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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

838–840

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Panhofer, Johannes

Titel/Untertitel:

Hören, was der Geist den Gemeinden sagt. Gemeindeleitung durch Nichtpriester als Anstoß zur Gemeindeentwicklung - Eine empirisch-theologische Studie zu can. 517 2.

Verlag:

Würzburg: Echter 2003. 325 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 58. Kart. Euro 24,50. ISBN 3-429-02573-7.

Rezensent:

Paul M. Zulehner

Keine Frage: Das Thema hat in unseren kirchlichen Breiten eine hohe Dringlichkeit. Der Mangel "an Priestern in Ruf- und Reichweite" (so formulierte die 1977 von den deutschen Bischöfen veröffentlichte Ordnung der pastoralen Dienste) bedrängt weite Teile der Kirche in Europa. Panhofer stellt diesen Mangel im ersten Teil seiner nunmehr veröffentlichten Doktorarbeit bei Franz Weber in Innsbruck anhand weltkirchlicher Statistiken dar.

Auf diesem Hintergrund wendet er sich nach einer kurzen pastoralgeschichtlichen Hinführung seinem Forschungsthema zu: der im postkonziliaren Kirchenrecht von 1983 im Canon 517 2 vorgesehenen Möglichkeit, dass Diakone und Laien an der Aufgabe des Priesters beteiligt werden können. Dabei wird vorausgesetzt, dass die letzte Verantwortung für die Pfarrei beim Priester verbleibt, auch wenn er nicht in dieser wohnt, sondern nur dann und wann in die Gemeinde kommt, um seelsorgliche und sakramentale Aufgaben wahrzunehmen.

P. hat es sich zum Ziel gesetzt, diese junge Notpraxis der katholischen Kirche pastoraltheologisch zu reflektieren. Dazu greift er drei betroffene Gemeinden der Diözese Innsbruck heraus. In diesen führte er eine qualitative Erhebung durch: Er sprach also mit ausgesuchten Personen, brachte Ordnung in das Material und wertete es pastoraltheologisch kompetent aus. Dass er sich der qualitativen Sozialforschung bedient, wird mit einem Zitat aus der Offenbarung des Johannes begründet, dass das, was sich in den Gemeinden derzeit - angestoßen durch den Priestermangel - ereignet, nach der biblischen Anweisung zu deuten sei: "Hören, was der Geist den Gemeinden sagt" (Offb 2,7). P. nimmt an, dass sich die Entwicklung dem Wirken des göttlichen Geistes verdanke und daher die Verantwortlichen der Kirche die Meinungslage der Leute für ihre Entscheidungen (stärker) berücksichtigen sollen.

Allerdings mutmaßt der erfahrene Sozialforscher, ob nicht das, was da ans Licht kommt, vielleicht zu einem Gutteil dem entspricht, was den Menschen über Jahrhunderte vom Klerus beigebracht worden ist. So wird in den Gesprächen mit den Leuten eine latente Priesterzentrierung sichtbar, dazu eine Sehnsucht nach pastoraler Betreuung, verwoben mit dem sehr profanen, wenn auch verständlichen Wunsch vor allem kleinerer Orte, mit dem eigenen Pfarrer nicht das letzte Symbol der Eigenständigkeit zu verlieren. Ob es wirklich immer das Drängen des Heiligen Geistes ist, was Leute in qualitativen Interviews äußern, muss in der zweiten theologischen Reflexion geprüft werden. Es könnte ja auch sein, dass man - um wirklich dem Drängen des Geistes zu folgen -, just nicht auf die "Gemeinden" hören soll, sondern dass die Gemeinden Gewohntes "entlernen" müssen. Dasselbe kann genauso auf die Amtsträger zutreffen. Der markige Spruch aus der Politik könnte sich bewahrheiten: Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir nicht mehr lange weitermachen.

So verdienstlich aber die pastoraltheologische Studie von P. ist, weil sie in der Form von Fallstudien Meinungslagen sichtbar macht, so wenig freudige Zustimmung finden seine Schlussfolgerungen. Noch mehr: Sie gehen nicht weit genug. Damit steht P. freilich nicht allein: Von Seiten der meisten Diözesan- und Ortskirchenleitungen werden viele Herausforderungen derzeit nicht gesehen, nicht bedacht und nicht bearbeitet:

Zum Beispiel ist das Beharren auf Hauptamtlichkeit langfristig wie weltkirchlich unhaltbar. Vielmehr kann es lediglich eine Insellösung für ganz wenige reiche Kirchen sein, deren Reichtum aber dramatisch schwindet. Im Kontext des jüngsten Mangels nach dem Priestermangel, nämlich des Geldmangels, werden solche Modelle auf Dauer unhaltbar. Für Missionsgebiete sind sie überhaupt nicht realisierbar. Es leuchtet auch nicht ein, dass nur Hauptamtliche eine ausreichende "leibhaftig-greifbare Präsenz" unter den Menschen erbringen. Dass das "Licht im Pfarrhaus" wie ein Sakrament Gottes ist, mag ja für manche so sein: Dafür würde aber eine "sakramentale" Theologie des Gotteshauses oder, wie P. es ja ausführt, die Gemeinde selbst als Netzwerk von Glaubenden doch besser herhalten. Das Problem der Hauptamtlichkeit unter den Bedingungen kirchlicher Armut gilt es unabhängig vom Priestermangel als eigenständiges Problem mutig aufzugreifen, was zurzeit nicht ernsthaft geschieht. Vermutlich werden Hauptamtliche morgen in pastoralen Zentren, die ehrenamtlich geleitete Glaubensnetzwerke unterstützen, und in gesellschaftlich relevanten pastoralen Projekten (Mission, Bildung, Diakonie, Medien) eingesetzt werden (mehr zu diesem Entwurf einer künftigen Kirchengestalt in Zulehner, Paul M.: Kirche umbauen - nicht totsparen, Ostfildern 2004).

Das zweite fragwürdige Element ist das Setzen auf eine einzelne "nichtpriesterliche Bezugsperson", wobei "Nichtpriester" ein bloß verneinender Begriff ist, der in der anstehenden Problematik kaum weiterführt. Im Grunde nimmt diese Metapher Maß am herkömmlichen Modell, dass eben ein einzelner Pfarrer seine Gemeinde leitet, eine Vorstellung, die durch das Hirt-Herden-Bild in problematischer Weise verschärft wird. Dieses Hirten-Bild sollte durch zusätzliche biblische Leitbilder für Leitungsämter ergänzt und korrigiert werden: etwa jenes vom doulos (dem Galeerensklaven Phil 2,6-11) oder vom Dienen an den Tischen (Lk 22, 26f.). Bischof Fritz Lobinger aus Aliwal schlägt daher vor, in lokalen Gemeinden immer ehrenamtliche Leitungsteams von "Leutepriestern" einzurichten und für den Dienst in ihrer konkreten Gemeinde zu weihen (Zulehner, Paul M./Lobinger, Fritz/Neuner, Peter: Leutpriester in lebendigen Gemeinden, Ostfildern 2003). Wenig zukunftsweisend ist es auch, wenn eine künftige Lösung des Priestermangels allein auf die Weihe von "viri probati" setzt, die wiederum mit der "Abschaffung des Pflichtzölibats" verbunden wird. Viri probati sollten vor allem "gemeindeerfahrene Personen" sein. Der Lebensstand bei diesen lokalen Leutepriestern sollte kein Auswahlkriterium sein.

P. rechnet damit, dass die Leitung von außen kommt, Lobinger hingegen sucht sie innerhalb der Gemeinde. Hier wird auch klar, dass die Gemeindetheologie oftmals nicht ernst genug genommen wird, sondern den Berufsinteressen von Hauptamtlichen nachgereiht wird. Das ist jedoch nicht notwendig, denn der Bedarf an "Vollblut-Theologinnen und -Theologen" wird bleiben, nur auf anderen Ebenen: Kommen die Priester (als Leutepriester) einmal aus der Gemeinde, braucht es immer noch pfarrübergreifend arbeitende, missionarische, gemeindegründerische Priester (und auch hauptamtlich arbeitende Laien und Diakone). Dieser anderen Art von nicht lokal eingesetzten Priestern ist (wegen ihrer hohen Mobilität) auch die Ehelosigkeit durchaus affin. Das entspricht dem wertvollen Hinweis von P., die Ehelosigkeit in Verbindung mit verschieden weiten Lebensumkreisen zu diskutieren.

Der Hauptnachteil der auf Empirie gestützten pastoraltheologischen Studie von P. ist es also, sich im Umkreis des Faktischen, des Heutigen zu bewegen und damit auf visionäre Alternativen zu verzichten. Eine wirkliche Erneuerung der Kirchengestalt wird aber erst dann in Gang kommen, wenn man nicht immer mehr vom Gleichen macht, wie ein organisationsentwicklerischer Rat besagt. Das Leitungsmodell nach can. 517 ist keine wirklich zukunftsfähige Lösung, sondern kann lediglich eine Übergangslösung in (noch) ratlosen Zeiten darstellen. Die Vorteile, die faktisch mit diesem Modell einhergehen können, aber nicht müssen (wie Gemeindeentwicklung), lassen sich auch durch andere Lösungen erreichen, z. B eine gute Gemeindeberatung. Schaden erleidet aber durch die sich immer mehr ausweitende Beteiligung von hauptamtlichen Laien (und Diakonen) an presbyteralen Aufgaben sowohl das priesterliche Amt, das (noch dazu mit der gemeindlichen Feier der Eucharistie) faktisch überflüssig wird, als auch die bisherigen Laienberufe, weil sie sich auf "ungeweihte Laienpriester" hin entwickeln. Priester können nur durch Priester ersetzt werden. Die Kernfrage ist dann aber, wie es zu diesen Priestern so kommt, dass dabei auch eine zukunftsfähige Kirchengestalt entsteht. Und das kann nur unter anderen ökonomischen Bedingungen (ohne Hauptamtlichkeit) und wohl auch (um eine Reklerikalisierung zu verhindern) durch Presbyterien geschehen.

Trotz solcher weiterführender Anmerkungen ist die von P. geleistete Arbeit für die weitere Entwicklung der Gemeinden wichtig. Das schon allein deshalb, um deutlich zu machen, warum dieser Weg nur eine Notlösung ist, welche Schlüsse man aus dem Praxisexperiment ziehen kann und warum es wichtig ist, jetzt visionär weiterzudenken: damit das Praxisexperiment nicht zur normativen Praxis wird - ungeachtet aller guten Entwicklungen, die als "wünschenswerte Nebenwirkungen" in den drei Gemeinden stattgefunden haben und die ohne Frage eine Bereicherung sind. P.s Arbeit macht es zudem leicht möglich, mit gebotener Klarheit den Finger in die Wunde vieler Gebiete der Weltkirche zu legen.