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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

934–936

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Grätz, Sebastian

Titel/Untertitel:

Das Edikt des Artaxerxes. Eine Untersuchung zum religionspolitischen und historischen Umfeld von Esra 7,12-26.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. X, 343 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 337. Lw. Euro 98,00. ISBN 3-11-017967-9.

Rezensent:

Titus Reinmuth

Die Arbeit an Texten aus der Epoche des nachexilischen Juda ist in der jüngeren Forschungsgeschichte weit vorangeschritten. Dabei kommen bemerkenswerte literarische Bezüge in den Blick zwischen den Texten, die vermutlich in der Perserzeit entstanden sind, und dem Erzählzusammenhang in Esr-Neh, der über diese Epoche berichtet. In der Folge von Peter Freis These von der "Reichsautorisation" der Tora im Rahmen einer toleranten Religionspolitik der Achämeniden erscheinen auch historische Einflussnahmen innerhalb der Epoche plausibel.

Dies ist der doppelte Fragehorizont, in dem sich die von S. Grätz 2002/2003 in Bonn vorgelegte und von U. Rüterswörden begleitete Habilitation bewegt. Von einer neuen, vorwiegend literarischen und formalen Interpretation des Artaxerxes-Edikts Esr 7,12-26 erwartet G. Aufschluss über den tatsächlich greifbaren historischen wie literarhistorischen Kontext des Briefes sowie seine Stellung innerhalb der Esrageschichte. Konsequenzen ergeben sich schließlich für das Verständnis von "Gesetz" in Esr-Neh und die Entstehung der Tora in nachexilischer Zeit.

Dazu reflektiert die Arbeit zunächst den Stand der Diskussion über die literarische Entstehung des Esrabuches. Dabei folgt G. solchen Argumenten der jüngeren Forschung, die plausibel machen wollen, dass in 3Esr eine literarisch eigenständige und gegenüber Esr MT ältere Komposition der Tempelbau-Esra-Erzählung vorliegt. G. versucht darüber hinaus zu zeigen, "dass die Esraschrift gegenüber dem Nehemiabericht ein eigenes inhaltliches Profil erkennen lässt" (50). Lediglich Esr 1-6 werde vorausgesetzt und - in Anspielung auf 6,21 - korrigierend fortgeschrieben.

Der besondere Zugang zu dem so rekonstruierten Abschnitt der nachexilischen Restaurationsgeschichte erfolgt in Kapitel 3 in einer breit angelegten Form- und Gattungskritik zu Esr 7,12-26. Hier kommen als Vergleichstexte die Trilingue von Letoon, das Schreiben Antiochos' III. zu Stadt und Tempel in Jerusalem (Fl. Josephus, Ant. XII, 138-144) sowie eine Fülle weiterer königlicher Schreiben aus hellenistischer Zeit in den Blick. Dabei wird methodisch klar reflektiert, dass es "an direkten präzisen aramäischen oder hebräischen Parallelen zum gesamten Text als königlicher Brief und königliches Edikt mit einem spezifischen Inhalt mangelt" (139 f.). Die Textvergleiche konzentrieren sich folglich auf die formale Struktur und stilistische Merkmale der Texte, um eine vermutete Gattung doch annäherungsweise rekonstruieren zu können. Im Ergebnis erscheint Esr 7,12-26 als eine königliche Schenkung/Stiftung, die vor dem Hintergrund des königlichen Euergetismus in hellenistischer Zeit zu verstehen ist. Überlegungen zur Frage, wie Dokumente in narrativen Kontexten als Stilmittel eingesetzt werden, schließen diesen Teil der Untersuchung ab. Demnach soll die Einführung der Tora durch Esra innerhalb der Restaurationserzählung authentisch legitimiert werden - was das Schreiben in die Nähe des Aristeasbriefes rückt.

Gleichsam als Gegenprobe fragt Kapitel 4 nach den mit Esr 7, 12-26 vergleichbaren Zeugnissen aus der Perserzeit. Dabei werden die Königsinschriften von Bisutun, der Kyros-Zylinder, die Udjahorresnet-Inschrift und die Statue Darius' I. aus Susa, die Demotische Chronik, die Elephantine-Korrespondenz und die Gadatas-Inschrift für den Vergleich herangezogen. Dass lokales Recht als persisches Reichsrecht autorisiert wird, findet G. nicht bestätigt. Auch spiele der König in den perserzeitlichen Dokumenten keine dem Esratext und den hellenistischen Zeugnissen vergleichbare Rolle.

Unter "Ertrag und Ausblick" ergeht eine Auswertung der Ergebnisse: Nach G. umfasst die ursprüngliche Esrageschichte Esr 7-10*; Neh 7,72b; Neh 8,1-12*. Sie setzt Esr 1-6 bereits voraus und schreibt die in 6,21 verarbeitete Thematik der "Absonderung" von den "Völkern des Landes" kritisch und korrigierend fort. Es ergehen jetzt klare Durchführungsbestimmungen zur Auflösung der "Mischehen". Möglicherweise wird hier in frühptolemäischer Zeit "ein universelles Modell für jede erdenkliche Diasporasituation entworfen" (286). Innerhalb des so entfalteten Erklärungsmodells tritt der Nehemiabericht erst in einem letzten Schritt hinzu und wird in der Makkabäerzeit sekundär mit Esr 1-10 und Neh 8 verbunden.

Das Königsgesetz Esr 7,26 bezeichnet "die Gesetzeskraft der vorliegenden Urkunde" (292). Das Gottesgesetz 7,14 ist hingegen als Tora bekannt und schon von 7,10 her zu verstehen. Analog zu griechischen Kultstiftungen, die sich auf vorliegende religiöse Gesetze beziehen, die etwa die Durchführung der gestifteten Opfergaben regeln, ist das Nebeneinander von königlichem (Einzel-)Gesetz und Gottesgesetz in 7,26 zu deuten. G. sieht nun eine Kontinuität im Gesetzesverständnis von Esr 7 zu Neh 8. Die schriftliche Tora hatte demnach in Babylonien bereits religiöse Gültigkeit für eine Diaspora, "wie sie sie in Transeuphratene durch die Mission Esras erst erlangen soll" (294). Die Entstehung der schriftlichen Tora ist von daher nicht auf persische Religionspolitik zurückzuführen, sondern eher als innerjudäischer Prozess zu beschreiben, der an den Bedürfnissen der jüdischen Diaspora orientiert ist.

Die Stärke der vorliegenden Arbeit liegt in ihrer methodisch klaren, materialreichen und sorgfältigen Untersuchung von Esr 7,12-26 und den herangezogenen Parallelen. Der Schritt von den Textanalysen hin zu Fragen der Komposition der Esrageschichte und des Esra-Nehemia-Buches ist jedoch nicht in gleicher Weise nachvollziehbar. Die Ergebnisse sind jedenfalls nicht kompatibel zu all jenen Untersuchungen, die - entweder ausgehend von Pentateuchtexten oder von Esr-Neh - eine Fülle intertextueller Bezüge zwischen beiden Komplexen ausmachen und dabei zeigen, wie die Fortschreibungen innerhalb der Tora literarisch nachvollziehen, was Nehemia im nachexilischen Juda politisch durchsetzt.

Dies lässt sich insbesondere an der Mischehen-Thematik illustrieren, die mit ihrer unterschiedlichen Verarbeitung in Neh 13, Esr 9 f., Jer 29, Dtn 7, Ex 34 eindeutig eine Debatte der Perserzeit widerspiegelt und sich dabei längst im Gespräch mit Neh 13,23 ff. befindet. Diese und viele andere Bezugnahmen sind schwerlich erst im Kontext der Makkabäerzeit plausibel zu machen. Neh 8 wiederum ist mit seiner Rede von der Tora gut in Neh 8-10 und 13 verankert und bietet in seinem vorliegenden Kontext einen viel breiteren Tora-Bezug als die Esrageschichte. Von daher verdienen weiterhin all jene Interpretationen Beachtung, die in der - zugegeben - schwierigeren Lesart des Esr-Neh-Buches auch die ursprüngliche sehen und im Nehemiabericht den Kern der Textgeschichte ausmachen. Die Untersuchung stützt mit Recht diejenigen Erklärungsmodelle zur Textgeschichte, die die Entstehung und Autorisierung der Tora als einen innerjudäischen Prozess verstehen. Dieser wird aber weniger von der Diaspora geprägt sein, als vielmehr von der Nehemia-Koalition, die in Neh 10 greifbar wird.

Will man der Studie im Kern folgen, wäre von hier aus noch einmal neu zu fragen nach einem differenzierten Verständnis von Tora in Esra und Nehemia, nach der Handschrift einer tora-orientierten Redaktion sowie buchübergreifenden Bearbeitungen in Esr-Neh und Chr, die hellenistisches Kolorit aufweisen.