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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

846–848

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schneider, Theodor, u. Gunther Wenz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge. I: Grundlagen und Grundfragen. M. Beiträgen v. J. Frey, A. Heron, V. Leppin, Ch. Markschies, A. Merkt, I. Riedel-Spangenberger, D. Sattler, H. Smolinsky, Th. Söding, W. Thönissen, G. Wenz u. S. Wiedenhofer. Hrsg. f. d. Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer u. katholischer Theologen.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Herder; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 486 S. gr.8 = Dialog der Kirchen, 12. Kart. Euro 35,00. ISBN 3-451-28320-4 (Herder); 3-525-56933-5 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Günther Gaßmann

Nach Abschluss seiner Arbeit zur Rechtfertigungslehre hat sich der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK), der seit 1946 für das evangelisch-katholische theologische Gespräch Pionierarbeit leistet, erneut dem ökumenisch schwierigen Thema des kirchlichen Amtes zugewandt. Die Arbeit dazu wurde mit den beiden Jahrestagungen 2002 und 2003 begonnen. Die dort vorgetragenen Referate werden im vorliegenden Band einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Hier kann nur ein knapper Überblick über das in den zwölf (zum Teil recht umfangreichen) Beiträgen versammelte reiche Material gegeben werden.

Die zwölf Beiträge lassen sich in vier Gruppen einteilen. Die drei Beiträge der ersten Gruppe werden eröffnet von Dorothea Sattlers Überblick "Zum Stand der ökumenischen Bemühungen um ein gemeinsames Verständnis der Apostolischen Sukzession in Dialogen mit römisch-katholischer Beteiligung". Dieser enthält einführende, interessante, aber wenig entfaltete Skizzen vornehmlich zu methodologischen Aspekten wie Fragestellung, Forschungsgeschichte, einzubeziehende Perspektiven und Einzelthemen. Gunther Wenz entfaltet das Thema "Episkope im Dienst der Apostolizität der Kirche" zunächst exegetisch und systematisch, um von hier aus die anglikanisch-lutherischen Berichte zu Episkope und Bischofsamt in historischer Sukzession im Wechselgespräch mit den lutherischen Bekenntnisschriften zu analysieren: Niagara-Konsultation des LWB 1987, Poorvoer Gemeinsame Feststellung 1992, deren theologische Lösungen zum Problem Bischofsamt in apostolischer Sukzession die weitgehende Zustimmung von Wenz finden, die Gemeinsame Feststellung von Meissen 1988 und Called to Common Mission 1998, die anglikanisch-lutherische Vereinbarung voller Gemeinschaft in den USA, bei der Wenz teilweise eine zu enge Verbindung von Theologie und Diplomatie feststellt (67). Den anglikanischen Partner in den Dialogen nimmt Wolfgang Thönissen in "Positionen in der inneranglikanischen Debatte über Bischofsamt und apostolische Sukzession" in einem instruktiven Überblick über Grundlagen, Etappen und wichtige Dokumente der inneranglikanischen Diskussion in den Blick. Angesichts der schmalen lehrmäßigen Basis und des Nebeneinanders sehr unterschiedlicher Positionen ist es für Thönissen sehr fraglich, "ob aus der anglikanischen Lehrentwicklung entscheidende Lösungen für den gesamten ökumenischen Dialog erwachsen können" (90).

Die zweite Gruppe von Beiträgen befasst sich vornehmlich mit Apostelbegriff, Apostelamt, Apostolat, Apostolizität und apostolischer Sukzession in neutestamentlicher und unmittelbar daran anschließender früher altkirchlicher Zeit. In sehr klar angelegten, exegetisch wie betont theologisch vorgehenden und den ökumenischen Horizont konstruktiv im Blick behaltenden Referaten behandeln Jörg Frey "Apostelbegriff, Apostelamt und Apostolizität. Neutestamentliche Perspektiven zur Frage der Apostolizität der Kirche" und Thomas Söding "Geist und Amt. Übergänge von der apostolischen zur nachapostolischen Zeit". Beeindruckend ist, wie beide Autoren Vielfalt, Differenzen, sich erst anbahnende Entwicklungen wie auch unterschiedliche (zum Teil auch konfessionell bestimmte) Interpretationen in der Forschung sorgfältig herausarbeiten und doch zugleich gemeinsame Grundorientierungen und bestimmend werdende Perspektiven herausstellen. Zu dieser äußerst hilfreichen Grundlagenarbeit gesellt sich Andreas Merkt, der in "Das Problem der apostolischen Sukzession im Lichte der Patristik" zunächst die Quellen seit der Mitte des 2. Jh.s bis hin zu Augustin sichtet und aus ihnen die Funktion, ekklesiologische Einbettung und sazerdotale Dimension des Sukzessionsgedankens erhebt. In einem zweiten Schritt deutet Merkt Folgerungen aus dem Quellenbefund an im Blick auf weiter zu klärende Fragen mit besonderer und für den ökumenischen Dialog relevanter Herausstellung der soteriologischen und ekklesiologischen Funktion der apostolischen Sukzession, die so aus einer rein amtstheologischen Engführung befreit wird. In "Apostolizität und andere Amtsbegründungen in der Antike" stellt Christoph Markschies einige Beispiele einer theologischen Amtsbegründung ohne den Rückgriff auf Apostolizität und apostolische Sukzession in den ersten Jahrhunderten vor. Die davon hergeleitete These einer Pluralität der Konzepte - die offensichtlich nicht alle in gleicher Weise bestimmend geworden sind - dient als Hintergrund einiger abschließender Thesen zur gegenwärtigen ökumenischen Diskussion, die Markschies auf die Frage zuspitzt, ob bestimmte Zeichen und Institutionen unabdingbar zum Kirchesein der Kirche gehören (334). Porvoo (s. o.) hat darauf eine sehr differenzierende Antwort gegeben.

Eine dritte Gruppe von Beiträgen befasst sich mit Apostolizität und apostolischer Sukzession im Mittelalter und in der Reformation. Ilona Riedel-Spangenberger leitet ihren Beitrag "Apostolische Legitimation der Träger des Bischofsamtes im Übergang vom Frühmittelalter zur klassischen Kanonistik" mit wichtigen kirchenrechtlichen Überlegungen zur apostolischen Sukzession ein, die mit "zum Kern der kirchlichen Verfassung gehört" (337). Gleichsam als Fallstudie zeigt sie dann, wie im Frühmittelalter das Verständnis des Bischofsamtes in apostolischer Sukzession als zentraler Dienst für die Einheit und Identität der Kirche exemplarisch in der Bischofsbestellung mit abschließender Bischofsordination zum Ausdruck kommt.

Anschließend beschreibt Heribert Smolinsky in "Successio apostolica im späten Mittelalter und im 16. Jahrhundert" bemerkenswerte Verschiebungen und Verengungen im Verständnis der apostolischen Sukzession weg von der bischöflichen Lehrkompetenz hin zur Jurisdiktionskompetenz und, in der Reformationszeit, hin zum Anspruch Wahrheit besitzender formaler Autorität. Das reich beackerte Feld von "Apostolizität und Amtsfrage in der Wittenberger Reformation" wird unter dem Oberthema "Zwischen Notfall und theologischem Prinzip" von Volker Leppin noch einmal besucht und instruktiv aufbereitet. Luthers Amtsverständnis, die historischen Entwicklungen besonders im Blick auf Leitungsinstanzen und Ordinationspraxis und Aussagen der lutherischen Bekenntnisschriften zum Amtsverständnis machen die drei Teile des Referats aus. Eine der abschließenden Thesen, wonach es sich bei der Amtssukzession theologisch um ein Adiaphoron handelt (400), ist insofern originell, als demnach die gegenwärtige ökumenische Diskussion um ein Adiaphoron kreist! In "Apostolizität und apostolische Sukzession im Blick auf Calvin und die reformierte Tradition" gibt der in der Erlanger Diaspora lebende schottische Reformierte Alasdair J. C. Heron einen Überblick über die Entstehung und Ausbreitung der Amtsstrukturen und presbyterial-synodalen Formen der Kirchenleitung in reformierten und kongregationalistischen Kirchen. Er fragt abschließend, ob die (nicht "das" wie im Text) vor allem von Calvin geprägte Kirchenordnung und das damit verbundene Amtsverständnis nach wie vor so absolut als vom Herrn gegeben verstanden werden können (416).

Die vierte Gruppe ist ein "Solist", Siegfried Wiedenhofer, der in "Logik, Hermeneutik und Pragmatik des theologischen Begriffs der successio apostolica" die Fragestellung dieses Bandes nun konzentriert systematisch-ökumenisch aufnimmt. Mit Hilfe der Semiotik analysiert er umfassend und differenzierend "Apostolizität" und "apostolische Sukzession" im Blick auf ihre konfessionellen Interpretationen und den Befund in ökumenischen Dialogen. Er zeigt Möglichkeiten auf, wie konfessionelle Engführungen und einseitige Akzentuierungen dieser Begriffe überwunden werden können, wenn die bischöfliche Sukzession eingeordnet wird in die Gesamtheit der kirchlichen Zeichenstruktur und somit in die Apostolizität der Gesamtkirche und der erstrebten Gemeinschaft der Kirchen.

Der Band ist eine wahre Fundgrube zum Themenbereich Apostel, Apostolizität und apostolische Sukzession. Er hätte noch gewonnen, wenn man einen Überblick über die Diskussionen auf den beiden Jahrestagungen beigefügt hätte.