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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

968 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Demetrii Chomateni Ponemata Diaphora. Recensuit G. Prinzing.

Verlag:

Berolini et Novi Eboraci (Berlin-New York): de Gruyter 2002. XIV, 388*, 535 S. m. Abb. gr.8 = Corpus fontium historiae Byzantinae, 38. Lw. Euro 298,00. ISBN 3-11-015612-1.

Rezensent:

Christoph Auffarth

Die Ausgabe der Rechtsentscheidungen des Erzbischofs von Ochrid (1216-1236) Demetrios Chomatenos, die Günter Prinzing in einer mustergültigen Edition samt Kommentar erschlossen hat, stellt der Wissenschaft eine zentrale Quelle des Hochmittelalters zur Verfügung. Was die Quelle so bedeutsam macht, ist zum einen der Ort, zum anderen die Zeit.

Nach dem Vierten Kreuzzug 1204 errichten die Lateiner eine Herrschaft, die teils die funktionierende Bürokratie des griechische Kaiserreich zerstört, teils als Parallelstruktur duldet. Wie im Westen werden weltliche Herrschaft und kirchliche Institution getrennt. In viele kleine Herrschaften zersplittert, manche selbständig, manche von einer Zentrale wie Venedig oder Rom dirigiert, ergibt sich keine neue weltliche Zentralherrschaft. In jedem Fall bringen die unterschiedlichen Herrschaften und die parallelen Institutionen etwas ins Wanken, was einen zentralen Pfeiler der Herrschaft ausmacht: das Recht. Demetrios Chomatenos sagt das einmal negativ (Fall 81, Zeile 273 f., S. 281): Die Bulgaren kannten - wie alle Barbaren - vor der Herrschaft des Kaisers nur das Recht der Barbaren: Recht ist, was ich will. Das einzig Stabile in dieser Zeit der Rechtsunsicherheit und des Umbruchs ist die Kirche. Aber auch sie ist eigentlich zerschlagen. Im Fall 80 wird das beklagt: Die "Italer" hätten die Kirche und ihr Synodalsystem zerstört. Doch genau das ist die Chance für das Erzbistum von Ochrid und die charismatische Persönlichkeit des Demetrios Chomatenos. Unter seiner tatkräftigen Politik, gestützt auf die Gültigkeit des römischen Rechts, wird das Bistum zu der zentralen Institution des zerschlagenen konstantinopolitanischen Reichs ausgebaut. Indem er den epirotischen Herrscher, Theodoros Dukas, 1227 zum Kaiser krönt, schwingt er sich zum Kaisermacher auf. Den Anspruch begründet er mit einer gewagten Analogie: "Wenn wir nun in unserer Eparchie (Bistum) die Privilegien des Papstes besitzen, wieso ist es dann eine Neuerung, wenn auch wir, wie der Papst, einen Kaiser gesalbt haben?" (S. 377, 223-227; Übersetzung G. P., S. 24*). Gegen die Vorwürfe, er habe seine Befugnisse missbraucht, verteidigt er sich im Fall 114. Wie immer sorgfältig vorbereitet, hat er sich für die Krönung einen Synodalbescheid besorgt. Dabei arbeiten Bistümer zusammen, die entweder dem Patriarchen von Konstantinopel unterstehen oder zu Ochrid gehören. In dem Verteidigungsbrief (schade, dass man den von G. P. 1984 edierten Gegenbrief des Patriarchen von Konstantinopel - in der Handschrift als Fall 113 geführt - nicht hier wieder abgedruckt hat!) entwickelt er eine Art Konstantinische Schenkung: Bereits Justinian habe die Kirche von Ochrid selbständig neben das Patriarchat von Konstantinopel gesetzt, das Bistum Iustiniana prima (376 f.). Neben die Realität, dass Ochrid als Bistum des lateinischen Papsttums innerhalb des byzantinischen Herrschaftsverbunds unabhängig ist, setzt Demetrios Chomatenos also die historische Konstruktion (G. P., S. 25* "Pseudokonstruktion") der Stiftung durch Justinian und versteigt sich schließlich zu dem theologischen Epitheton des neuen Herrschers als "gottgekrönt" (S. 369, 34 f.).

So versteht Demetrios Chomatenos das, was der Konstantinopolitaner Patriarch im Exil als "Durcheinanderbringen der gottgewollten Ordnung" (S. 372, 37), als teuflisches Werk perhorresziert, als Gottes Gnade und Ergreifen des Notwendigen. Einerseits nutzt er seine autokephale Ausnahmestellung und stützt sich auf seine vom Papst garantierten Rechte. Andrerseits verteidigt er die Autonomie der orthodoxen Kirche gegen Rom. Die Kirche als Ordnungsgarant beruht darauf, dass ein besonnener Mann sorgfältig prüft und mit seinen Rechtsentscheiden zu vorausgegangenen Urteilen das wieder herstellt, was Byzanz ausmacht: Rechtssicherheit. Denn die vielen Einzelfälle (insgesamt 152) bringen immer wieder das Eherecht auf, um Erbe und Besitztum anzufechten, oft Jahre zurückliegend, die Jahre, da die Lateiner das byzantinische Reich eroberten.

Die Lateiner hatten das Eherecht ungleich der orthodoxen Kirche schärfer zu einem Instrument gegen die Akkumulation weltlicher Macht ausgebaut. Der Fall des französischen Königs Philippe I. ist ein Muster dafür (wie ihn George Duby eindrucksvoll schilderte). Demetrios Chomatenos stützt mit seinen Entscheiden eher die traditionellen Eliten und wehrt ab, dass mit Hilfe des westlichen Rechts mit einem Federstrich Revolutionen stattfinden.

Neben den großen politischen Ereignissen geben die Fälle auch eine Menge Stoff für den Alltag der Zeit. Insofern vergleichbar den Inquisitionsakten im Westen, hier aber von einem wohlwollenden, bewahrenden Bischof untersucht. Wenn man vergleicht, welchen Fortschritt in der Wissensorganisation die Inquisitoren im 13. Jh. im Westen entwickelt haben (vgl. James B. Given, Inquisition and Medieval Society, Ithaca 1998, 25- 51), dann findet man in Chomatenos einen hervorragend organisierten Juristen. Wieweit die Anordnung der Fälle diese Organisation abbilden, hat G. P. auf S. *305-*307 untersucht.

Die Einordnung der Quelle hat P. in drei Aufsätzen anderswo gegeben: Studien zur Provinz- und Zentralverwaltung im Machtbereich der epirotischen Herrscher Michael I. und Theodoros Dukas, in: Epeirotika Chronika 24 (1982), 73-120 und 25 (1983), 37-112. Das Papsttum und der orthodox geprägte Südosten Europas 1180-1216, in: Ernst-Dieter Hehl; Ingrid H. Ringel; H Seibert (Hrsg.): Das Papsttum in der Welt des 12. Jh.s. (2002). Die Edition und Kommentierung stellt sich ganz in den Dienst der edierten Quelle. Das aber umsichtig, präzise, erschließend. Die Rechtsfälle (G. P. übersetzt ponemata mit "Arbeiten"; mir scheint etwas wie "Beschwerden", vgl. lateinisch gravamina, eher den Sachverhalt wiederzugeben) beruhen zu großen Teilen auf der Münsteraner Habilitationsschrift von 1980.

Die Prolegomena (386 mit Asteriscus paginierte Seiten) umfassen I. Leben und Wirken (*3-*45), II. Überblick über Gliederung und Bestand des Gesamtwerkes sowie III. Dubia, IV. Pseudepigrapha und V. vernichtete oder verschollene Handschriften (*46-*61), dann werden VI. Die Ponemata Diaphora Akte um Akte nach einem festen Fragenkatalog kommentiert (*62-*307) und ihre Ordnung entschlüsselt. VII. Die handschriftliche Überlieferung (mit der Übersicht, *344 f.): statt der einen Münchener Handschrift, die in der alten Ausgabe von Pitra (1891) verwendet war, 39 Handschriften mit Schriften des Demetrios Chomatenos, davon 15 mit den Ponemata; entscheidend allerdings die Handschrift im Escorial. VIII. Zur Entstehung von Pinax und Überschriften. IX. Zur vorliegenden Ausgabe. X. Bisherige Teil- und Gesamtausgaben und Übersetzungen. Eine Karte, *387. Die Übersicht, *296-*298, und die kommentierende Paraphrase der Texte (rund 200 S.) erschließen auch des Griechischen ungeübten Lesern diese Quelle.

Der in einer sehr gut lesbaren Type gedruckte griechische Text steht auf den Seiten 19-464. Die Indizes umfassen die Eigennamen, die byzantinische Rechts- und Verwaltungssprache jeweils mit einer lateinischen Entsprechung, dann besondere mittelgriechische Wörter und ein Verzeichnis der Zitate, 465-532. Auf den Tafeln sind drei specimina der wichtigsten Handschriften abgebildet. Wieder einmal hat der Verlag ein schönes und handwerklich exzellentes Werk gedruckt, so dass Mediävisten die Lebensarbeit des Herausgebers auch noch in einem Jahrhundert gerne als Grundlagenwerk benutzen werden.