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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

938–940

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Neumann-Gorsolke, Ute

Titel/Untertitel:

Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004, XI, 405 S. m. Abb. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 101. Lw. Euro 69,00. ISBN 3-7887-1998-2.

Rezensent:

Markus Witte

Obgleich ausdrücklich nur in Gen 1,26-30; 5,1-3 und 9,1-7 sowie mit charakteristischen Modifikationen in Ps 8 belegt, haben die Vorstellungen von der Gottesebenbildlichkeit und vom Auftrag des Menschen, über die Erde zu herrschen, tiefe Spuren in der Auslegungsgeschichte des Alten Testaments, aber auch in der christlichen Dogmengeschichte und in der jüdischen und christlichen Kunstgeschichte hinterlassen. Hinzu kommt die Infragestellung der Rede von der Imago Dei im Kontext der von Rationalismus und Naturalismus geprägten grundsätzlichen Kritik an biblischen Schöpfungsvorstellungen, der sich, nicht zuletzt veranlasst durch die Industrialisierungsschübe des 20. Jh.s, seit den 1960er Jahren der Vorwurf zugesellt hat, Gen 1 sei mit seinem (vermeintlichen) Anthropozentrismus ein wesentlicher Faktor der ökologischen und ökonomischen Krisen. Schließlich spielt das Motiv der Gottesebenbildlichkeit im gegenwärtigen bioethischen Diskurs eine zentrale Rolle.

Allein schon die genannten Punkte rechtfertigen die erneute exegetische Detailuntersuchung der schon so oft behandelten Texte Gen 1,1-2,4 und Ps 8. Die hier vorzustellende Studie, die auf die von Bernd Janowski (Tübingen) betreute Dissertation der Vfn. zurückgeht, bietet eine ausführliche kompositions-, form- und traditionsgeschichtliche Analyse von Gen 1,1-2,4a und Ps 8. In kritischer Auseinandersetzung mit der Forschung und unter besonderer Berücksichtigung vorderorientalischer Texte und Bilder entfaltet sie die (freilich nicht ganz neue) These, dass sowohl in Gen 1,1-2,4a als auch in Ps 8 der Mensch als von Gott eingesetzter und Gott gegenüber verantwortlicher Herrscher über die ihm als Lebensraum zur Verfügung gestellte Erde gezeichnet werde. So sei das Motiv von der Herrschaft des Menschen letztlich ein "Ausdruck der Zuwendung Gottes zum Menschen" (VII) und ziele auf eine an den Idealen altorientalischer Königsvorstellungen von Gerechtigkeit und Frieden ausgerichtete Gestaltung der Schöpfung.

Gen 1,1-2,4a und Ps 8 konvergieren der Vfn. zufolge in ihrer grundsätzlich doxologischen Funktion, in ihrer Adaption der vorderorientalischen Königsideologie auf den Menschen an sich und in ihrer theonomen Grundierung des Menschseins. Beiden Texten gemeinsam seien die Entstehung in spätexilisch-frühnachexilischer Zeit und die Intention, die kulturelle und theologische Krise des Zusammenbruchs Judas 587 v. Chr. mit einer neuen Anthropologie zu bewältigen: Dem Verlust des Königtums und des Tempels werde der royalisierte Mensch, der die vorbildhafte Herrschaft ausüben solle, gegenübergestellt. Während Gen 1,1-2,4a als Prolog der Priesterschrift im babylonischen Exil entstanden sei und vornehmlich auf mesopotamische Traditionen zurückgreife, basiere Ps 8 auf der judäischen Königsideologie und sei wohl in Jerusalem, möglicherweise in Auseinandersetzung mit Maßnahmen zum Neubau des Tempels entstanden. Eine traditions- oder gar literargeschichtliche Abhängigkeit zwischen beiden Texten bestehe nicht.

Die überwiegend traditions- und motivgeschichtlich, weniger literargeschichtlich angelegte Studie bündelt die bisherige Forschung und bietet eine Fülle anregender Einzelbeobachtungen zu den behandelten Texten.

Ein Charakteristikum der Auslegung von Ps 8, dem der erste Hauptteil der Arbeit gewidmet ist (20-136; vgl. dazu auch den Artikel der Vfn. im JBTh 15 [2000], 39-65), besteht in dem Versuch einer traditionsgeschichtlichen Ableitung aus der Jerusalemer Zionstheologie und der judäischen Königsideologie. So beschreibe der textkritisch und motivisch nicht zu beanstandende Vers 3 hyperbolisch die Allmacht Jahwes, insofern die Kleinkinder als schwächster Teil eines Volkes hier als "Medium des göttlich-autorisierten Wortes" (51) fungierten. Im Munde der Kinder werde die sonst vom Zion ausgehende Macht ('oz) Jahwes deutlich. Die Herrschaftsaussagen in Ps 8,6 f. werden vor dem Hintergrund des alttestamentlichen Gebrauchs der Wurzel msl ("herrschen"), des Syntagmas syt tht rglyw ("unter seine Füße legen") und entsprechender Beispiele aus der altorientalischen Ikonographie als Ausdruck der Partizipation des Menschen an der universalen Herrschaft Jahwes gedeutet. Dabei setzt sich die Vfn. methodologisch überzeugend dafür ein, bei der Applikation von (altorientalischen) Bildern auf (biblische) Texte stets das gesamte Bildprogramm zu berücksichtigen.

Dem eher resultativ-statischen Herrschaftsverständnis von Ps 8 steht gemäß der vorliegenden Untersuchung der stärker dynamisch profilierte Herrschaftsauftrag des ersten Schöpfungsberichts gegenüber, der im zweiten Hauptteil der Studie ausgelegt wird (136-315). Im Anschluss an die kompositionsgeschichtliche Analyse von Odil Hannes Steck (Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift, 21981) wird Gen 1,1-2,4a mit Ausnahme von 2,1 als literarisch und überlieferungsgeschichtlich einheitlicher Text angesehen, dessen Grundstruktur das Sieben-Tage-Schema darstelle. Der Schwerpunkt des gattungsmäßig als "Schöpferlob" klassifizierten Textes liege gleichwohl auf den Werken des sechsten Tages.

Der Plural in Gen 1,26a (nacasæh) wird auf die Übernahme einer konventionellen vorderorientalischen Schöpfungsformel zurückgeführt, wobei die Priesterschrift diese Stilform monotheistisch umpräge. Insofern die Vfn. den Begriff sælæm als Bezeichnung für plastisch Dargestelltes mit Repräsentationsfunktion deutet, den Terminus demût als Bild/Abbild mit dem Schwerpunkt auf Vergleichbarkeit/Ähnlichkeit interpretiert, die Präposition b- in be.salmenû als bet essentiae und die Präposition k- in kidmûtenû explikativ versteht, kommt sie zu der Übersetzung "Lasst uns Menschen machen als unser (Repräsentations-)Bild, / (das) wie ein uns vergleichbares/entsprechendes Bild (ist)" (197). Den Menschen kennzeichnet demnach ein doppelter Bezug: einerseits zu Gott, von dem er als Herrscher eingesetzt ist, andererseits zur Welt, der gegenüber er Gott repräsentiert. Der priesterschriftliche Herrschaftsauftrag selbst wird als Explikation der Gottesebenbildlichkeit verstanden, wobei als Grundbedeutung des hebräischen Begriffs rdh in Gen 1,26 mit Bernd Janowski und Walter Groß u.a. auf Grund der Parallele zu dem akkadischen Begriff redû "umfassendes Herrschen" angenommen wird. Dieser Semantik lasse sich auch der Begriff kbs zuordnen, mit dem in Gen 1,28, entsprechend einer auch alttestamentlich nachweisbaren vorderorientalischen Rechtssymbolik, die Inbesitznahme der Erde durch den Menschen als Lebensraum bezeichnet werde. Die Aneignung der Erde zur Herrschaftsausübung sei im Kontext des Segens und als Ziel der Mehrung (Gen 1,28a) zu verstehen. Das dem Herrschaftsauftrag über die Tiere (dominium animalium) folgende Speisegebot (Gen 1,29) schränke diesen nicht ein, sondern entspreche (wie die unterschiedliche Nahrungszuweisung an die einzelnen Geschöpfe zeige) der gottgesetzten Schöpfungsordnung. Eine Modifikation dieses Gebotes erfolge im Rahmen der Priesterschrift erst bei der Neubestimmung der nachsintflutlichen Lebensordnungen in Gen 9,1-7 nach dem Einbruch der "Gewalttat" (hamas) in die Schöpfung (Gen 6,9-13). Dabei interpretiert die Vfn. das Motiv von dem vom Menschen ausgehenden Schrecken in Gen 9,2 vor dem Hintergrund deuteronomisch-deuteronomistischen Sprachgebrauchs (vgl. Dtn 11,25) als Zusage Jahwes: Der gottgewirkte Schrecken solle den angesichts der Erfahrung von hamas in die Krise geratenen Menschen ermutigen und Konfliktpotential zwischen Mensch und Tier vermeiden. Überzeugend beschreibt sie in diesem Zusammenhang die von ihr als literarisch einheitlich angesehenen Texte Gen 6,9-13 und Gen 9,1-7 als Korrelate zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht. Wie sich die Priesterschrift eine gelungene Umsetzung des anthropologischen Programms von Gen 1,26 ff. vorstelle, lasse sich an der Noahfigur der priesterschriftlichen Texte ablesen.

Gegenüber den sehr ausführlichen, mitunter redundanten Analysen von Gen 1,1-2,4a und Ps 8 werden die "verwandten Texte" etwas stiefmütterlich behandelt. Beispielhaft werden hier Gen 2 (leider unter Absehung der Fortsetzung in Gen 3-4) und Ps 104 betrachtet. Dabei kommt die Vfn. für die Anthropologie von Gen 2 zu dem Ergebnis, dass auch hier der Mensch königliche Züge trage, wofür sie (m. E. zutreffend) auf die Gartenmotivik und die Übergabe und Benennung der Tiere durch den Menschen sowie (m. E. nach nicht zutreffend) auf die Erschaffung des Menschen aus Staub verweist. Als anthropologisches Spezifikum von Ps 104 bestimmt sie die Betonung der menschlichen Arbeit und der menschlichen Freiheit. Gegenüber Tendenzen in der Forschung, Gen 1 und Ps 8 einerseits und Gen 2 und Ps 104 andererseits gegeneinander "auszuspielen" (351), plädiert die Vfn. zu Recht dafür, die genannten Texte als einander ergänzende Aussagen einer biblischen Anthropologie zu verstehen. Allerdings sollte - gerade um der Mehrdimensionalität der biblischen Anthropologie und Ethik willen - die auch im Wesen des Menschen gründende Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht ausschließlich funktional verstanden werden, wie dies die Vfn. in teilweise überscharfer Abgrenzung von entsprechenden Interpretationen von Gen 1,26 tut.

In einem kurzen Abspann (352-361) fasst die Vfn. nochmals ihre Thesen zur Royalisierung des Menschen in Gen 1 und Ps 8 zusammen und profiliert das von ihr vertretene positive Verständnis von der gottgesetzten, universalen Herrschaft des Gott und sein Königtum repräsentierenden königlichen Menschen als kritisches Potential gegenüber einer den Menschen und seine Verantwortlichkeit ausschließenden bio- oder physiozentrischen Ethik. Damit trifft sie sich letztlich mit Dietrich Bonhoeffer, der bereits 1932/33 in seiner Vorlesung über Gen 1,26 ff. auf die fatalen Folgen der Suspension des Menschen von der Wahrnehmung verantwortlicher Weltgestaltung hingewiesen und konstatiert hatte: "weil wir nicht mehr herrschen, darum verlieren wir den Boden, darum ist die Erde nicht mehr unsere Erde, darum werden wir erdfremd" (Schöpfung und Fall. Theologische Auslegung von Genesis 1 bis 3, 1937 [31955], 45).

Beigegeben sind der engagiert geschriebenen Arbeit Register zu zitierten biblischen Texten, fremdsprachlichen Begriffen, ausgewählten Sachen, ein ausführliches Literaturverzeichnis und acht (allerdings schon an anderen Orten publizierte) Abbildungen aus der Welt der vorderorientalischen Ikonographie.