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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

916 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Schmithals, Walter]

Titel/Untertitel:

Paulus, die Evangelien und das Urchristentum. Beiträge von und zu W. Schmithals zu seinem 80. Geburtstag. Hrsg. v. C. Breytenbach.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XII, 841 S. gr.8 = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und Urchristentums, 54. Geb. Euro 179,00. ISBN 90-04-12983-8.

Rezensent:

Ulrich B. Müller

Der anzuzeigende umfangreiche Sammelband enthält in Teil I 24 Aufsätze von W. Schmithals selbst, in Teil II vier Beiträge von ihm verbundenen Kollegen, die seine hier veröffentlichten Aufsätze diskutieren und würdigen. Am Schluss findet sich eine Bibliographie des Jubilars, die seine Veröffentlichungen der Jahre 1993-2002 umfasst. Sein gesammtes uvre (seit dem ersten Beitrag im Jahre 1952) zählt bewunderswerterweise fast 1000 Titel.

Teil I gliedert sich in fünf Abteilungen: "Zu Paulus und die Judenchristen" (drei Aufsätze), "Zur Literarkritik der Paulusbriefe" (fünf Aufsätze), "Zum Hebräerbrief" (zwei Aufsätze), "Zu den synoptischen Evangelien" (neun Aufsätze) und "Zur Theologiegeschichte des Urchristentums" (fünf Beiträge). Alle Beiträge mit Titelangabe hier zu nennen, würde den Umfang dieser Rezension sprengen; im Folgenden werden nur einzelne Titel ausdrücklich erwähnt, wenn auf die Stellungnahmen der vier Kollegen einzugehen ist, die Sch.s eindrucksvolles uvre kommentieren, das in diesem Sammelband erfasst ist.

Andreas Lindemann bespricht die ersten drei abgedruckten Aufsätze unter dem Titel "Der Galaterbrief als historische Quelle" (731-744). Er erörtert zunächst die These des Jubilars vom "nichtjudaistischen Charakter der Eindringlinge in Galatien" (69). Paulus werfe den Beschneidungsleuten in Galatien vor, sie buhlten um die Gunst der Synagoge. "Nur darum wünschten sie deren Beschneidung, nicht aus theologischen Gründen." (71) Diese in "Judaisten in Galatien?" (39-77) nicht zum ersten Mal von Sch. aufgestellte These findet bei Lindemann eine angemessene Kritik. Dies gilt in gleicher Weise für den Ansatz in "Die Kollekten des Paulus in Jerusalem" (78-106), es habe eben mehrere Kollekten für Jerusalem gegeben, was von Sch. erstaunlicherweise auch mit Apg 18,18-23 begründet wird (86 f.) Zu Recht nicht überzeugend erscheint Lindemann dabei die These, "das Kollektenthema stehe auch im Hintergrund der Tätigkeit der Gegner des Paulus in dessen Gemeinden" (739). Sch. meint ja, die Gegner in Korinth hätten versucht, die Autorität des Apostels auch durch die Behauptung zu untergraben, "daß Paulus die Kollekte zum eigenen Nutzen einsammle" (93). Der Aufsatz "Probleme des Apostelkonzils (Gal 2,1-10)" (5-38) verbindet die beiden bereits erwähnten Studien des Jubilars und sieht in der auf dem "Apostelkonzil" getroffenen Vereinbarung das Ziel einer parallelen Gründung judenchristlicher und heidenchristlicher Gemeinden (20 f.37 f.), was Lindemann als unwahrscheinlich zurückweist (742 f.).

Von den fünf Beiträgen von Sch. zur Literarkritik sei hier der 1996 veröffentlichte Aufsatz "Methodische Erwägungen zur Literarkritik der Paulusbriefe" (107-144) hervorgehoben, insofern er zwar nicht die letzte, aber doch die am ehesten grundlegende Darstellung zum Thema ist, das Sch. seit seiner Dissertation "Die Gnosis in Korinth" (1954) beschäftigt hat. Entgegen den Tendenzen der Forschung in den letzten Jahren lehnt Sch. ein methodisches Primat für die Annahme der Einheitlichkeit scharf ab: "Die Hypothese der Integrität eines Briefes hat nicht mehr Recht als die Hypothese einer redaktionellen Komposition" (128).

Friedrich Wilhelm Horn, der die Aufsätze zur Literarkritik kritisch würdigt (745-763), stellt das Interesse von Sch. heraus, bei der Literarkritik nicht nur die paulinischen Einzelbriefe zu berücksichtigen, sondern auch auf ihre Sammlung und auf die Interessen eines möglichen Herausgebers dieser Sammlung zu achten, der die Briefe bearbeitet hat (759-761 mit Verweis auf 107-113). Dieser die Kanongeschichte tangierende Ausgangspunkt bei Sch. ist in seinem Aufsatz "Zur Sammlung der Paulusbriefe und zu ihrer Integrität" (145-160) entfaltet.

Zwei Aufsätze des großen Sammelbandes gelten Äußerungen von Sch. zum Hebräerbrief ("Über Empfänger und Anlaß des Hebräerbriefes", 227-251; "Der Hebräerbrief als Paulubrief: Beobachtungen zur Kanonbildung", 252-271), die Erich Gräßer seinerseits kommentiert (765-775). Seine These ist einfach überzeugend: "Dass der konkrete Anlass für die Mahnung zum Festhalten am Bekenntnis und am Heilsvertrauen die Neigung judaisierender Heidenchristen gewesen sein könnte, die den durch den Aposynagogos entstandenen Schwierigkeiten durch Rückkehr in den sicheren Schoß der Synagoge zu entgehen versuchten, ist eine ganz unwahrscheinliche These" (773 f.).

Sch. hat sich in vielen Veröffentlichungen mit dem synoptischen Problem beschäftigt, wovon neun Beiträge Zeugnis ablegen: programmatisch etwa "Kritik der Formkritik" (275-313) oder "Vom Ursprung der synoptischen Tradition" (355-387) bzw. "Die Bedeutung der Evangelien bis zur Kanonbildung" (487-520). Bekanntlich hat Sch. an der klassischen Formgeschichte R. Bultmanns kritisiert, dass sie nie wirklich nachgewiesen hat, dass die synoptische Tradition ursprünglich in (mündlichen) Einzelüberlieferungen existiert habe. Da er die Nachweisbarkeit solcher Stoffe nicht für gegeben hält, nimmt er stattdessen an, das MkEv basiere auf einer literarisch einheitlichen Erzählung, der so genannten "Grundschrift", die nachträglich durch den Evangelisten bearbeitet worden sei (285-287. 291 bzw. 499-505). In der Einleitung des Sammelbandes betont Sch. selbst: Die neun Beiträge zu den synoptischen Evangelien versuchen je in ihrer Weise, "die Krise der synoptischen Formgeschichte zu forcieren" und dagegen "den schriftstellerischen Ursprung der Evangelien" zu setzen. In einer überzeugenden Analyse bemüht sich Jens Schröter in dem Beitrag "Walter Schmithals und die synoptische Tradition. Darstellung und Kritik einer originellen Lösung des synoptischen Problems" (777-803), den theologie- und forschungsgeschichtlichen Horizont der Position des Jubilars zu fixieren. Er stimmt dem Ansatz von Sch. zunächst einmal zu, wenn er auf den "doppelten Zirkelschluss" in der Argumentation der klassischen Formgeschichte hinweist. Der Jubilar habe einen in sich "kohärenten, originellen Entwurf" vorgelegt (801), dem Schröter allerdings letztlich seine Zustimmung verweigert. Bedenken erheben sich gegen die zugespitzte Form, in der Sch. gegen die Existenz einer vorsynoptischen Tradition argumentiert (793).

In fünf Studien "Zur Theogiegeschichte des Urchristentums", die eher allgemein verständlichen Charakter haben (z. B. "Das Judentum zur Zeit Jesu", 542-562, oder "Gottesdienst im frühen Christentum", 615-665), findet die Sammlung von Beiträgen von Sch. ihren Abschluss. Obwohl das hier Vorgelegte wirklich nur einen Ausschnitt des vielgestaltigen uvre des Jubilars betrifft, wie der Herausgeber zu Recht betont, kann dieses Werk nur Bewunderung für die Schaffenskraft des Autors provozieren, auch wenn seine Hypothesenfreudigkeit oftmals zur Kritik gereizt hat. Die Sch. verbundenen Kollegen, die mit eigenen Beiträgen in diesem Aufsatzband vertreten sind, haben mit freundlicher Kritik auch wirklich nicht gespart. Es ist aber immer das Verdienst des Jubilars gewesen, durch eigenständige Positionen in die Forschungsdiskussion einzugreifen, um für selbstverständlich gehaltene Meinungen (etwa beim synoptischen Problem) in Frage zu stellen.