mystische Theologie des Nicolaus Cusanus.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2004. 202 S. m 1 Abb. gr.8 = Forschungen zur europäischen Geistesgeschichte, 5. Lw. Euro 35,00. ISBN 3-451-28387-5.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Das Buch stellt eine kritische, aber nötige Auseinandersetzung mit der Cusanus-Interpretation durch Kurt Flasch dar, denn, so stellt der Vf. richtig fest, "ohne sich mit seiner Theologie zu befassen, kann man seine Philosophie nicht adaequat verstehen" (11, doch umgekehrt auch nicht). Flasch will bei Nikolaus von Kues (= NvK) nur von Theologie im aristotelisch-philosophischen Sinne, nicht aber im Sinne einer Offenbarungstheologie sprechen.

Ausdrücklich hat sich NvK mit mystischer Theologie beschäftigt und mit De visione Dei (1453) auf Wunsch der Tegernseer Mönche eine Mystische Theologie verfasst. Diese stellt keinen Fremdkörper in seinem Denken dar. In zahlreichen seiner Schriften hat er sich mit dem Phänomen auseinander gesetzt, angefangen von De docta ignorantia (1440) bis hin zu De apice theoriae (1464) - und das immer wieder in Anlehnung an Ps.-Dionysios Areopagita, für ihn der größte aller Theologen. Dagegen hat NvK starke Vorbehalte Bonaventura gegenüber, für den mystische "Vereinigung mit dem Unerkannten jenseits des Erkenntnisvermögens" stattfindet; für ihn dagegen stellt die mystische Theologie "die höchste Stufe seines Denkens" dar (41). Nicht dem Affektiven, sondern dem Kognitiven gibt er den Vorzug; nicht die coincidentia oppositorum selbst, sondern jenseits von ihr ist der Ort, an dem Gott sich finden lässt.

Dabei stellt er sich die Frage, wie Vernunft und Unwissenheit zusammenzudenken sind. Doch nicht die Koinzidenz, sondern die Offenbarung hat dabei das letzte Wort. Wenn NvK in De visione Dei (Kap. 9) schreibt, er habe den Ort gefunden, wo Gott gefunden werden kann, so ist dieser die "Idee der absoluten Unendlichkeit". Dagegen meint Flasch, der Ort, den NvK gefunden habe, sei der Intellekt; durch ihn könne Gott gesehen werden. Dazu stellt der Vf. deutlich heraus: "Mystische Theologie ist für Nikolaus von Kues nicht eine intellektuelle Einsicht, geschweige denn eine Erfahrung, sondern eine Offenbarung, die durch einen Glaubenssprung erreicht wird"; mystische Entrückung versteht er als Glaube (52 ff.).

Die docta ignorantia geht über jeden Verstand hinaus und gründet auf übernatürlicher Offenbarung. Der Vf. sieht in der Unendlichkeit den Schlüsselbegriff der mystischen Theologie des NvK (76, vgl. Cribratio Alkorani II,1, n. 88: "... de ipso cognoscimus, quod ipse est ipsa infinitas"). Für NvK geht - in Anlehnung an Dionysios Areopagita - die mystische Theologie auch über die negative Theologie hinaus. Das wird in De non aliud deutlich:

"Ihn, den Unendlichen und Grenzenlosen, schauen bedeutet: Im Anderen das schauen, was gegenüber jedem Gegenstand ein Nichtanderes ist" (Kap. 23). Gott befindet sich jenseits aller Gegensätze. Aber wiederum hat "das Schauen die Form eines Einsehens. ... Gott schauen wir, wenn wir die Wahrheit des Satzes erkennen, daß Gott unerkennbar ist" (88).

Die geistige Schau liegt höher als die Erkenntnistheorie und kommt in der mystischen Theologie zur Geltung (98). Jenseits des Begreifens "gibt es die Schau des Unbegreifbaren". Der höchsten Schau muss der größte Glaube vorausgehen, er ist der Weg zur Schau der Wahrheit (101 ff.). In ihr besteht die höchste Seligkeit. NvK leitet die Bezeichung "theos" von "theorein" ab; Gott ist theos, der Allessehende. Die Glückseligkeit besteht in der Wahrnehmung (117).

Wohl ist seine Bezeichnung des Menschen als "deus creatus" gewagt, aber verständlich auf dem Hintergrund dessen, dass NvK im Denken Gottes Schaffen sieht - während unser Geist "eine angleichende Kraft" darstellt (Gott erschafft die Dinge, wir die Begriffe). Selbst seine mathematischen Spekulationen stellt er ganz in den Dienst der Theologie: "Mathematik führt uns zu den zutiefst absoluten göttlichen und ewigen Dingen" (De mathematica perfectione).

Die Bedeutung des cusanischen Denkens insgesamt bestimmt der Vf. so: "Der Begriff der Unendlichkeit ist ... von zentraler Bedeutung in seinem Denken. Mystische Theologie ist demzufolge nicht bloß ein anderer Name für Einheitsphilosophie" (145). Darin liegt der Dissens zwischen Flasch und dem Vf. Flasch will NvK von einem platonischen Einheitsdenken her verstehen. So sehr er auch in (neu-)platonischer Tradition steht, entscheidend für ihn ist doch, dass er nicht von einem bestimmten Gottesbegriff aus die Unbegreiflichkeit Gottes bestimmen will. Er ist ja lebenslang auf der Suche nach Gottesnamen. Er glaubt schließlich in seiner letzten Schrift De apice theoriae, diesen im Namen Posse ipsum gefunden zu haben, doch sind damit die früher gefundenen (Maximum, Posse, Non aliud, Possest) nicht einfach vom Tisch. "Seine Position wird nicht von irgendeinem Gottesbegriff ... getragen", urteilt der Vf., ganz gewiss nicht von Esse, Unum o. Ä.; sie spielen bei ihm keine wesentliche Rolle. "Was er die Schau der mystischen Theologie nennt, übertrifft nach ihm alle Philosophie", denn "bis zur Schau ist keine philosophische Untersuchung gelangt", meint NvK, sie liegt jenseits jeder rationalen Schau. Die mystische und erst recht die eschatologische Schau wird nur durch Offenbarung ermöglicht (150-156).

NvK "versteht sich in erster Linie als gläubiger Theologe; selbständiges Denken bewegt sich bei ihm ... auf dem festen Boden des Glaubens" (169). Mag sein, dass der Vf. hier und da sehr zugespitzt formuliert, aber das ist verursacht durch die Interpretation von Flasch, die sicher nicht dem cusanischen Denken insgesamt gerecht wird. Es muss deutlich bleiben, dass dieses bestimmt ist durch eine - gewiss philosophisch reflektierte - Theologie.