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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

808–810

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Trauner, Karl-Reinhart

Titel/Untertitel:

Identität in der Frühen Neuzeit. Die Autobiographie des Bartholomäus Sastrow.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2004. 424 S. m. Abb. gr.8 = Geschichte in der Epoche Karls V., 3. Kart. Euro 55,00. ISBN 3-402-06572-X.

Rezensent:

Volker Gummelt

Zu Beginn des Vorwortes zur ersten Edition der Lebensbeschreibung des Bartholomäus Sastrow (erschienen: Greifswald, 1823/24 in drei Bänden) schrieb der damalige Herausgeber Gottlieb Friedrich Mohnike: "Der Werth dieser Selbstbiographie erstreckt sich keineswegs bloß auf die Aufhellung mehrerer Punkte in der Pommerschen, oder speciell Stralsundischen Geschichte des sechszehnten Jahrhunderts, sondern breitet sich über mehrere Theile der deutschen Geschichte überhaupt und der Reformationsgeschichte, wenigstens in Beziehung auf die zunächst nach Luther's Tode folgenden Jahre insbesondere aus." In einer Anmerkung fügte Mohnike sodann hinzu: "Ueber den berühmten Reichstag zu Augsburg in den Jahren 1547 und 1548 haben wir, so viel ich weiß, nirgends etwas so Vollständiges ... und in der Geschichte des Interims wird sein Buch in der Zukunft sicher stets mit Auszeichnung genannt werden." Angesichts dieser Einschätzung ist es erstens verwunderlich, dass Sastrows Autobiographie bislang nur in der Ausgabe von Mohnike vollständig vorliegt (eine Ausgabe, die gegenwärtigen editorischen Ansprüchen kaum noch genügt), zweitens, dass dieses Werk lediglich sporadisch von der Forschung genutzt wurde, und drittens, dass die Gestalt Sastrows bis heute weithin unbekannt geblieben ist.

Die Dissertation des Theologen Karl-Reinhart Trauner (Wien 2002) bietet nun auf Grund von Studien, die bis in das Jahr 1987 zurückreichen, Untersuchungen zur Person Sastrows und seiner Lebensbeschreibung in einem Umfang und von einer Gründlichkeit, wie sie bisher nicht vorlagen.

So werden schon in der Einleitung (13-38) nicht allein nur der in jeder Dissertation übliche Forschungsüberblick zum Gegenstand sowie die Vorstellung der mit dieser Arbeit verfolgten Ziele geboten, sondern T. bettet seine einführenden Worte in den Zusammenhang tiefgehender Erörterungen zum Thema "die Autobiographie als historische Quelle" ein. Danach nähert er sich seiner Quelle auf insgesamt vier Zugangsweisen, die zugleich die vier Hauptteile der Dissertation bilden.

Anfänglich wird ein biographischer Zugang gegeben (39- 80). Bei der Gliederung der Darstellung des von 1520 bis 1603 reichenden Lebens Sastrows orientiert sich T. an dessen eigener Schilderung. Nach Ausführungen zur Herkunft, Jugend und Studienzeit folgt die Beschreibung von Sastrows Dienst im Auftrag der Herzöge von Pommern in den Jahren 1546 bis 1550. Diese Tätigkeit ermöglichte Sastrow die Teilnahme am Augsburger Reichstag von 1547/48. Zudem wurde er von den Herzögen als pommerscher Geschäftsträger zum (Reichs-)Kammergericht in Speyer entsandt. Nach "Jahren der Konsolidierung", die durch Heirat und die Übernahme des Amtes als Stadtschreiber in Greifswald bestimmt waren, wird Sastrows Wirken in Stralsund betrachtet, wo er seit 1555 bis zu seinem Tode lebte und lange Zeit Bürgermeister war. Bei der Vorstellung dieses bewegten Lebensweges gelingt T. die kritische Aufnahme Sastrows eigener Reflektionen auf seinen Werdegang sowie das Einfügen weiterer Quellen aus dessen Umkreis gut.

Der zweite Hauptteil (81-140) bietet eine quellenkritische und literarische Analyse der Lebensbeschreibung. Dabei stehen Fragen der Überlieferung, Entstehung, Gliederung und Sprache des Werkes im Vordergrund. Bedauerlicherweise stellt T. nur die einst von Mohnike so benannte Haupthandschrift vor, die dieser zur Grundlage seiner Edition nahm. Von den anderen Manuskripten, die ebenfalls jenes Lebensbild wiedergeben und die Mohnike seinerzeit mit heranzog, wird lediglich eine einzige in einer Fußnote erwähnt. Nur zuzustimmen sind T.s Überlegungen, nach denen ein abschließender 4. Teil der Autobiographie, der Sastrows Stralsunder Jahre behandelte, einst existiert haben dürfte, doch bewusst vernichtet wurde. In diesem Hauptteil seiner Dissertation bietet T. auch einen kenntnisreichen Vergleich der Lebensbeschreibung Sastrows mit anderen so genannten Ego-Dokumenten des späten Mittelalters und des 16. Jh.s. Dabei kann er als den wesentlichen Unterschied dieser Autobiographie zu anderen herausstellen, dass Sastrow "nicht bloß seine persönlichen Erlebnisse beschreibt, sondern diese mit dem öffentlichen Geschehen verschränkt."

Im dritten Hauptteil (141-242), in dem T. Sastrows Lebenserinnerungen als ereignishistorische Quelle betrachtet, stehen dann diese öffentlichen Geschehnisse im Mittelpunkt. Interessant ist dabei die Analyse des sehr eigenen Blickwinkels, den der Stralsunder Bürger auf die pommersche Reformation hatte. Wie schon bei Sastrow nimmt auch bei T. die Darstellung des Schmalkaldischen Krieges und seiner Folgen für die Reformation sowie des Augsburger Reichstages von 1547/48 einen breiten Raum ein. Erstaunt ist man innerhalb der Ausführungen T.s nur, dass er in diesem Teil seiner Arbeit anhand von Sekundärliteratur einige Ereignisse der Stralsunder Reformationsgeschichte (so die so genannten Frederschen Streitigkeiten) schildert, die jedoch in den erhaltenen Teilen der Autobiographie nirgends erwähnt werden.

Schließlich wertet T. in einem sehr ausführlich angelegten 4.Hauptteil (243-349) das Lebensbild Sastrows als sozialhistorische Quelle aus. Ohne Frage bietet diese zu Ende des 16. Jh.s endgültig verfasste Autobiographie einzigartige Einblicke in die Frömmigkeit zur Zeit der so genannten Spätreformation und Konfessionalisierung. So dürfte Sastrow in vielen seiner Ansichten als typischer evangelischer Christ gelten. Freilich setzte er auch deutlich eigene Akzente, so beispielsweise darin, dass er als Jurist das Geschehen der Reformation von einem - wie T. es ausdrückt - ordnungsorientierenden Denken her beurteilte. Wie schon im vorhergehenden Teil der Arbeit beeindruckt auch in diesem Hauptteil die zahlreiche Sekundärliteratur, die T. heranzieht. Von daher ist auch das umfangreiche Literaturverzeichnis (356-404) verständlich. Freilich ist bei der Auswahl der Literatur, insbesondere bei theologischen Werken, nicht nachvollziehbar, warum einige Male auf heute als allgemeinhin veraltet angesehene Darstellungen (wie z. B. Karl Heussis Kompendium der Kirchengeschichte) verwiesen wird.

Weiterhin positiv hervorzuheben ist, dass T. seine Untersuchungen mit insgesamt 12 Abbildungen ergänzt, wobei nur die Funktion einer Lithographie, die die Stadt Stralsund um das Jahr 1840 (!) zeigt, nicht deutlich wird. Zudem fügt T. seinen Ausführungen je eine Übersicht über das Leben Sastrows und über seine Familie an (351-354). Vielleicht wäre an dieser Stelle auch ein Überblick über die in seiner Autobiographie von Sastrow aufgenommenen Briefe und die zahlreichen Dokumente aus der Reichsgeschichte dienlich gewesen. Ein derartiges Verzeichnis, möglicherweise ergänzt mit Angaben, wo jene Stücke bereits ediert sind, hätte gewiss geholfen, die dringende Notwendigkeit einer Neuedition dieses Lebensbildnisses mit zu begründen.