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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

831 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Zaborowski, Holger, u. Alfred Denker [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

System - Freiheit - Geschichte.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann Holzboog 2004. VIII, 223 S. 8 = Schellingiana, 16. Kart. Euro 29,00. ISBN 3-7728-2223-1.

Rezensent:

Christian Danz

Der anzuzeigende Band geht auf eine Tagung zurück, die im September 1999 im Centre Philosophique "Les Trois Hiboux" in Pont de Cirou (Frankreich) stattfand und Friedrich Wilhelm Joseph Schellings im Sommersemester 1830 gehaltene Vorlesung Einleitung in die Philosophie im Kontext von dessen Münchner Wirksamkeit (1827 bis 1841) thematisierte. Mit der Einleitung in die Philosophie, einem Text, von dem der Bayerische König Maximilian II. sagen konnte, er sei die "Basis" von Schellings "gesamte[r] Philosophie" (F. W. J. Schelling, Einleitung in die Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, IX), widmet sich der Band in der Tat einem Schlüsseltext aus dem Spätwerk Schellings. Die acht Beiträge diskutieren zentrale, mit dem Spätwerk Schellings verbundene Fragen und Probleme. Im Mittelpunkt der Beiträge stehen die für die Spätphilosophie Schellings konstitutive Unterscheidung zwischen einer negativen und einer positiven Philosophie, das Problem ihrer Zuordnung sowie die mit dieser Unterscheidung verbundenen Konsequenzen für einen philosophischen Gottesgedanken. Diese Aspekte werden von den Autoren in werkgeschichtlichen und in systematischen Perspektiven erörtert.

Schellings Spätphilosophie erhebt gegenüber der philosophischen Tradition den Anspruch, eine geschichtliche Philosophie vorgelegt zu haben. Deren Eigenheit besteht darin, eine kategoriale Strukturtheorie mit einer Theorie des geschichtlichen Verlaufs zu verzahnen. Erst aus dieser Theoriekonstellation resultiert eine Fassung des Gottesgedankens, die Gott nicht nur als Freiheit zu denken beansprucht, sondern den Gottesgedanken auch an die Selbsterfassung der menschlichen Freiheit in der Geschichte zurückbindet. In den Stichworten System, Freiheit und Geschichte fokussieren sich somit sowohl der Gehalt der Schellingschen Spätphilosophie als auch die von dieser zu bewältigenden systematischen Probleme.

Alfred Denker rekonstruiert in seinem Beitrag Der exzentrische Gott. Schellings Münchner Philosophie (1-36) die für die Spätphilosophie Schellings insgesamt signifikante Potenzenlehre in ihrer werkgeschichtlichen Entwicklung und diskutiert den Schellingschen Gottesgedanken, in dessen Zentrum die Begriffe Freiheit und Liebe stehen. Die mit einer systematischen Explikation des Freiheitsbegriffs verbundenen gedanklichen Probleme werden sowohl von Holger Zaborowski, Geschichte, Freiheit, Schöpfung und die Herrlichkeit Gottes (37-78), als auch von Stephan Loos, Das Denken und sein Anderes (79-96), erörtert. Zaborowski sieht eine grundsätzliche Ambivalenz im Denken Schellings (42), die er in der "Spannung zwischen dem Gedanken und dem Gedachten, zwischen Bewußtsein und Sein" (43) ausmacht. Am Leitfaden dieser Grundkonstellation deutet er die werkgeschichtliche Entwicklung der Philosophie Schellings als eine fortlaufende Radikalisierung des Grundlegungsprogramms eines Systems der Freiheit, die jedoch die diagnostizierte Spannung nicht überwindet, sondern lediglich reproduziert. Für Zaborowski ist diese Spannung freilich auch nicht im Medium des Gedankens zu bewältigen, sondern allein durch eine kontingente Infragestellung durch den Anderen (vgl. 47.76 f.). Zu diesem Resultat kommt auch Loos, wenn er konstatiert, dass der von Schelling in seiner Spätphilosophie ausgearbeitete Gottesgedanke "trotz seiner Unvordenklichkeit eben nur ein gedachter" (96) Gott bleibt. Man mag jedoch fragen, ob und wie die von Loos in seinem Beitrag lediglich angedeutete Alternative eines "dankenden Zeugnisses" (ebd.) über die gedanklichen Schwierigkeiten einer Explikation des Gottesgedankens hinausführen können soll.

Der Frage, ob die Entwicklung Schellings zu der von ihm vorgenommenen Unterscheidung zwischen einer negativen und einer positiven Philosophie im Sinne einer Kontinuität oder eines Bruches zu lesen sei (105), geht Richard L. Velkley in seinem Beitrag Die Notwendigkeit des Irrtums. Schellings Selbstkritik und die Geschichte der Philosophie (97-122) nach. Anhand einer Rekonstruktion von Schellings Münchner Vorlesung Zur Geschichte der neueren Philosophie versucht er die These zu plausibilisieren, dass das Modell, welches "die positive Philosophie von ihrer eigenen Geschichte entwickelt", "ihre negative Selbst-Darstellung" sei, "durch die sie sich selbst als in einer Kontinuität mit aller früheren Philosophie zeigt, um ihren radikalen Bruch mit aller früheren Philosophie verständlich zu machen" (122). Schellings Kritik an dem ontologischen Argument von Descartes rekonstruiert Jeffrey Kinlaw unter dem an Dieter Henrich angelehnten Titel Schellings ursprüngliche Einsicht. Das ontologische Argument und die Aufgabe der Philosophie (123-160). Kinlaw räumt ähnlich wie bereits Dietrich Korsch in seiner grundlegenden Studie Der Grund der Freiheit. Eine Untersuchung zur Problemgeschichte der positiven Philosophie und zur Systemfunktion des Christentums im Spätwerk F. W. J. Schellings (München 1980), auf die Kinlaw jedoch nicht Bezug nimmt, Schellings Auseinandersetzung mit Descartes eine Schlüsselstellung für die von ihm vorgenommene Unterscheidung zwischen einer negativen und einer positiven Philosophie sowie den hieraus resultierenden Gottesgedanken ein. Der Übergang zwischen beiden Theorieformen ist nach Kinlaw am Begriff Gottes als Freiheit (157f.) orientiert. Indem Gott als absolute Freiheit gedacht wird, erfährt das Denken sein Scheitern, so dass es dem Umstand ansichtig wird, dass es immer schon mit sich vermittelt ist, ohne seine eigene Reflexivität von Seiten der Reflexion her aufbauen zu können (vgl. 129.159).

Die positive Philosophie Schellings im Kontext zeitgenössischer Theologie (161-181) untersucht Marion Drobig durch einen Strukturvergleich der Spätphilosophie Schellings mit den Theologien Karl Barths und Jürgen Moltmanns. Walter E. Ehrhardt, der Herausgeber von Schellings Einleitung in die Philosophie, wendet sich Schellings Lehre über Fortdauer und künftiges Leben (183-202) zu. Dabei ist es ihm um den Nachweis zu tun, dass die von Schelling am Ende der Vorlesung vom Sommersemester 1830 angedeuteten Bemerkungen zum künftigen Leben Gedanken aufgreifen, die von Schelling in seinem Gespräch Clara oder Über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt ausgearbeitet wurden. Eben dieses Gespräch versucht Ehrhardt nicht, wie in der üblichen Datierung, 1816/17 oder 1810 im Zusammenhang mit Carolines Tod anzusetzen, sondern 1803, im zeitlichen Umfeld des Todes von Auguste Böhmer, der Tochter Carolines. Kazuko Yamaguchis Beitrag Schelling und das Christentum (203-220) beschließt den Band. Yamaguchi zeichnet in einer werkgeschichtlichen Perspektive die Äußerungen Schellings zum Christentum nach, freilich ohne mit dem theologiegeschichtlichen Hintergrund näher vertraut zu sein.

Der Band bietet insgesamt einen guten Überblick über Schellings Münchner Philosophie und diskutiert diese im Kontext seines Gesamtwerks.