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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

805 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kim, Moon-Kee

Titel/Untertitel:

Gemeinde der Wiedergeborenen. Das Kirchenverständnis in Speners Evangelischer Glaubenslehre.

Verlag:

München: Utz 2003. 245 S. 8. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-8316-0241-7.

Rezensent:

Dietrich Blaufuß

Martin Schmidt hat in seinem in ThLZ 1951 veröffentlichten epochalen Aufsatz "Speners Wiedergeburtslehre" bekanntlich einen Teil zum Kirchenverständnis gestrichen - zum großen Schaden für die Spener-Forschung, die sich dieser Frage bei Spener hätte zuwenden müssen. Moon-Kee Kims Neuendettelsauer Dissertation von 1994/95 greift das Thema endlich einmal auf und wendet sich mit der "Evangelischen Glaubens-Lehre" (GlL) einem für Spener selbst grundlegenden Werk zu. Hier "begegnet man nicht allen Gedanken Speners, aber durch die Glaubens-Lehre lernt man das kennen, was die Basis seiner Theologie ausmacht" (194). Über seine weiteren Quellen (meist in neuen Ausgaben zugänglich) gibt K. hinreichend Auskunft (21 f.228 f.).

Das lange, hinführende Kapitel I samt der Einleitung (13-71) dokumentiert K.s gründliche Einarbeitung in den Forschungsstand, in das Quellenmaterial und in die Lebensgeschichte Speners bis zu seiner Berufung nach Dresden. Das hätte man sich kürzer denken können, da es stark an Erarbeitetem orientiert ist. Aber es ist dies kein überflüssiger Beleg dafür, dass sich K hartnäckig und verständig über das biographische und sachliche Feld seines engeren Themas kundig gemacht hat. Jedenfalls ist Spener als Prediger hier so angemesssen ins Auge gefasst, dass das Hauptkapitel, "Das Kirchenverständnis Speners in seiner Evangelischen Glaubens-Lehre von 1688" nicht in der Luft hängt (72-197). In richtigem Zugriff auf die Predigt vom 20. post Trinitatis 1687 "von der Christlichen kirchen" über das Gleichnis vom großen Abendmahl arbeitet K. sich in die vielfach einschlägigen Aspekte zur Sache in der GlL hinein (s. 21f., Anm. 66).

Die Konzentration auf die GlL hat ihr Gutes, wenn sich solch eine Werkbesichtigung einmal konsequent am Leitseil eines wichtigen Themas festhält. Sklavisch gefangen an die GlL bleibt die Darstellung nicht, verifiziert sie doch sehr wohl den nötigen Überschritt in andere Quellen, wo es um die Nicht-Erwähnung des Konzepts der "ecclesiola in ecclesia" in der GlL geht (163 u. ö., u. a. Briefe). Die "Pia Desideria" sind in dem Hinführungsteil besonders dargestellt - gemäß der ihnen von K. zugebilligten Bedeutung als einer Konstante im theologischen Denken Speners (vgl. 96.162.177.218). Über die drei gut aufeinander abgestimmten Fragestellungen: wahre/falsche Kirche, römisch-katholische Kirche und "Die Gemeinschaft der Wiedergeborenen" kommen - besonders im letztgenannten Teil (140-193) - entscheidende Gesichtspunkte zur Darstellung.

Das besondere dritte Kapitel "Die neue Hoffnung auf die Kirche" (198-223) wäre auch den Ausführungen zur wahren/falschen Kirche und zum Katholizismus zuzuordnen gewesen. K. arbeitet ohne den Druck einer Forschungsdebatte und hermeneutischer Kontroversen in Ruhe an den einschlägigen Predigten (Advent; Ende des Kirchenjahres) Speners Gedankengänge nach, was in der Tat immer die erste Aufgabe sein muss auf dem Weg zu theologiegeschichtlichen Urteilen. Quellen, Literatur, Liste der Predigten 1686/87 mit Themenangaben und dogmatisches System, innerhalb dessen die Predigten zu stehen kommen (239-244), werden angefügt.

Auf respektable Weise hat sich K., heute an der Universität Pyongtaek tätig, sprachlich und sachlich sein Thema erarbeitet. Fast zehn Jahre nach Abschluss des Manuskripts ist das Thema keinesfalls überholt! (Der umfängliche Beitrag zum Wiedergeburts-Verständnis Speners von J. O. Rüttgardt in Spener: Schriften Bd. 7 [1994] war freilich leider nicht mehr erreichbar gewesen. - Zu 214, Anm. 143 f., der Liste der von Spener aufgerufenen Zeugen für eine noch ausstehende Judenbekehrung, wäre inzwischen auf die entsprechende Stelle und die biographischen Nachweise in Spener: Werke I/1, 1996, zurückzugreifen.)

Im Festhalten an der lutherischen Kirche als der wahren - und zwar wegen ihres Grundes, nicht wegen ihres Zustandes! - kann K. durchaus Übereinstimmung Speners mit orthodoxem Standpunkt feststellen. Doch das hindert nicht an dem unverdrossenen Reformbemühen, bei dem Spener sich mit der Unterscheidung von sichtbarer/unsichtbarer Kirche nicht theoretisch zufrieden gibt.

K.s aus ganz anderem theologisch-kirchlichen Hintergrund gespeistes Interesse an Speners Kirchenlehre hat die historische Darstellung und theologische Wertung seines Gegenstandes nicht überwältigt. Man darf K.s Studie getrost als Anregung innerhalb einer hoffentlich weiter erfolgenden Klärung von Speners ekklesiologischem Denken empfehlen.