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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

791–793

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

1) Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert. Erster Band: Das Hagenauer Religionsgespräch (1540). 2 Teilbde. Hrsg. im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, v. K. Ganzer u. K.-H. zur Mühlen unter Mitarbeit v. W. Matz, N. Jäger, V. Ortmann u. Ch. Stoll.

2) Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert. Zweiter Band: Das Wormser Religionsgespräch (1540/41). 2 Teilbde. Hrsg. im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, v. K. Ganzer u. K.-H. zur Mühlen unter Mitarbeit v. H. V. Mantey, N. Jäger, u. Ch. Stoll.

Verlag:

1) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. XLII u. VIII, 1346 S. gr.8. Geb. 204,00. ISBN 3-525-36600-0.

2) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. XLII u. IX, 1409 S. gr.8. Geb. 214,00. ISBN 3-525-36601-9.

Rezensent:

Armin Kohnle

Die Reichsreligionsgespräche der Mitte des 16. Jh.s (Hagenau 1540, Worms 1540/41, Regensburg 1541, Regensburg 1546 und Worms 1557) verfolgten das Ziel, als Ersatz für das ausbleibende Konzil die Wiedervereinigung von Alt- und Neugläubigen durch Religionsvergleichung herbeizuführen. Die Zusammenkünfte sind für die historische wie die kirchenhistorische Forschung gleichermaßen von großem Interesse, weil die mühsamen Versuche des Ausgleichs theologischer Streitpunkte nicht nur das Maß der auf beiden Seiten vorhandenen Kompromissbereitschaft und damit die Einigungschancen deutlich machen, sondern auch, weil die theologischen Ausgleichsbemühungen im Zusammenhang mit den gleichzeitigen politischen Lösungsversuchen der Reichstage gesehen werden müssen. Angesichts der in den letzten Jahren erfreulichen Fortschritte bei der Edition der Reichstagsakten der 1540er und 1550er Jahre ist die parallele Erschließung der Akten der Reichsreligionsgespräche geradezu als Voraussetzung für ein Gesamtbild der politischen und theologischen Ansätze zur Bewältigung der Glaubensspaltung in der Mitte des 16. Jh.s anzusehen.

Die Edition, ursprünglich angeregt durch den Historiker des Trienter Konzils Hubert Jedin, ist als interkonfessionelle Kooperation (Klaus Ganzer für die katholische, Karl-Heinz zur Mühlen für die evangelische Seite) angelegt und hat bereits nach zwei der zu erwartenden fünf Bände einen solchen Umfang erreicht, dass vorab ein Blick auf die editorische Konzeption angebracht erscheint. Die Bearbeiter des ersten Bandes, der die Akten des Hagenauer Religionsgesprächs (12.06. bis 28.07.1540) enthält, haben einen ungewöhnlichen Weg gewählt, indem sie das Material nicht wie üblich nach sachlichen und quellentypologischen Gesichtspunkten geordnet präsentieren, sondern unterteilt in "Gesamtakten, Einzelakten und Beiakten", wobei nicht von den einzelnen Texten ausgegangen wird, sondern von den Aktenbänden. Auf diese Weise soll der archivalische Kontext gewahrt bleiben; nach einer näheren Begründung für die Entscheidung, ein auf die Spitze getriebenes Provenienzprinzip anzulegen, was gegen bewährte wissenschaftliche Editionsgrundsätze verstößt, sucht man vergebens.

Den Texten ist jeweils eine längere Beschreibung des Archivales samt Regesten der einzelnen darin enthaltenen Stücke vorangestellt. Ediert wird dann streng in der Reihenfolge der archivalischen Vorlage. Für Umfang und Benutzung der Edition hat dieses Vorgehen weitreichende Folgen: Es zwingt zur ständigen Wiederholung von Regesten bei Parallelüberlieferung; zusammenhanglose Aktennotizen werden als eigene Nummern ausgewiesen (vgl. Nr. 16, 17, 20); verwandte Stücke aus unterschiedlicher Überlieferung stehen weit verstreut und unverbunden (man vgl. etwa die verschiedenen Teilnehmerverzeichnisse Nr. 154, 161, 197, 304), und vor allem ist der chronologische und sachliche Zusammenhang der edierten Texte aufgelöst. Der Abschied des Hagenauer Religionsgesprächs steht z. B. in dem 416 Nummern umfassenden ersten Band ziemlich am Anfang (Nr. 37), jedenfalls an einer Stelle, wo man ihn auf Anhieb weder suchen noch finden wird. Die unmittelbare Übernahme der Zufälligkeiten des Ablagesystems früherer Jahrhunderte in die moderne Edition hat teilweise absurde Konsequenzen: So kommt die Duplik der altgläubigen Stände (Nr. 8) einige Nummern vor der Replik König Ferdinands (Nr. 12) zu stehen, auf die sie antwortet. Eine an den Kaiser gerichtete Schrift der evangelischen Fürsten (Nr. 18) und die Reaktion Karls V. (Nr. 145) sind weit auseinander gerissen, weil das erste Stück der kurpfälzischen, das zweite der kursächsischen Überlieferung entnommen ist. Zudem mangelt es an einer konsequenten Verkettung der Texte durch Querverweise.

Für die Rekonstruktion des Verhandlungs- und Argumentationsgangs während des Hagenauer Religionsgesprächs ist die gewählte Ordnung denkbar ungeeignet. Eine Liste zur Chronologie der Texte (vgl. XXVIII ff.) bleibt ein schwacher Ersatz, enthebt jedenfalls nicht der Mühe des dauernden Blätterns. Verirrte Stücke wie die Instruktion Ottheinrichs und Philipps von Pfalz-Neuburg (Nr. 194), die sich in Weimar findet und folglich unter den kursächsischen "Einzelakten" steht, wird man an dieser Stelle kaum suchen. Ähnliches gilt für die als "Beiakten" bezeichneten Texte aus dem Umfeld des Religionsgesprächs. Vielfach wird hier lediglich auf schon vorhandene Editionen verwiesen, gelegentlich auch nach vorhandenen Editionen noch einmal abgedruckt. Die Auswahl der edierten Texte erscheint willkürlich und umfasst auch Stücke wie die Abschiede der Schmalkaldischen Bundestage in Frankfurt und Arnstadt 1539 und Schmalkalden 1540 (Nr. 391-393), die man in einer Edition zum Hagenauer Religionsgespräch wohl kaum vermuten würde.

Die Präsentation der Texte selbst entspricht nicht unbedingt der elaborierten Kunst anderer Editionsprojekte. Abgesehen davon, dass sich die paläographische Unsicherheit der Bearbeiter allzu häufig in Fragezeichen niederschlägt, die unklare oder nicht entzifferte Lesungen anzeigen, erscheint es geradezu luxuriös, sämtliche Texte in vollem Umfang wiederzugeben, einschließlich sämtlicher Eingangs- und Schlussformeln, Rand-, Dorsal-, Adressen- und Präsentationsvermerke. Sind die Sacherläuterungen eher spärlich ausgefallen, wurde viel Mühe auf die Erklärung frühneuhochdeutscher Wörter verwendet, die nach Auffassung der Bearbeiter schwer verständlich sind. In einer Edition für ein überwiegend wissenschaftliches Publikum wäre dies wirklich nicht nötig gewesen.

Bis zu den theologischen Kontroverspunkten selbst ist man in Hagenau nicht vorgedrungen. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob man an die Ausgleichsverhandlungen des Augsburger Reichstags von 1530 anknüpfen konnte, indem man auf der Grundlage der Aufzeichnungen des badischen Kanzlers Hieronymus Vehus über die damals nicht verglichenen Artikel weiterverhandelte, oder ob man ganz neu ansetzen musste, was die Evangelischen verlangten. Für das von Hagenau nach Worms vertagte Religionsgespräch wurden schließlich die Confessio Augustana und die Apologie als Verhandlungsgrundlagen festgelegt sowie der Kreis der je elf alt- und neugläubigen teilnahmeberechtigten Reichsstände fixiert. In Worms (28.10.1540 bis 19.01.1541) (Band 2) wurde aber erneut um Verfahrensfragen gerungen, vor allem um den Abstimmungsmodus. Dennoch trug die Wormser Versammlung viel deutlicher als ihre Vorgängerin das Gepräge eines Religionsgesprächs. Melanchthon, Bucer und die anderen in Worms anwesenden evangelischen Theologen nutzten die Zeit, die sich durch die verzögerte Anreise des kaiserlichen Orators Granvella ergab, zu internen Vorgesprächen (vgl. Bd. 2, Nr. 182-188). Gegenüber der von evangelischer Seite als Verhandlungsgrundlage eingereichten CA Variata konnten sich die katholischen Stände nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen (vgl. Bd. 2, Nr. 213-219), so dass die Verhandlungen vom kaiserlichen Orator in einen kleineren Kreis von Theologen (Bucer, Capito, Gropper, Veltwyck) verlagert wurden, um ein frühzeitiges Scheitern zu verhindern. Ergebnis dieser inoffiziellen Gespräche war der im Wormser Buch (Bd. 2, Nr. 225 f.) niedergelegte Einigungsvorschlag, der in Worms selbst aber nicht öffentlich gemacht wurde. Mitte Januar 1541 kam noch einmal Bewegung in die offiziellen Verhandlungen, als Melanchthon und Eck in ein Gespräch über die Erbsünde eintraten (vgl. Bd. 2, Nr. 117-122), das in eine Vergleichsformel mündete (Bd. 2, Nr. 114). Weitere Verhandlungen wurden auf den bevorstehenden Regensburger Reichstag verschoben.

Auch die Edition der Akten des Wormser Religionsgesprächs folgt dem oben beschriebenen Grundsatz, zu Gunsten der Wahrung des archivalischen Kontexts den chronologischen und sachlichen Zusammenhang aufzulösen. Die Folgen sind ähnliche wie in Band 1. Die wenig benutzerfreundliche Anlage, der überbordende Umfang und Mängel in der Textgestaltung beeinträchtigen die Qualität der Edition erheblich. Die Bände stellen zwar reiches neues Quellenmaterial zur Verfügung, aber wirklich gedient ist der Forschung nicht. Für die noch ausstehenden drei Bände muss das Editionskonzept gründlich überdacht und größerer Wert auf die handwerkliche Seite des Edierens gelegt werden. Nur dann werden die Akten der Reichsreligionsgespräche dazu beitragen, unser Bild von den theologischen Ausgleichsbemühungen in der Mitte des 16. Jh.s zu vervollständigen.