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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

840–842

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Scheuchenpflug, Peter

Titel/Untertitel:

Katechese im Kontext von Modernisierung und Evangelisierung. Pastoralsoziologische und pastoraltheologische Analysen ihres Umbruchs in Deutschland vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Gegenwart.

Verlag:

Würzburg: Echter 2003. 436 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 57. Kart. Euro 28,80. ISBN 3-429-02563-X.

Rezensent:

Werner Simon

Die im Sommersemester 2003 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift angenommene Studie untersucht den Gestaltwandel und die Veränderungen im Verständnis von Katechese im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie konzentriert sich dabei auf die Entwicklungen in der alten Bundesrepublik. Entwicklungen in der früheren DDR und im Bereich der evangelischen Kirche finden nur in knappen Exkursen Berücksichtigung. Der schulische Religionsunterricht wird nur insoweit thematisiert, als er - in den 1950er und 1960er Jahren - katechetisch konzipiert wurde. Die von einem praktisch-theologischen Erkenntnisinteresse geleitete Untersuchung verschränkt in Gewinn bringender Weise die historische mit der (pastoral-)soziologischen und der (pastoral-)theologischen Perspektive: "Katechese soll im geschichtlichen Prozess als kirchliche Handlungsform betrachtet werden, die von einem doppelten Bezugsfeld her ihre jeweilige inhaltliche und formale Gestalt erfährt: Zum einen gilt es, den soziokulturellen Veränderungen in der Gesellschaft, mit denen auch der Wandel der Kirche in der Gesellschaft verbunden ist, nachzuspüren; zum anderen sollen aber auch theologische Entwicklungen und Aufbrüche in der kirchlich-christlichen Praxis im Zusammenhang mit katechetischen Konzepten und Handlungsformen benannt werden." (13) Maßgeblich ist ein weiter Begriff von Katechese, auf dem die Studie aufbaut und der im Verlauf der Untersuchung präzisiert, begründet und expliziert wird: "Katechese vollzieht sich als kontextuell und personal verankerter sowie zugleich organisierter und strukturierter Prozess, der im Auftrag der Kirche stattfindet und sich dadurch von spontanen Formen des evangelisierenden Handelns einzelner Christen unterscheidet. Katechetisches Handeln verfolgt das Ziel, Lebenshilfe aus dem Glauben zu leisten. ... Auf diese Weise will sie zum Aufbau der Kirche als Communio beitragen." (20)

Der Vf. gliedert die Studie in drei Hauptteile. Teil 1 (21-204) rekonstruiert kenntnisreich und an zeitgenössischen Diskussionsbeiträgen materialreich belegt "Etappen des Wandels von Katechese". Die Periodisierung orientiert sich an den auch für den Gestaltwandel der kirchlichen Katechese folgenreichen Schüben des Modernisierungsprozesses, die sich für die Bundesrepublik Deutschland mit den Jahren 1945, 1968 und 1990 verbinden. Der epochalen Blüte eines milieugestützten und kirchlich verfassten Christentums korrespondiert in den 1950er Jahren das Konzept einer "missionarischen Pastoral". Der "Strukturwandel der Seelsorge" in den 1960er Jahren lässt Katechese zunehmend als eine Funktion der Gesamtseelsorge verstehen. Die Würzburger Synode setzt mit der Unterscheidung und Ausdifferenzierung von schulischem Religionsunterricht und gemeindlicher Katechese wichtige Impulse für die Entwicklung in den 1970er und 1980er Jahren. Das synodale Arbeitspapier "Das katechetische Wirken der Kirche" (1974) entfaltet programmatisch das Profil einer diakonischen und dialogischen Katechese. Neue Herausforderungen durch eine zunehmend durch Individualisierung gekennzeichnete Gesamtsituation lenken in den 1990er Jahren die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung katechumenaler Lernprozesse. "Insgesamt gesehen zeigt sich im Hinblick auf die Entwicklung von Katechese seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland, dass der Zusammenhang von Theorie und Praxis auf der einen und der jeweiligen soziokulturellen Existenzform der Kirche auf der anderen Seite höchst evident ist. Indem Katechese dabei profilierte Orte ausbildet, erweist sie sich als kontextgebundener Vollzug." (200) Der Vf. beschreibt problembewusst und differenzierend die verschiedenen Konzepte und katechetischen Handlungsformen auf der pfarrlichen und auf den überpfarrlichen Handlungsebene(n). Ein ausgearbeiteter Fußnotenteil mit umfassenden Literaturverweisen komplettiert - nicht nur in diesem Teil der Arbeit - die Ausführungen des Haupttextes.

Katechese als "kirchliche Handlungsform" (205) verändert sich mit der Sozialgestalt von Kirche, deren Wandel durch die Veränderungen des soziokulturellen Kontextes mitbestimmt wird. Teil 2 der Studie ("Kirche im Umbruch. Pastoralsoziologische Zugänge", 205-317) analysiert und interpretiert diesen Gestaltwandel im Kontext des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses. Vorliegende Ergebnisse der religions-, christentums- und kirchensoziologischen Forschung werden breit rezipiert und für die pastoralsoziologische Fragestellung fruchtbar gemacht. Maßgeblich ist der Paradigmenwechsel vom Säkularisierungs- zum Modernisierungsparadigma. Die Theoreme der gesellschaftlichen Differenzierung, der kulturellen Pluralisierung und der religiösen Individualisierung bewähren sich in der Deutung des Prozesses der Herausbildung einer komplexen und binnenpluralen kirchlichen Sozialgestalt. Der Vf. skizziert und diskutiert mögliche Konsequenzen für das Konzept und die Handlungsformen von Katechese im Kontext einer "Freiheitskultur der Moderne" (310), die sowohl dem Autonomieanspruch des Einzelnen Rechnung tragen als auch ein partizipatorisches Lernen ermöglichen.

Teil 3 ("Katechese im Umbruch. Pastoraltheologische Zugänge", 318-402) untersucht den Wandel des Verständnisses von Katechese in praktisch-theologischer Perspektive. Die die Interpretation leitende These eines Paradigmenwechsels vom Säkularisierungs- zum Evangelisierungsparadigma ermöglicht eine plausible Einordnung der analysierten Positionen vor allem lehramtlicher und synodaler Dokumente, die oft eine ambivalente und disparate Ungleichzeitigkeit in der Wahrnehmung von Entwicklungen widerspiegeln. Katechese findet im Kontext von Modernisierung ihr Profil als Dimension des evangelisierenden Handelns der Kirche, das sich von der Grundeinsicht leiten lässt, "dass jede Kultur, also auch die gegenwärtige, als Medium für das Evangelium dienen kann" (14). Im Anschluss an das Apostolische Schreiben "Evangelii nuntiandi" (1975) werden in diesem Zusammenhang drei grundlegende Dimensionen der Evangelisierung unterschieden: die Selbstevangelisierung der Kirche, die Evangelisierung der Kultur sowie die verschiedenen Formen der Begleitung auf dem Weg des Christwerdens. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (408-431) und ein Personenregister (432-436) beschließen die Arbeit.

Der Vf. legt in seiner Studie eine in der Konvergenz sozialwissenschaftlicher und theologischer Argumentationslinien überzeugende Interpretation des geschichtlichen Wandels der katechetischen Konzepte und Handlungsformen im Bereich der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland vor. Er zeigt vor diesem Hintergrund zugleich zukunftsträchtige Perspektiven für katechetisches Handeln in der gegenwärtigen Situation des Umbruchs auf. Die pastoraltheologische Eingrenzung des Themas markiert zugleich notwendige Ergänzungen und die Notwendigkeit der Berücksichtigung weiterer Perspektiven. Im Kontext des vom Vf. akzentuierten Individualisierungsparadigmas wird Katechese zunehmend zu einer Bildungsaufgabe. Die pastoraltheologische Perspektive muss daher mit der religionspädagogischen bzw. gemeindepädagogischen Perspektive verschränkt werden, um so zu einer tragfähigen praktisch-theologischen Theoriebildung gelangen zu können. Der Vf. weist selbst auf diese Ergänzungsbedürftigkeit hin (15.16). Er benennt damit zugleich ein Desiderat zukünftiger Forschung.