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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

929–931

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Peter [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Bar Kokhba War Reconsidered. New Perspectives on the Second Jewish Revolt against Rome.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XX, 313 S. m. Abb. gr.8 = Texts and Studies in Ancient Judaism, 100. Lw. Euro 99,00. ISBN 3-16-148076-7.

Rezensent:

Manuel Vogel

Der erste jüdische Aufstand des palästinischen Judentums gegen Rom 66-70/73 n. Chr. ist bei Flavius Josephus umfangreich und detailliert dokumentiert. Verglichen damit steht uns zum zweiten jüdischen Krieg, dem so genannten Bar-Kochba-Aufstand (132-135/6 n. Chr.), verschwindend wenig Quellenmaterial zur Verfügung. Es ist das Verdienst einer 2001 in Princeton veranstalteten Konferenz, dass sie die vorhandenen Quellen ohne Rücksicht auf ihre Spärlichkeit kritisch auf die Tragfähigkeit hin überprüft hat, die ihnen die Forschung bisher zuschreibt.

Nach dem einleitenden Beitrag von Peter Schäfer (Bar Kokhba and the Rabbis, 1-22), der die Gestalt Simon bar Kochbas anders als die bisherige Forschung ideologisch nicht auf dem Hintergrund des rabbinischen Judentum des 2. Jh.s versteht und statt dessen Entwicklungslinien vom Zelotismus über die Qumranschriften bis zurück zu den Makkabäern zieht, widmen sich die fünf folgenden Beiträge der Frage nach den Ursachen des Aufstandes. Martin Goodman (Trajan and the Origins of the Bar Kokhba War, 23-29) schlägt einen eher großen Bogen, wenn er auf Seiten Roms die Entwicklung einer zunehmend antijüdischen Politik seit Vespasian skizziert. Die von Goodman um 130 n. Chr. datierte Neugründung Jerusalems als römische Kolonie unter dem Namen Aelia Capitolina, die zu betreten den Juden verboten war, erscheint als Höhepunkt römischer antijüdischer Repressionen, die vor allem darauf zielten, den Juden jede Hoffnung auf eine künftige Wiedererrichtung ihres Tempels zu nehmen. Sie führten zu den Diasporaaufständen 115- 117 n. Chr. und schließlich zum Bar-Kochba-Aufstand. Doch welches sind die materialen Grundlagen solcher Geschichtsbilder, die zunächst durch ihre Geschlossenheit beeindrucken? Yoram Tsafrir (Numismatics and the Foundation of Aelia Capitolina, 31-36) überprüft die numismatischen Daten, die gemeinhin für die Gründung von Aelia Capitolina im Vorfeld des Aufstandes und also als dessen Ursache namhaft gemacht werden. Die Forschung stützt sich vor allem auf Funde von Bar-Kochba-Münzen und römischen Aelia-Capitolina-Münzen an gleicher Stelle. Als numismatischer Beweis könnte jedoch allein eine zur Bar-Kochba-Münze umgeprägte Aelia-Capitolina-Münze gelten, und dieser Beweis steht bis heute aus.

Was aber war dann die unmittelbare Ursache für den Ausbruch des Aufstandes? Benjamin Isaac (Roman Religious Policy and the Bar Kokhba War, 37-54), Aharon Oppenheimer (The Ban on Circumcision as a Cause of the Revolt, 55-69) und Ra'anan Abusch (Negotiating Difference: Genital Mutilation in Roman Slave Law and the History of the Bar Kokhba Revolt, 71-91) befassen sich mit dem in der Historia Augusta erwähnten Beschneidungsverbot unter Hadrian (Vita Hadriani 14,2). Doch würde, wie Isaac zeigt, ein generelles Beschneidungsverbot schlecht zur römischen Religionspolitik passen, die die Beschneidung als innerjüdischen Ritus stets respektierte. Allein gegen die Beschneidung von Proselyten ging Rom mit Härte vor. Dasselbe Bild ergibt Oppenheimers kritische Durchsicht der einschlägigen rabbinischen Texte. Außerdem muss das Edikt des Antoninus Pius, das den Juden die Beschneidung ihrer Söhne ausdrücklich (wieder?) gestattet (Digesta 48,8,11), keineswegs als Aufhebung eines anders lautenden Gesetzes aus der Zeit Hadrians gelesen werden. Vielmehr scheint es um die ausdrückliche Beschränkung der Beschneidung auf jüdische Söhne zu gehen, mithin um eine Festschreibung des Verbots der Beschneidung von Proselyten. Nach Abush ist das Edikt des Antoninus Pius im Kontext des römischen Sklavenrechts zu verstehen und auf das Verbot der Beschneidung nichtjüdischer Sklaven zu beziehen.

Hanan Eshel (The Dates Used during the Bar Kokhba Revolt, 93-105) unternimmt den Versuch einer Datierung und relativen Chronologie des Aufstandes. Da das von Bar-Kochba benutzte Datierungssystem nicht bekannt ist, liegen hier besondere Schwierigkeiten.

Menahem Mor (The Geographical Scope of the Bar-Kokhba Revolt, 107-131) fragt nach der geographischen Ausweitung des Aufstandes. Als Minimalist in dieser Frage sieht er in der Verleihung der ornamenta triumphalia an die Gouverneure der benachbarten Provinzen Syria und Arabia keineswegs ein Indiz dafür, dass sich der jüdische Aufstand gegen Rom auch auf diese Regionen ausgedehnt hat, sondern geht von eigenständigen Unruheherden aus, die allgemein die Instabilität in der gesamten Region dokumentieren. Immerhin kann Hannah M. Cotton (The Bar Kokhba Revolt and the Documents from the Judaean Desert, 133-152) eine nabatäische Koalition mit den aufständischen Juden wahrscheinlich machen. Dagegen verbindet Werner Eck (Hadrian, the Bar Kokhba Revolt, and the Epigraphic Transmission, 153-170) in einer maximalistischen Interpretation die vorhandenen epigraphischen Daten zu einem Szenario, in dem der Bar-Kochba-Aufstand als schwerwiegende Krise erscheint, die Rom militärisch das Äußerste abverlangt hat. Wichtiges Beweisstück ist die im Jordantal bei Beth Shean gefundene Tal-Shalem-Inschrift, ein fragmentarisch erhaltener Triumphbogen zu Ehren Hadrians. Nach Ecks Rekonstruktion wurde er vom römischen Senat 136 n. Chr. nach seiner zweiten Akklamation zum Imperator errichtet, und zwar aus Anlass der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes. Allein, der wesentliche Passus der Inschrift ist in Gänze Ergebnis von Ecks Rekonstruktion. Glen Bowersock (The Tel Shalem Arch and P. Nahal Hever/Seyal 8, 171-180) hält mit einer anderen Rekonstruktion dagegen, die den Triumphbogen mit dem Judäabesuch Hadrians 130 n. Chr. in Verbindung bringt und ihn - in seiner reichspolitischen Bedeutung sozusagen etliche Stockwerke tiefer- einer Initiative nicht des Senats, sondern der im Jordantal stationierten legio X. Fretensis zuschreibt. Dass weder die Gegend um Beth Shean noch auch Galiläa Kriegsschauplatz waren, legen auch die Beiträge von Amos Kloner und Boaz Zissu (Hiding Complexes in Judaea, 181-216) und Yuval Shahar (The Underground Hideouts in Galilee and their Historical Meanings, 217- 240) nahe: Anders als die in Judäa entdeckten Höhlensysteme scheinen die galiläischen Höhlen während des Aufstandes nicht als Zufluchtsstätten genutzt worden zu sein, denn dort wurde keine einzige Bar-Kochba-Münze gefunden. Shahar differenziert das Bild allerdings: Weil Jerusalem zentraler Kriegsschauplatz war, konzentrierten sich die Kämpfe auf Judäa. Eine Beteiligung galiläischer Juden schließt dies keineswegs aus. Yaron Z. Eliav (The Urban Layout of Aelia Capitolina: A New View from the Perspective of the Temple Mount, 241-277) befasst sich mit der Frage, wie weit die römischen Neugründung Jerusalems den Tempelberg tangierte, und kommt zu dem Ergebnis, dass der Tempelberg außerhalb der neuen Stadtgrenzen lag. Spricht hieraus kluge Rücksichtnahme der Eroberer auf die Besiegten? Mit einem Beitrag von Yael Zerubavel (Bar Kokhba's Image in Modern Israeli Culture, 279-297) über die Rezeptionsgeschichte der Gestalt Bar-Kochbas als zionistische (19. Jh.) und patriotische Symbolfigur (Israel) schließt der Band, der durch gründliche Aufarbeitung der vorhandenen Quellen überzeugt und auch Nichtfachleute gerade dort in seinen Bann zieht, wo am Detail um die ma- terialen Grundlagen weitreichender Hypothesen gestritten wird.