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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

789 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wischmeyer, Oda

Titel/Untertitel:

Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments. Hrsg. v. E.-M. Becker.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. VIII, 560 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 173. Lw. 129,00. ISBN 3-16-148411-8.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Der Aufsatzband der Erlanger Neutestamentlerin vereint recht disparate Texte, von Textanalysen und traditionsgeschichtlichen Untersuchungen über methodische Reflexionen zur Exegese, theologisch-hermeneutische Positionsbestimmungen, forschungsgeschichtliche Rückblicke und Perspektiven bis hin zu akademischen Gebrauchstexten und aktuell veranlassten, auf die kirch- liche Praxis bezogenen Stellungnahmen. Ebenso vielfältig wie die Themen sind auch die Gattungen der hier zusammengestellten Texte theologischer Fachliteratur. Sie reichen von reich mit Anmerkungen und Sekundärliteratur unterlegten wissenschaftlichen Spezialuntersuchungen über einführende und allgemeinverständliche Überblicke und Thesenreihen bis hin zu persönlich verantworteten theologischen Positionsbestimmungen und zwei Predigten. Eine kurze autobiographische Kommentierung der Vfn. führt in ihre hier gesammelten Arbeiten ein (1-11).

Unter den exegetischen Aufsätzen des Bandes werden die beiden Hauptarbeitsgebiete der Vfn. gleichwohl deutlich markiert: Ben Sira in seinem frühjüdischen Kontext (fünf Aufsätze) und die Liebe bei Paulus (sechs Aufsätze). Im strengen Sinne bisher unveröffentlicht sind freilich von den insgesamt 32 Beiträgen des Bandes lediglich zwei der wissenschaftlichen Aufsätze, dazu noch eine englische Kurzfassung eines deutsch bereits publizierten Aufsatzes, ein hermeneutischer Vortrag zu Studientagen der Erlanger Fakultät sowie einige der "kirchlichen Texte" (519); zwei weitere Aufsätze werden als "im Druck" nachgewiesen.

Der erste der bisher unveröffentlichten Aufsätze (Die Religion des Paulus. Eine Problemanzeige, 311-328) setzt sich zunächst weithin überzeugend mit dem Paulus-Bild in G. Theißens "Religion der ersten Christen" auseinander, führt dann freilich die Überlegungen weiter zu einer ihrerseits m. E. ebenfalls durchaus problematischen Positionsbestimmung des Paulus im Gegenüber zum Judentum seiner Zeit. Paulus nimmt, so die Vfn. zu Recht, "Religion ausschließlich vom jüdischen Verständnis her wahr". "Sein primärer Maßstab für Religion ist der Gott Israels, der eine und wahre." (322) Auf Grund des Damaskusgeschehens habe jedoch zwar "weder seine Religion, das Judentum, noch seine individuelle Religiosität als Pharisäer ... von seiner Seite aus eine Korrektur oder Veränderung" erfahren (323), aber Paulus habe doch damit und seither eine "Überschreitung von Religion ... eine Überschreitung der Religion in der von Paulus allein akzeptierten Gestalt des Judentums" vollzogen, freilich "ohne daß sogleich der Eintritt oder Übertritt in eine andere Religion im Blick wäre" (325; Hervorhebungen im Original; vgl. auch 326: "Übersteigung der Religion des Judentums"). Deshalb möchte die Vfn. die paulinische Position nach Damaskus als "Distanz zur Religion des Judentums verstanden" wissen "und als gleichzeitiger Eintritt nicht in eine andere bessere Religion, sondern in den direkten Wirkungsbereich Gottes" (326). Weder scheinen mir in solchen Formulierungen die theologischen und religionsphilosophischen Prämissen geklärt, noch entsprechen sie dem religionsgeschichtlichen Befund, der sich aus den paulinischen Zeugnissen in ihrem frühjüdischen Kontext ergibt.

Der zweite hier erstmals publizierte Beitrag (Probleme des gegenwärtigen Mythosbegriffs aus neutestamentlicher Sicht, 361- 388) besteht zum größeren Teil aus einer sehr ausführlichen Erhebung zur Definition des Mythosbegriffs in theologischen, altertums-, literatur- und religionswissenschaftlichen sowie philosophischen Nachschlagewerken. Daran schließt sich der knappe Versuch einer eigenen "Meta-Begriffsbestimmung" an (382), der freilich eher zu einer recht ausführlichen Umschreibung all dessen gerät, was in der multidisziplinären Forschung unter dem Mythosbegriff subsumiert werden kann. Schließlich möchte die Vfn. darlegen, wie sich "dieser gegenwärtige, weit entschränkte Mythosbegriff auf die neutestamentlichen Schriften anwenden" lässt (384), was sie mit einigen Überlegungen zur Interpretation der Jesus-Erzählungen der neutestamentlichen Evangelien dokumentiert, die sie mit Theißen und U. Luz "als christliche Neuschöpfung auf dem Fundament des israelitisch-frühjüdischen Gottesmythos" interpretieren will (386).