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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

489–492

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bielfeldt, Dennis D., u. Klaus Schwarzwäller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Freiheit als Liebe bei Martin Luther/Freedom as Love by Martin Luther. 8th International Congress for Luther Research in St. Paul, Minnesota, 1993: Seminar 1, Referate/Papers.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 181 S. 8. ISBN 3-631-47787-2.

Rezensent:

Christian Peters

Das Seminar 1 des "8th International Congress for Luther Research" (St. Paul, Minnesota, USA, 8.-14. August 1993) widmete sich dem in der Luther-Forschung bislang nur selten verhandelten Thema "Freiheit als Liebe". Der vorliegende Band dokumentiert die Ergebnisse seiner Arbeit. Er bietet die revidierten Fassungen von 12 der in St. Paul gehaltenen Einleitungsreferate.

Das Vorwort (7 f.) stammt vom Seminarleiter Tuomo Mannermaa. Es begründet die Weite der Themenformulierung ("Das Thema [ließ sowohl] Raum für im engeren Sinne theologisch-soteriologische Fragen ... als auch für mögliche ethische Konkretionen") und erläutert das methodische Vorgehen (Textvorschläge durch den Seminarleiter; Austausch aller Arbeitspapiere vor Beginn des Kongresses). Abschließend wird dann bereits ein kurzes Resümee gezogen:

"Die Rechtfertigungslehre Luthers wird zunehmend stärker effektiv verstanden, als eine konsequent relationale Lutherdeutung zugestehen möchte. Daß dies dort der Fall ist, wo der Deificatio-Vorstellung und dem Participatio-Gedanken für die Theologie Luthers eine mehr oder weniger gewichtige Bedeutung zugemessen wird, dürfte sich von selbst verstehen. Es war jedoch festzustellen, daß man auch dort, wo man die Deificatio-Vorstellung als imgrunde für Luthers Theologie untypisch ablehnte und dem Participatio-Gedanken nur eine geringe Bedeutung zuzumessen bereit war, ein stärker effektiv gefaßtes Rechtfertigungsverständnis bei Luther angelegt sah, als eine relationale Lutherdeutung wahrhaben möchte" (8).

Auch das erste Referat ("Freiheit als Liebe. Einführung in das Thema"; 9-18) geht auf Tuomo Mannermaa zurück. Es exegesiert Luthers "Operationes in Psalmos" (1519-1521) und hier besonders dessen Auslegung von Ps 1,2 f. (WA 5, 32-39). Der Vf. hebt hervor: Freiheit ist bei Luther keine menschliche, sondern eine göttliche Eigenschaft. Der Mensch gewinnt nur insofern Anteil an ihr, als er durch das Wort des Evangeliums und das Sakrament an der Freiheit Gottes partizipiert (9-11). "Inhalt" der so begriffenen (menschlichen) Freiheit ist die Liebe zu Gott und zu den übrigen Menschen. Wenn der Mensch im Glauben an der göttlichen Liebe partizipiert, wird diese Liebe nach Luther zu seinem "ganzen Leben" (WA 5, 35; 11 f.) und damit zugleich zum "Grund" seiner Freiheit (12-17). Diese Freiheit aber ist ... "letztlich conformitas Christo. Sie ist Teilhabe an der göttlichen Natur bzw. an der göttlichen Liebe und ihrer Freiheit und Teilhabe an der menschlichen Natur, d. h. Teilhabe am Kreuz, am Leiden und letztlich am Tod, was der Christ frei, nur aus Liebe, auf sich nimmt, um zu dienen" (18).

In Referat 2 wendet sich Dennis D. Bielfeldt dem Verhältnis von "Freedom, Love, and Righteousness in Luther’s Sermo de Duplici Iustitia" zu (19-34). Untersucht wird die logische bzw. die metaphysische Beziehung von Liebe und Freiheit. Gehen beide allein auf Gott zurück, oder gibt es hier eine menschliche "complicity"? Welche ontologische Struktur hat die (die Liebe und die Freiheit einschließende) "christian righteousness"? Als die Antwort Luthers wird festgehalten: Luther "maintains that Christian freedom and Christian love are logically equivalent expressions referring to the paradoxical reality of Christ’s righteousness within the believer. This Christian righteousness, ontologically dependent upon Christ’s own righteousness, gradually transforms without human contra-causal agency the believer’s being, bringing it into conformity with Christ" (19).

Das Folgereferat (Hubertus Blaumeiser, "Martin Luther zum Thema Freiheit"; 35-62) kehrt dann nochmals zu Luthers "Operationes in Psalmos" zurück. Der Autor knüpft damit an die Ergebnisse seiner römischen Dissertation an. Zunächst wird Luthers Kritik am überkommenen Freiheitsbegriff ("liberum arbitrium") skizziert. Danach folgt eine Darstellung von Luthers eigenem Freiheitsbegriff ("Freiheit aus dem Glauben zur Liebe"). Zuletzt wird dann noch nach dem für die katholische Tradition unaufgebbar mit dem Begriff der Freiheit verbundenen Entscheidungscharakter gefragt: "Fällt diese Dimension bei Luther wirklich so restlos aus, wie dies oft scheint?" (35). Blaumeisers bestreitet dies: "So wenig es bei Luther eine Freiheit im modernen Sinn der autonomen Selbstbestimmung gibt ..., so sehr gibt es doch auch bei ihm ein (gottgeschenktes) Sichverhalten von seiten des Menschen. Der Glaube ergeht nicht einfach nur über uns. Er lebt auch aus unserem ,Amen’ und insofern - zumindest nach katholischem Sprachgebrauch - aus unserer Freiheit" (59).

Das vierte Referat (Bernhard Erling) ist soteriologisch ausgerichtet. Untersucht wird "The Role of Law in How a Christian Becomes What He/She is" (63-77). Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: 1) Muß bei der Gesetzespredigt ein Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern gemacht werden? und 2) Inwieweit ist das Gesetz, das zur Buße bringt, als ein "natürliches" zu begreifen? Der Vf. beschreibt den fundamentalen Motivationswechsel des "Zum-Glauben-Kommens" als "a transition from one religious-ethical motif to another, a transition that is not the result of a free choice". Freilich wird auch gezeigt, "that once this transition occurs, the freedom of those who are able by reason of faith and the gift of the Holy Spirit to obey to some degree the love commandment becomes a factor that provides a new approach to how the doctrine of predestination may be interpreted" (63).

Die Referate 5 und 6 reflektieren Luthers "Sermon von den guten Werken" (1520): George Forell ("Freedom as Love: Luther’s Treatise on Good Works"; 79-83) skizziert das neuzeitliche Unvermögen, Luthers Freiheitsbegriff zu verstehen. Egil Grislis ("The Foundation of Creative Freedom in Martin Luther’s ,Von den Guten Werken’ [1520]"; 85-103) legt dar, wie stark die guten Werke für Luther Dienstcharakter haben. Sie sind "an opportunity to create in love, and thereby to celebrate the redemptive power of grace through faith in Jesus Christ" (103).

Das siebente Referat (Eric W. Gritsch, "Martin Luther’s Commentary on Gal 5,2-24, 1519 [WA 2, 574-597] and Sermon on Gal 4,1-7, 1522 [WA 10 I 1, 325-378]"; 105-111) ist streng chronologisch aufgebaut. Es knüpft an die von Mannermaa vorab versandte Seminarbeschreibung an und überprüft deren dreifache Gliederung des lutherischen Freiheitsbegriffes (" 1. The actual [reale] participation in God and God’s love, which happens in faith through Christ; 2. Freedom grounded in this love - whatever happens out of love happens freely; and 3. Voluntary subjection [Gebundenheit] and the cross of love in service of the neighbour and the common good - freedom in the use of reason searching for the good of others"; 105) präzise und kritisch an den im Titel genannten Texten.

Die Referate 8 und 9 sind eng verwandt: Robert W. Jenson rekonstruiert "An Ontology of Freedom in the ’De Servo Arbitrio’ of Luther" (113-118). Seine Leitfrage dabei ist: Was versteht Luther unter "liberum arbitrium"? Aleksander Radler ("Libertas et Oboedientia. Zum Problem von Freiheit und Gehorsam bei Luther"; 119-131) umreißt Luthers Gehorsamsbegriff. Er weist nach, daß bei diesem "oboedientia" und "libertas" letztlich komplementär sind. "Was in unseren Augen Schwermut, Sünde, Tod, Unfreiheit und oboedientia ist, [wird] vor Gott zur Freude, Vergebung, Leben und libertas" (131).

Referat 10 (Klaus Schwarzwäller, "Verantwortung des Glaubens. Freiheit und Liebe nach der Dekalogauslegung Martin Luthers"; 133-158) gehört zu den dichtesten Beiträgen des Bandes. Der Vf. wendet sich gegen das heute weitverbreitete primär ethische Verständnis der Begriffe "Glaube" und "Verantwortung" und versucht, diese auf ihr evangelisches Verständnis zurückzuführen. Dabei geht er von den Dekalogerklärungen der Katechismen Luthers aus und zeigt, "wie aus der Bindung an Gott uns Freiheit erwächst, die in Liebe sich realisiert, und daß sich dies - Bindung, Freiheit, Liebe - präzis zusammenfassen läßt eben als ,Verantwortung des Glaubens’" (134). In einem aus dem Seminargespräch erwachsenen Exkurs (146-148) wird darüber hinaus klar "die Differenz zur neuen finnischen Luther-Deutung, inbesondere der Tuomo Mannermaas," markiert (146).

Die beiden letzten Referate befassen sich mit Luthers "Invokavitpredigten" bzw. dessen Auslegung von 1Kor 13. Jane E. Strohl ("Luther’s Invocavit Sermons"; 159-166) betont den Modellcharakter der von ihr untersuchten Texte: "In these sermons Luther explores the paradox of Christian freedom and moves subtly among the various meanings of freedom as one experiences it in relation to God and the neighbour" (160). Rainer Vinke (",... aber die Liebe ist die größte unter ihnen’. Zu Luthers Auslegung von 1Korinther 13"; 167-180) setzt bei den Klosterkämpfen Luthers an. Er geht davon aus, daß es nicht die Frage nach dem "gnädigen Gott", sondern "das von der Augustinerregel verlangte und durch die klösterliche Spiritualität stimulierte Streben nach der vollkommenen Liebe zu Gott war, das den Mönch Luther zunächst einmal zum Verzweifeln brachte, dann aber auch zum Nachdenken führte" (169). Anschließend wird diese These dann an den Auslegungen Luthers zu 1Kor 13 überprüft. Nach Ansicht des Autors ist "die ursprüngliche Fragestellung nach der Gott geschuldeten Liebe selbst [noch] beim reformatorischen Luther, wenn auch in starker Umformung, präsent" (179).

Resümee: Die vorliegende Sammlung ist inhalts- und facettenreich. Sie spiegelt eine lebhafte Seminardiskussion und ist auch insofern instruktiv und stimulierend. Um so bedauerlicher sind die mehrfach zu beobachtenden editorischen Schwächen (so z. B. der uneinheitliche Einsatz von Kursive und Unterstreichung im Zitat [bes. 10!], aber auch etliche orthographische Versehen). Sie stehen in einem krassen Mißverhältnis zum ungewöhnlich hohen Preis dieses doch eigentlich eher schmalen Bandes (184 Seiten, darunter 9 Leerseiten).