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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

842–844

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Werth, Martin

Titel/Untertitel:

Theologie der Evangelisation.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004. XVI, 373 S. 8. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7887-2054-9.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Seit der EKD-Synode in Leipzig 1999 mit dem Hauptreferat von E. Jüngel gelten Mission und Evangelisation als vorrangige Aufgaben der deutschen evangelischen Kirchen. Diese Hochschätzung des Missionarischen findet in der Ökumene breite Zustimmung, stößt in Deutschland aber durchaus auf Widerstand. Soweit dieser theologisch begründet ist, werden die Kritiker der Mission sich künftig mit der vorliegenden Bochumer Dissertation auseinander setzen müssen.

Das Buch ist klar und übersichtlich gegliedert. Der Teil A (64 S.) bietet biblisch-theologische und historische Erkundungen sowie Begriffsklärungen. Die Begriffe "Evangelisation" und "Mission" werden inhaltlich und begrifflich geklärt und zueinander in Beziehung gesetzt. W. versteht sie synonym mit einer Präferenz für den Begriff Evangelisation. Exkursartig beschreibt der am Johanneum in Wuppertal lehrende W. die Geschichte und Bedeutung der von Th. Christlieb gegründeten Evangelistenschule und die Aktualität des Programms Christliebs.

Der Teil B (79 S.) skizziert theologische Entwürfe zur Evangelisation seit 1970, die von Walter J. Hollenweger, Leonardo Boff, Orlando E. Costas, Emilio Castro, Lesslie Newbigin, Russel John Briese, Risto Ahonen und - etwas überraschend - Wolfgang Huber stammen. Die englischsprachige Literatur wird in angemessener Weise berücksichtigt. Dass Huber als einziger deutscher Autor ausgewählt wurde, ist darin begründet, "dass sich in diesen bischöflichen Äußerungen die kybernetische Relevanz des Themas Evangelisation und Mission zeigt" (146), zugleich aber Huber nicht in dem Verdacht steht, "ein einseitig verkürztes und weltabgewandtes Evangelium zu proklamieren". "Wider die Selbstsäkularisierung der Kirche" ist das Referat zu Huber überschrieben. Der Nachdruck liegt darauf, in allen Handlungsfeldern der Kirche die missionarische Dimension wahrzunehmen.

Im Teil C (72 S.) würdigt W. kirchliche Dokumente zur Evangelisation seit 1970 aus der Ökumene und aus Deutschland. Das katholische Verständnis von Evangelisation erörtert W. anhand des apostolischen Schreibens "Evangelii nuntiandi" (1975) und der Enzyklika "Redemptoris Missio" (1990). Die Stärke und Schwäche dieser Texte sieht er darin, dass einerseits Evangelisierung als Oberbegriff das Ganze des katholischen Lebens beschreiben konnte, andererseits aber das Spezifische der Evangelisation verschwimmt. Inhaltlich fällt eine starke Christozentrik auf, die Johannes Paul II. in evangelistischem Stil ausdrücken konnte. Eher negativ und pessimistisch gestimmt ist ein für die europäische Bischofssynode 1999 verfasstes Arbeitspapier im Gegensatz zur Missionsschrift der deutschen Bischofskonferenz "Zeit zur Aussaat" (2000) mit einem viel beachteten Brief des Erfurter Bischofs J. Wanke. Bemerkenswert ist die sprachliche Nähe zum Pietismus, wenn "eine persönlich verantwortete, in eigener Erfahrung verwurzelte Glaubensentscheidung" als zum Christwerden gehörig bezeichnet wird.

Hier ergeben sich Übereinstimmungen mit den Dokumenten der Lausanner Bewegung, in denen sich eine Umkehr und Erneuerung des evangelikalen Missionsverständnisses bekundet. Mit Lausanne erfolgte ein Brückenschlag zum missionarischen Konzept des ÖRK, das W. besonders anhand der Erklärung "Mission und Evangelisation" (1982) bespricht. Die "Einladung, in einer persönlichen Entscheidung die rettende Herrschaft Christi anzuerkennen", verbindet sich mit einer radikalen Priorität für die Armen und damit einer Ethisierung, die die Adressaten zu überfordern droht. Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, dass den Einzelgemeinden trotz allen sozialen Wandels hohe Bedeutung zuerkannt und nirgends die von manchen deutschen Theologen als normal bezeichnete distanzierte Kirchlichkeit positiv beurteilt wird.

Als aktuelle kirchliche Verlautbarungen in Deutschland zu Evangelisation und Mission bespricht W. das Votum der Arnoldshainer Konferenz "Evangelisation und Mission" (1999) und die weiteren im Zusammenhang mit der EKD-Synode dieses Jahres entstandenen Texte sowie die Kritik an ihnen. Durch das Niveau, auf dem Letztere sich teilweise bewegt (vgl. 216: "evangelikale Besoffenheit"), lässt W. sich nicht provozieren. Dass die antimissionarische Polemik hinter den in der Ökumene erreichten Erkenntnissen zurückbleibt, verschweigt er nicht.

Der Teil D (76 S.) entfaltet systematisch-theologische Aspekte einer Theologie der Evangelisation: Der dreieine Gott ist Ursprung, der Mensch Ziel, die Kirche Träger und Ziel der Evangelisation. Hier geht es zuerst um die elementarisierende Grundlegung einer trinitarischen Theologie der Evangelisation. Impliziert sind der eschatologische und der ethische Aspekt, die Perspektive von Gesetz und Evangelium. W. hält die Trennung von usus politicus und theologicus (und die "Zwei-Reiche-Lehre") für einen Irrweg. Dagegen ist zu fragen, ob die Unterscheidung der usus wirklich eine Trennung bedeutet und ob nicht die fehlende Unterscheidung ebenfalls in die Irre führen kann. Es handelt sich um eine praktisch bedeutsame Weichenstellung und es ist wichtig, dass W. darauf aufmerksam macht. Unter dem Aspekt theologischer Anthropologie reflektiert W. die Gottebenbildlichkeit, die religiöse Situation in der Postmoderne, Gräbs Verständnis der Praktischen Theologie als Theologie gelebter Religion und die Evangelisation als Herausforderung zur Bekehrung. Er wendet sich dagegen, eine pietistische Bekehrung als Erweis des Glaubens zu fordern und zur Ausgrenzung anderer zu missbrauchen, betont aber die positive Bedeutung einer punktuellen Bekehrung als Initialzündung für den Prozess des Glaubens.

Bekehrung ist ein individuelles Ereignis, das jedoch wie Evangelisation insgesamt von der Kirche ausgeht und zu ihr hinführt. Als ekklesiologische Merkmale bezieht W. die notae ecclesiae, das Priestertum aller Gläubigen und das Selbstverständnis als ecclesia semper reformanda auf die Evangelisation. Knapp wird das Problem erörtert, das sich für die Evangelisation ergibt, wenn die Pluralismus- und Religionsfähigkeit der vorhandenen Volkskirche als alleiniges kybernetisches Kriterium gilt. Stärker richtet sich das Interesse auf die positiven evangelistischen Potentiale der Kirche.

Die praktisch-theologischen Aspekte einer Theologie der Evangelisation (Teil E) beanspruchen nur 48 S. Praktisch-theologisch relevant ist jedoch das ganze Buch, indem es die theologischen Grundlagen der Evangelisation immer auf dem Hintergrund der Praxis reflektiert. Im letzten Hauptteil werden die evangelistische Dimension und Intention des gesamten kirchlichen Handelns, Kultur und Kontext als Rahmen der Evangelisation sowie die kybernetische Verantwortung für die Evangelisation bedacht. Ein Exkurs wertet Antworten aus, die W. von Kirchenkreisen im Rheinland und in Westfalen auf eine Anfrage zum Echo auf die EKD-Synode von 1999 erhielt. Zu seiner westdeutschen Kontextualität gehört die Beobachtung, dass Religion boomt, was im ostdeutschen Kontext nicht zutrifft.

Ein "Rückblick und Ausblick" fasst die Ergebnisse thesenhaft zusammen und deutet Aspekte an, die weiterer Bearbeitung bedürfen. Hierzu möchte ich die Bedeutung der Medien für die Evangelisation zählen, die m. E. zu wenig Berücksichtigung findet. Zu wünschen ist auch ein Register, das den Wert dieser Arbeit als Handbuch für die theologische Grundlegung der Evangelisation erhöhen würde. Als ein solches Enchiridion kann dieses Buch bezeichnet werden, das eine Fülle von Informationen systematisch einleuchtend ordnet und kontroverse Themen umsichtig bearbeitet. Dass W. eine weitere Publikation in Aussicht stellt, die die evangelistische Dimension in den verschiedenen kirchlichen Handlungsfeldern konkretisiert, kann ich nur begrüßen.