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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

829–831

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schwartz, Yossef, and Volkhard Krech [Eds.]

Titel/Untertitel:

Religious Apologetics - Philosophical Argumentation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. X, 574 S. gr.8 = Religion in Philosophy and Theology, 10. Kart. Euro 69,00. ISBN 3-16-148310-3.

Rezensent:

Malte D. Krüger

Der Sammelband geht auf zwei internationale Tagungen zurück, die im September 2001 und Juli 2002 in Frankfurt a. M. mit der Unterstützung des Fachbereichs Evangelische Theologie stattfanden. Er vereint Studien aus dem jüdischen, christlichen und islamischen Kulturkreis, die den Übergang zwischen religiöser Apologie und philosophischer Argumentation thematisieren. Erklärtes Ziel ist es, eine Diskussion zur Thematik der Apologie zu initiieren, wie die Herausgeber im Vorwort darlegen.

Diesem Unternehmen dienen 26 - entweder auf Deutsch oder Englisch vorliegende - Beiträge, die sieben Rubriken zugeordnet und zudem in einem Sachregister erschlossen sind. Im ersten Teil (3-45) wenden sich Yossef Schwartz (3-8) und Robert C. Neville (9-24) in ausgesprochen programmatischen Überlegungen dem Begriff der Apologetik in methodologischer und systematischer Hinsicht zu, während Michael Zank in seinem stärker historisch ausgerichteten Beitrag (25-45) das Verhältnis von Leo Baeck und Adolf Harnack im Blick auf die Frage nach dem Wesen der Religion überzeugend rekonstruiert. Im zweiten Abschnitt (49-120) verhandeln Yossef Schwartz, Gesine Palmer, Gideon Freudenthal und Stefana Sabin anhand ganz verschiedener Autoren von Augustin bis Henry Adams die Frage, inwiefern Apologie als Autobiographie bzw. "Selbstdefinition einer Gemeinschaft" (47) verstanden werden kann. Unter der dritten Rubrik "Geschichtsschreibung als Apologetik" (121) sind Beiträge von Moshe Idel über die moderne Theologisierung der Kabbalah (123-174), von Friedrich Niewöhner über das Mythosverständnis bei Ignaz Goldziher (175-184) und von Michael Zank über Leo Strauss (185-202) versammelt, während im vierten Abschnitt (205-316) István Perczel, Hanna E. Kassis, Alexander Fidora, Harvey J. Hames und Görge K. Hasselhoff sich dem interreligiösen Philosophieren zuwenden; dabei fällt besonders die Konzentration auf das Mittelalter auf. Im fünften Teil (319-424) untersuchen Michael F. Mach, György Geréby, Catherina Wenzel, Margarete Schlüter und Otfried Fraisse den "[a]pologetische[n] Umgang mit Offenbarungsschriften und normativen Texten" (317), während die letzten beiden Teile (427-550) - mit Beiträgen von Christoph Schulte, Michal Kümper, Heiko Schulz, Volkhard Krech, Myriam Bienenstock und Hartwig Wiedebach - sich dem Verhältnis von Apologetik und Neuzeit zuwenden.

Auf Grund der quantitativen Fülle und qualitativen Dichte der Beiträge scheint es sinnvoll, neben den systematisch grundlegenden Überlegungen aus dem ersten Teil von Yossef Schwartz und Robert C. Neville lediglich drei Fallstudien näher vorzustellen, die zum einen in ihrer Unterschiedlichkeit für den Sammelband charakteristisch sind und zum anderen die Beschäftigung mit den drei religiösen Kulturkreisen repräsentieren.

In seinem einleitenden Beitrag definiert Yossef Schwartz (3-8) Apologetik "als kritische Selbstbetrachtung ..., als ein individuelles und kollektives Bedürfnis, Rechenschaft über sich selbst - über das eigene Selbst - abzulegen" (3). Damit wendet er sich explizit gegen eine übertrieben religiöse Engführung des Begriffs und verweist auf die Apologie des Sokrates, in der schon religiöse Sachverhalte und philosophische Argumentation auf konfliktträchtige Weise verschränkt sind. Die Eigenart der Apologetik sieht Schwartz in der konstitutiven Bezogenheit des Apologeten auf die Überzeugungen der Zuhörer, so dass die Rolle des Apologeten der des Anwaltes gleicht. Im Einklang mit der neuesten Philosophie betont Schwartz, dass das redende Selbst nicht als unerschütterbares Fundament taugt. Entsprechend besteht die methodologische Einsicht darin, dass Apologie der "Reflex [eines Selbst, M. D. K.] auf das signifikant Andere" (7) ist, wobei das Selbst erst in dieser Begegnung seine Identität gewinnt (besonders 5.7).

Auch Robert C. Neville (9-24) wendet sich gegen ein zu enges Verständnis der Apologetik und plädiert dafür, unter religiöser Apologetik nicht nur das kritische Gespräch mit externen Anfragen, sondern auch die interne Selbstverständigung der religiösen Sicht zu begreifen. Weil auf diese Weise religiöse Apologetik untrennbar mit philosophischer Argumentation zusammenhängt und damit letztlich mit dem identisch ist, was im Christentum unter dem Titel "Systematische Theologie" firmiert, kann Neville die Thematik der Apologetik erörtern, indem er sein Programm Systematischer Theologie skizziert. Seine Grundthese lautet, dass die Systematische Theologie einer globalen Perspektive verpflichtet ist. Der gegenwärtig allzu verbreiteten Einsicht in die Kontextualität sollte man nicht zu viel Raum zugestehen. Andernfalls würde nämlich die Gefahr bestehen, dass die Frage nach der Wahrheit zu Gunsten der Eingebundenheit in eine bestimmte religiöse Gemeinschaft nivelliert würde und die Beliebigkeit religiöser Rede kaum minimierbar wäre. Zudem wäre religiöse Rede dann nicht mehr korrekturfähig, so dass ein Fundamentalismus drohte, der gegenüber dem Einwand, selbst nur eine Interpretationspraxis zu sein, hilflos wäre.

Dieses umfassende Verständnis der Apologetik spiegelt sich auch in den einzelnen Fallstudien. Friedrich Niewöhner zeigt in seinem Beitrag (175-184) anhand des Lebens und der Mythosforschung des ungarischen Juden Ignaz Goldziher (1850- 1921), wie innerhalb des Judentums die Entdeckung des Mythologischen zur Apologie werden kann, die allerdings innerjüdisch auf Kritik stößt. So hat Goldziher, indem er gegen die These Ernest Renans (177) plausibel macht, dass das Judentum wie alle anderen Völker zur Mythenbildung fähig ist, gezeigt, dass das Judentum anderen Völkern "gleich und ebenbürtig" (182) ist. Niewöhner führt Goldzihers Deutung an dessen überaus interessanter Interpretation der biblischen Lot-Geschichte vor (178 ff.).

Catherina Wenzel hingegen legt in ihrer Studie (363-385) dar, wie im Islam die Gestalt des Abraham apologetisch benutzt werden kann. Seine Person dient u. a. nicht nur für die ersten Muslime als Vorbild für den Bruch mit ihrer Stammesgesellschaft (372 ff.). Vielmehr kann auch anhand der Entwicklung, wie im Koran Abraham gesehen wird, das Verhältnis Muhammads zu der ihm vertrauten jüdisch-christlichen Tradition (368) rekonstruiert werden. Dabei kommt Wenzel zu dem Ergebnis, dass man "den Koran als einen Kommentar zum Alten Testament ... lesen [könnte, M. D. K.]. ... Dann aber, im Zuge der politischen Machtergreifung, hat der koranische Text sein Kommentarsein aufgegeben, um selbst Heiliger Text zu werden" (381). So verdrängte Muhammad "im Zuge der Konstituierung seiner Religion das Judentum, indem er die lebenden Juden verfolgte, vertrieb, hinrichtete. Im gleichen Atemzug verleibt er sie aber seiner Religion ein, indem er sie ... theologisch unterordnet" (379). Dabei geht es Wenzel keineswegs um eine Polemik gegen den Islam (384), sondern sie legt in ihrem - angesichts der herrschenden "religious correctness" (384) mutig zu nennenden - Aufsatz im historisch-kritischen Rahmen eine wissenschaftliche Deutung vor.

Heiko Schulz untersucht in seinem Beitrag (459-490) die "Christologie als Apologie", indem er die Möglichkeit der vernünftigen Verteidigung des christlichen Glaubens bei Anselm und Kierkegaard miteinander ins Gespräch bringt, affine Argumentationsstrukturen eruiert und schließlich im Anschluss an Kierkegaard und unter Einbeziehung des Pragmatismus die apologiespezifische Einsicht vertritt: "Jeder Glaube kann als theoretisch ungerechtfertigter gleichwohl wahr und als zweifelhafter praktisch gerechtfertigt sein" (490).

Bilanzierend kann festgehalten werden: Ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, gibt der Band ausgehend von anregenden systematischen Erwägungen zur Apologetik in mitunter sehr spezifischen Fallstudien einen instruktiven Einblick in die Problemlage - und reizt zu der von den Herausgebern intendierten Diskussion, der man allerdings wünscht, dass sie anders als dieser Band auch den Deutschen Idealismus und Fragestellungen aus dem Bereich der Analytischen Philosophie berücksichtigt. Denn zum einen ist vor dem Hintergrund des skizzierten gegenwartsorientierten Apologieverständnisses der vollständige Verzicht auf die Analytische Philosophie nicht vorteilhaft; und zum anderen dürfte das grundlagentheoretische Potential des Deutschen Idealismus für die Frage nach einer argumentationslogischen Rekonstruktion religiöser Gehalte kaum abgegolten sein. Dabei ist besonders die in der Theologie wenig beachtete Spätphilosophie Schellings interessant, da sie weder die Religion auf Kosten der Philosophie profilieren will noch den umgekehrten Weg gehen möchte.