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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

798 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Album ministrorum der Reformierten Gemeinde Elberfeld. Prediger und Pastoren seit 1552. Hrsg. u. eingeleitet v. H.-P. Eberlein.

Verlag:

Bonn: Habelt 2003. VIII, 384 S. 8 = Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 163. Geb. Euro 25,00. ISBN 3-7749-3225-5.

Rezensent:

Martin Ohst

Im Archiv der Evangelisch-Reformierten Gemeinde Elberfeld befindet sich ein in Leder gebundenes Album. Angelegt hat es der dortige Pastor Nathanael Geyser (1860-1920). Je eine Doppelseite ist mit dem Namen eines Elberfelder Pastors überschrieben, zu vielen der Genannten hat Geyser Lebensabrisse verfasst. Er konnte sich dabei auf Vorarbeiten stützen: Carl Krafft, Pastor in Elberfeld 1856-1885 und bedeutender Pionier der Regional- und Lokalgeschichtsschreibung, hatte auf einzelnen Blättern biographisches Material, zumeist sehr zuverlässige Exzerpte aus der jeweiligen zeitgenössischen Literatur, zusammengetragen. Einige Pastoren verfassten dann selber Einträge, wieder bei anderen besorgten das Amtsbrüder, Nachfahren oder Freunde. Hermann Klugkist Hesse (1884-1949; nicht zu verwechseln mit dem zwar gleichfalls aus Ostfriesland stammenden, mit ihm aber nicht verwandten Hermann Albert Hesse, Pastor in Wuppertal 1916-1945) hat die Arbeit am Album fortgesetzt: Er hat weitere Materialien eingelegt bzw. -geklebt, insbesondere biographische Aufsätze über Elberfelder Pastoren, die er, neben zahllosen anderen Artikeln, im "Reformierten Wochenblatt" zu publizieren pflegte. Sodann hat er in seinen letzten Lebensjahren mit einer Gesamtdarstellung der Elberfelder Pastoren seit der Reformation begonnen, die nach 129 Typoskriptseiten abbricht.

Hermann-Peter Eberlein hat sich der wenig beneidenswerten Aufgabe unterzogen, diese mehrschichtige Materialsammlung einer breiteren Leseöffentlichkeit zugänglich zu machen. Er ist dabei, wie er in seiner Einleitung (3-17) darlegt, ausgesprochen umsichtig und konservativ vorgegangen. Er hat sich darauf beschränkt, die Texte zu transkribieren und mit Lesehilfen zu versehen, d. h. er informiert den Leser darüber, von wem der Text, den er gerade liest, stammt, und er hat in mühe- und entsagungsvoller Kleinarbeit eine immense Anzahl biographischer und bibliographischer Detailinformationen verifiziert und nachgetragen. Wo Albumblätter leer geblieben sind, was seit dem 1. Weltkrieg immer häufiger der Fall ist, hat er selbst knappe Biogramme eingefügt und so das Album bis zur Aufteilung der Gemeinde im Jahre 1964 fortgeführt. Wo irgend vorhanden, hat er sodann Bilder der Eingetragenen abgedruckt und den Band auch mit weiteren wertvollen Illustrationen ausgestattet; besonders sei hingewiesen auf die Photographie vor S. 224, die Klugkist Hesse bei der Arbeit am Stehpult zeigt. Gleichsam als Anhang zum eigentlichen Album (19-222) hat er sodann die o.g. fragmentarische Darstellung Klugkist Hesses ediert (225- 337); hier ist er ebenso konservativ verfahren wie bei der Edition des Albums.

Seinem theologischen Temperament, das in den Fußnoten nur bisweilen ganz kurz aufblitzt, hat er in der Einleitung (12-15) und in dem abschließenden Essay "Stadtbiographie als Bildungsgeschichte von Pastoren - ein Versuch" (341-362) Entfaltungsraum gewährt. Weit entfernt davon, die Geschichte bzw. die Geschichtsschreibung, die er so sorgfältig dokumentiert hat, zu glorifizieren, zeichnet er das Bild einer kirchlich-konfessionellen Monokultur, die sich seit dem frühen 17. Jh. verfestigte und zumal seit dem frühen 19. Jh. ihr besonderes Profil durch eine intransigente Verweigerungshaltung gegenüber philosophischen und theologischen Modernisierungstendenzen gewann: Keiner der Theologen, deren Lebensgeschichten hier dokumentiert sind, hat offenbar jemals nachhaltige Impulse von Kant, Schleiermacher oder Hegel, von Ritschl, Harnack oder Troeltsch empfangen; anders verhielt es sich dann erst mit Karl Barth, dessen Theologie hier, also in einem Milieu, das ganz anders war als das, aus dem sie selbst hervorgewachsen war, eifrig rezipiert wurde (vgl. z. B. S. 187 zu W. Kolfhaus). Das tut jedoch der Bedeutung der hier zugänglich gemachten geschichtlichen Zeugnisse keinen Abbruch: Immerhin war die Reformierte Gemeinde Elberfelds "die bedeutendste und größte reformierte Gemeinde Deutschlands ..., sie war reich - was sich auch in der Besoldung ihrer Pfarrer niederschlug - und sie war führend beteiligt an verschiedenen Werken der Mission und Diakonie" (4). Die Pastoren, die hier amtierten, stammten aus allen reformierten Gebieten des deutschen Sprachraums, und es zeigt sich immer wieder, "dass die Meisten ihre Totenlade mit nach Elberfeld brachten und nach ihrem dortigen Dienst nichts Weiteres erstrebten als höchstens noch ein otium in dignitate, einen würdigen verdienten Ruhestand" (so Klugkist Hesse, 229). Es gab nur wenige Ausnahmen von dieser Regel, so Friedrich Wilhelm Krummacher, der 1847 auf Schleiermachers Kanzel in der Berliner Dreifaltigkeitskirche berufen wurde und 1853 zum Hofprediger in Potsdam aufstieg (106-111).

Die Texte des Albums sind je für sich zu würdigen. Insgesamt sind sie deutlich an Leit- und Idealbildern stilisiert, also typisiert. Besonders interessant werden sie immer dort, wo sich leise Kritik vernehmlich macht oder wo die Grenzen der jeweiligen Wirksamkeit durchschimmern. Eine sorgfältige Interpretation müsste in einem ersten Arbeitsschritt die Gestaltungsabsichten der beiden wichtigsten Autoren, Nathanael Geyser und Klugkist Hesse, deutlich profilieren und dann jeweils nachzeichnen, wie von ihnen aus die einzelnen Porträts aus ihrer Feder gestaltet sind. Bei Hesse dürfte das noch leichter sein als bei Geyser, denn er hat im Album seine eigene Autobiographie niedergelegt (192-201) und auch aus seiner fragmentarischen Darstellung der Elberfelder Pastoren (vgl. zu deren literarischer Gestaltung S. 234 mit Anm. 33) lässt sich vieles über seine theologisch-literarischen Absichten erheben.- So ist dieser Band nicht nur eine wichtige Fundgrube für Informationen zur Geschichte der Elberfelder Reformierten Gemeinde, sondern er stellt auch weitere Forschungs- und Interpretationsaufgaben.