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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

948–950

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gorman, Michael J.

Titel/Untertitel:

Apostle of the Crucified Lord. A Theological Introduction to Paul and His Letters.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. XIV, 610 S. m. Abb. gr.8. Kart. US$ 39,00. ISBN 0-8028-3934-7.

Rezensent:

Jürgen Habermann

Michael J. Gorman ist Professor für Neues Testament und Frühe Kirchengeschichte an St. Mary's, Baltimore/Maryland. Sein "textbook" (X) mit Bildern für Fachleute und interessierte Zeitgenossen, mit jeweiliger Einführung und ausführlichem Kommentar, ist leider etwas langatmig geraten. Der religiöse und theologische Inhalt der Briefe soll unter Betonung des eigenen Standpunkts G.s mit dem Bezugsrahmen der sechs Schlüsselworte "jewish, covenental, narrative, countercultural, trinitarian, and especially cruciform" den Lesern nahe gebracht werden und zu einem kreuzesförmigen Leben verhelfen. G. gliedert die Abschnitte jeweils in "the story behind, within, in front of the letter" und fügt Reflexionsfragen sowie ausgewählte, jedoch fast nur englischsprachige Literatur an.

Er behandelt in den ersten Abschnitten Einzelthemen (jeweils Paul's 1: World; 2: Résumé; 3: Letters; 4: Gospel; 5: Spirituality; 6: Theology) und wendet sich dann den 13 Briefen zu. Den Schluss bildet ein Epilog (580 ff.), an den ein Schriftstellenindex angefügt ist.

In Abschnitt 1 (1-39) wird die Umwelt des Apostels nachgezeichnet und dieser als "man of several worlds" verstanden (1). G. befürwortet die "new perspective" von E. P. Sanders, unterscheidet aber zwischen rituellen und religiös-ethischen "markers" (20). Nach G. hatte Paulus "an apocalyptic view of history" (22, vgl. 52).

In Abschnitt 2 geht es im "Résumé" um die Mission des einstigen Verfolgers (40-73) mit dem Ziel eines Netzwerkes multikultureller Gemeinden (63). Die Kernthese lautet: "Paul was born as a Jew, lived as a Jew, and died as a Jew" (40, vgl. 53). G. bestreitet die These, dass Paulus eine neue Religion habe gründen wollen. Er will keine vollständige Biographie des Paulus, sondern "key aspects" bieten. In Bezug auf die Frage der Authentizität der paulinischen Briefe, die er mit der verlässlichen Apg für gut kombinierbar hält, und auf die Rekonstruierbarkeit des Lebensrahmens ist G. optimistisch. Er harmonisiert problemlos in vielen Partien des Buches Forschungsmeinungen. Die Chronologie bietet er "very general and tentative" und hütet sich, den Reisen und Geschehnissen spezielle Jahre zuzuordnen, sondern gibt immer eine gewisse Bandbreite an (z. B. Berufung/Bekehrung 33-36, Apostelkonvent ca. 47-51, Tod ca. 62-68). Auf dem Hintergrund von Jes 40-55 habe sich Paulus als Repräsentant Israels und des Messias (72) verstanden.

In Abschnitt 3 deutet G. die Briefe als "apostleship in absentia" (74) und sieht darin "a new genre of literature". Die Mitabsender stuft er vor allem auch bei den umstrittenen Briefen als Koautoren ein und schätzt die Bedeutung des jeweiligen Sekretärs höher ein als oft üblich. Etwas verwundert nimmt der Leser die so genannte Relevanz quantitativer Befürwortung oder Ablehnung von Briefen durch die Forscher zur Kenntnis (88 f.: jeweils paulinische Verfasserschaft verneinend: 2Thess = 50%, Kol = 60 %, Eph = 70%, 2Tim 80 %, 1Tim/Tit = 90%). G. plädiert für eine mehr oder minder direkte Verantwortung des Paulus für alle ihm zugeschriebenen Briefe außer 1Tim und Tit (91).

In Abschnitt 4 ("Paul's Gospel") sieht G. Phil 2,6-11 als "master story" des Apostels. Ziemlich unbefangen befürwortet er in Texten eine trinitarische Bedeutung. Die paulinische Spiritualität versieht er mit den Stichworten "covenental, cruciform, charismatic, communal, countercultural" und "(new-)creational" (115). Er schätzt die Verkündigung und die Spiritualität des Pastors Paulus mehr als dessen Theologie. Allerdings sei Paulus als Theologe konsistenter, als viele meinen (131). Es gebe zwölf "big ideas" des Paulus, die in einen narrativen Rahmen eingepasst seien. Obwohl diese meist (erst) in Röm erscheinen, seien sie keine späten Gedanken. Hauptthemen unter diesen zwölf seien covenant, cruciformity und community (143). Als Fazit formuliert G., dass für Paulus ein erneuertes, inklusives, eschatologisches messianisches Judentum die Lösung sei (144).

In den Abschnitten 7-19 behandelt G. die Briefe (postulierte Reihenfolge: 1Thess-2Thess-Gal-1Kor-2Kor-Röm-Phil-Phlm-Kol-Eph-2Tim-1Tim-Tit) und referiert jeweils in sehr abgekürzter und neutraler Weise weitgehend ohne Namensnennung mögliche Interpretationen und Denkansätze. Sein überwiegendes Ja zur so genannten Mehrheitsmeinung wirkt nachteilig. Dem Leser wird eine vermeintliche Harmonie vor Augen gezeichnet.

Zu den einzelnen Briefen sei Wichtiges herausgegriffen, ohne angesichts des Buchumfangs ein repräsentatives Bild bieten zu können: Zum 2Thess (Abschnitt 8) bemerkt G., dass der - von Paulus verfasste - Brief sich vom 1Thess unterscheide, beide aber zueinander konsistent seien und unterschiedliche Situationen ansprächen (169). 2Thess sei nicht zu lange Zeit nach 1Thess geschrieben (51 n. Chr.). Gal wird von G. früh datiert und an die südlichen Gemeinden adressiert gesehen (187). G. versteht die Gottesgerechtigkeit bei Paulus weniger juridisch als vielmehr bundesorientiert. Letztlich gehe es um die primäre Bundeserfüllung durch Christus und um die sekundäre durch die Glaubenden (covenental responsibilities: 218). Die Gemeinde in Korinth (Abschnitt 10) versteht G. als Problemkind des Paulus (227) und gliedert den Brief unter jeweiliger Verwendung des Begriffes "Chaos" (238). Beachtung verdient die These von 1Kor 15 als "the foundation" des ganzen Briefes (278). 2Kor ist für G. ein einheitlicher Brief mit drei unterschiedlichen Situationen und dem Einschnitt nach Kapitel 7 und 9. Die kreuzesförmige Lebensgestalt sieht er als Band der Einheit und als ultimativen Fokus. Den Römerbrief, vermutlich verfasst zwischen 55 und 57, gewichtet er als den einflussreichsten Brief des Paulus (Abschnitt 12: 338-411). Mit Blick auf Augustin und Luther nimmt er eine gewisse Fehldeutung des Briefes durch beide an. Anlass des Briefes ist laut G. ein jüdisch-heidenchristlicher Konflikt, der in den Kapiteln 14/15 deutlich werde. Phil (412-453) ist für G. eine ausführliche Meditation über Phil 2,6-11. Im Kol findet G. mehr Kontinuität zu den unumstrittenen Briefen als oft anerkannt (47). Der Eph sei vielleicht zu Lebzeiten des Apostels in den frühen 60er Jahren unter der Hilfe von Tychikus entstanden (502). Schließlich verdiene 2Tim eher als 1Tim und Tit das Vertrauen, von Paulus zu sein. Zumindest Hauptinhalte stammten von ihm (534).

Fazit: G. legt ein gut lesbares Buch mit vielen Hilfen für Leser und Leserinnen vor. Es fußt auf einer soliden, konservativen Basis und regt zum Gespräch an. Es lohnt sich, es im Vergleich mit deutschsprachigen Einleitungen zu Paulus heranzuziehen. Bei aller Würdigung bleiben kritische Fragen, die die Gesamtleistung des Autors aber nicht schmälern.