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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

926 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Chazan, Robert

Titel/Untertitel:

Fashioning Jewish Identity in Medieval Western Christendom.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2004. XVI, 379 S. gr.8. Lw. £ 50,00. ISBN 0-521-83184-9.

Rezensent:

Yvonne Domhardt

Mittelalterliche Religionsgespräche zwischen Juden und Christen hatten neben ihrem ausgesprochen hierarchischen Charakter stets auch eine betont apologetisch-polemische Ausrichtung. Diese nicht selten im Beisein hoher Würdenträger von Kirche und Staat öffentlich geführten religiösen Diskurse, so genannte "Disputationen", wurden in erster Linie mit dem Ziel ausgetragen, für die Wahrheit der jeweils eigenen Religion Beweise zu erbringen und zugleich die Wahrheit der anderen, der "gegnerischen", Religion zu schmälern oder gar zu widerlegen.

Initiiert, ja herausgefordert wurden diese Disputationen zumeist von der christlichen Obrigkeit, was bedeutete, dass die am Gespräch beteiligten Juden a priori in einer unterlegenen Position waren. Zwangstaufe, Verbannung oder gar Hinrichtung waren für die betroffenen Juden nicht selten die Folge solcher Disputationen, deren Kernthemen - unter anderen - neben dem unterschiedlichen Messiasverständnis und der Problematik der Auferstehung die Auserwählung des Gottesvolkes, die Frage nach dem Stellenwert des jüdischen Gesetzes sowie die im Talmud vermeintlich christenfeindlichen Stellen waren. Aus diesen Streitgesprächen entwickelte sich im Laufe des Mittelalters eine eigenständige Disputationsliteratur, in der nicht selten mit der zentralen Figur eines fiktiven Gegners operiert wurde. Von den zahlreichen Religionsgesprächen sind einige bedeutende in die Geschichte eingegangen, so beispielsweise das Religionsgespräch von Barcelona im Jahre 1263, an dem der vom Judentum zum Christentum konvertierte Dominikaner Paulus Christiani die christliche Seite vertrat und der berühmte Geroneser Gelehrte, Arzt und Rabbiner Nachmanides die jüdische.

In dem hier vorgestellten Umfeld ist die Studie des Mittelalterspezialisten und Inhabers der Scheuer-Professur für hebräische und judaistische Studien an der Universität New York, Robert Chazan, anzusiedeln, der in den letzten 30 Jahren mit zahlreichen Monographien und Fachbeiträgen zum Thema an die Öffentlichkeit getreten ist.

In "Fashioning Jewish Identity in Medieval Western Christendom" richtet der mit einer großen Zahl akademischer Würden Ausgezeichnete sein Augenmerk auf ausgewählte Werke der Disputationsliteratur im südlichen Frankreich und im nördlichen Spanien des 12. und 13. Jh.s, wobei die folgenden fünf jüdischen Polemiker, die zugleich führende Positionen in ihren jeweiligen Gemeinden bekleideten, im Zentrum seiner Betrachtungen stehen: Josef Kimchi mit seinem Hauptwerk Sefer ha-brit [Buch des Bundes], David Kimchi (Sohn des Josef Kimchi) mit Perusch tehillim [Kommentar zu den Psalmen], Jakob ben Reuben mit Milchamot ha-Schem [Die Kriege des Herrn], Meir bar (ben) Simon mit seinem Werk Milchemet Mitzwa [Der gottgewollte Krieg] und schließlich Nachmanides (bekannt auch unter dem Akronym Ramban bzw. Moses ben Nachman) mit Sefer ha-ge'ula [Buch der Erlösung], Perusch Jeschajahu [Jesaja-Kommentar] und Wikuach Barcelona [Das Streitgespräch zu Barcelona].

Die Schriften mit einerseits defensivem, andererseits mitunter aber auch reichlich angriffslustigem Charakter reflektieren erste antichristliche Polemik von jüdischer Seite überhaupt innerhalb des westeuropäischen Christentums und sind damit für die Mittelalterforschung von höchstem Interesse: Das christliche Nordspanien wie auch Teile Südfrankreichs waren besonders im Laufe des 12. Jh.s eine Zufluchtsstätte für Juden aus den von den fanatischen Almohaden eroberten islamischen Ländern geworden; das kontinuierlich an Macht und Bedeutsamkeit zunehmende Christentum Nordspaniens und Südfrankreichs übte trotz oder wegen des immer stärker werdenden Bekehrungseifers vieler seiner Repräsentanten auf die neuen Einwanderer eine eigentümliche Faszination aus, die zwischen Anziehung und Bedrohung oszillierte.

Um die Entwicklung der mittelalterlichen nordspanisch-südfranzösischen jüdischen Disputationsliteratur sowohl in ihrer historischen als auch in ihrer soziologischen Bedeutung in angemessener Breite erfassen zu können, bedient sich der Vf. des "newer anthropological thrust in religious studies" (IX), einer Methode, die ihm eine zuverlässige Einschätzung mittelalterlicher jüdischer Identität bzw. Alterität (zur christlichen Umwelt) ermöglicht, ein Hauptanliegen seiner sieben Großkapitel umfassenden Studie.

Es geht dem Vf. nicht darum, die jeweiligen Argumentationsstränge der christlichen wie der jüdischen Seite als "richtig" oder "falsch" zu entlarven oder sie anderweitig inhaltlich zu bewerten; sein Interesse gilt der Frage, wie die mittelalterlichen Juden Südfrankreichs und Nordspaniens mit den zum Teil recht harschen und immer aggressiver werdenden Herausforderungen durch die christliche Umwelt umgingen - seien diese nun physischer, ökonomischer, intellektueller oder spiritueller Natur. Um das graduelle Ansteigen dieser Herausforderungen in den oben erwähnten Werken festzumachen, bedarf es zunächst eines Rückblicks - eines "backdrops" (25-67) - in die Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen, deren früheste Anfänge - naturgemäß - von der Person Jesu sowie den vier Evangelien geprägt sind und die sich mit dem Vf. pointiert so beschreiben lassen: "... it is clear that Jesus' main adherents and main opponents were Jews" (32), was letztlich bedeutet, dass der christlich-jüdische Dialog so alt ist wie das Christentum selbst (vgl. 11).

Durch die Einbettung der zu Beginn zitierten Werke der fünf führenden jüdischen Polemiker in den entsprechenden historischen und soziokulturellen Kontext sowie die kritische Würdigung dieser Disputationsliteratur mit ihren besonderen Überzeugungsmechanismen (vgl. in extenso: 317 ff.) gelingt dem Vf. erstmals eine dynamische Sicht auf die damaligen jüdischen Gemeinden, deren Anführer mit ihren Schriften nicht nur kenntnisreich das Judentum verteidigten und religiös motivierte Vorwürfe von christlicher Seite zurückwiesen: "... they functioned as intellectual leaders in guiding their co-religionists in understanding and countering significant religious dangers" (358). Somit erfüllen die Texte auch und ganz besonders die praktische Funktion einer Art Anleitung zu einer Strategie des Argumentierens.

Ganz zweifellos kann die Studie als wesentlicher weiterführender Beitrag in der Disputationsforschung gewertet werden; die sprachlich eindrückliche Arbeit mit erhellenden Fußnoten sowie einer zwölfseitigen fundierten weiterführenden Bibliographie macht die Lektüre zu einem Gewinn.