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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

818–820

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Rohls, Jan

Titel/Untertitel:

Philosophie und Theologie in Geschichte und Gegenwart.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XII, 611 S. gr.8. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-16-147812-6.

Rezensent:

Andreas Arndt

Bei dem anzuzeigenden Buch handelt es sich um ein gelehrtes Werk, das in ausführlichen Studien zu einzelnen Autoren einen umfassenden Überblick über die Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Philosophie bietet. In vier Abschnitten werden (I) die vorchristliche Antike, (II) Christentum, Antike und Mittelalter, (III) Renaissance und Aufklärung sowie (IV) die Neuzeit bis auf die Gegenwart behandelt.

Jan Rohls argumentiert, wie er gleich im Vorwort deutlich macht, aus zweierlei Perspektive. Hinsichtlich der Theologie geht er davon aus, dass "die Übersetzung religiöser Gehalte in das Medium der Vernunft" eine bleibende Aufgabe sei, der sich die Theologie auch in Zukunft nicht werde entziehen können. Aber auch die Philosophie könne an der Theologie nicht vorbeigehen, da diese sie stets daran erinnere, "daß ihre Aufgabe die Thematisierung oberster Prinzipien impliziert und sie ohne Metaphysik ein Torso bleibt".

Was die erste Perspektive betrifft, beruft R. sich auf Lessings Schrift über die "Erziehung des Menschengeschlechts", in der Geschichte als Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunftwahrheiten thematisiert wird (vgl. 583). Ob diese Ausbildung im Sinne des R.schen Vorwortes als Übersetzung interpretiert werden kann, ließe sich freilich bestreiten. Lessing selbst ist in dieser Frage keineswegs eindeutig, denn der 4 der "Erziehung" spricht davon, dass die menschliche Vernunft ohne Offenbarung zu denselben Resultaten kommen würde wie durch die Offenbarung; im 77 wird dies dann teilweise zurückgenommen. In seiner Darstellung Lessings (401 f.) erörtert R. diese Ambivalenz nicht, obwohl sie das für das Verhältnis von Theologie und Philosophie in der Moderne entscheidende Problem mit aller Schärfe zum Ausdruck bringt, nämlich das Problem der Autonomie der Vernunft.

Kant beruft sich im "Streit der Fakultäten" (eine Schrift, auf die R. in seinem Kant-Abschnitt 403-412 nicht eigens eingeht) auf diese Autonomie, um die traditionelle Hierarchie im Verhältnis von Theologie und Philosophie umzukehren. Auf Grund dieser Autonomie entfernt sich die Vernunft bereits bei Lessing von der Vorstellungswelt einer geoffenbarten Religion, indem sie die personale Gottesvorstellung preisgibt und die offenbarte Wahrheit durch die Vernunftwahrheit ablöst; Hegel vollendet diese Denkbewegung, indem er die Religion in die Philosophie aufhebt und sie ihr damit systematisch unterordnet. Was es unter dieser Voraussetzung bedeutet, dass Hegels "Wissenschaft der Logik" eine "philosophische Theologie" sei (449), darüber ließe sich streiten. In jedem Falle ist diese "Übersetzung" kein Vorgang, in dem ein Gehalt nur verdolmetscht würde, den die Theologie als eigene (geoffenbarte) Wahrheit zurückbehielte.

Dieses Verhältnis wirft auch die Frage auf, welchen Stachel denn die Theologie für die Philosophie in metaphysischer Hinsicht noch darstellen könnte, wenn die Vernunft ihre Wahrheit nur allein zu verantworten vermag? Dass Metaphysikkritik etwas anderes ist als das Beschweigen der Metaphysik in vorgeblich nachmetaphysischen Zeiten, wird R. ohne weiteres zuzugeben sein. Dass jedoch die Bestände der Metaphysik zugleich die Bestände der Theologie seien, ist jedenfalls heute nicht ohne weiteres einsichtig.

Nun enthält sich R.s Buch einer ausdrücklichen systematischen Auseinandersetzung mit den hier angeschnittenen Problemen, auch wenn sie in der Darstellung der Positionen vielfach angedeutet wird. R. verfährt vielmehr historisch, indem er - mit größter Gelehrsamkeit und in einer klaren Sprache - die Geschichte der Positionen von der vorchristlichen Antike (beginnend mit Homer) bis zur Gegenwart Revue passieren lässt. Es handelt sich also um eine auf das Verhältnis von Theologie und Philosophie konzentrierte Doxographie, die ebenso umfassend wie detailliert angelegt ist. Trotz einer mustergültigen Erschließung durch umfangreiche Register erfüllt sie jedoch nicht die Erwartungen an ein Hand- oder Lehrbuch, da Quellen- und Literaturangaben bewusst fortgelassen wurden.

Dieser Charakter des aus Vorlesungen hervorgegangenen Buches hinterlässt eine gewisse Ratlosigkeit. Weder wird das systematische Problem als ein solches ausdrücklich systematisch verhandelt noch wird ein historischer Durchblick geboten, der zu den Quellen und zur Rezeptionsgeschichte der dargestellten Positionen selbst hinführt. Was in der Vorlesung hilfreiche Orientierung zu bieten vermag, erfüllt diese Funktion nicht immer auch im Druck. Vielleicht hätte R. sich entscheiden müssen zwischen einem Handbuch einerseits und einer systematischen Abhandlung andererseits. Das rezensierte Buch ist keines von beidem, so anregend und gewinnbringend die Lektüre im Einzelnen auch sein mag. Dies ist gerade deshalb zu bedauern, weil R. sowohl ein starker systematischer Denker als auch - was in dieser Kombination ja keinesfalls gewöhnlich ist- ein historisch umfassend gebildeter Gelehrter ist. Es steht zu hoffen, dass er das in dem Buch angeschlagene Thema auf der Basis der historischen Darstellung bald in einer eigenen systematischen Arbeit aufgreift.