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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

784 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Meißner, Joachim

Titel/Untertitel:

Das Kommen der Herrlichkeit. Eine Neuinterpretation von Röm 8,14-30.

Verlag:

Würzburg: Echter 2003. 422 S. gr.8 = Forschung zur Bibel, 100. Kart. 28,80. ISBN 3-429-02527-3.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Dieses voluminöse Buch von 422 Seiten nimmt den denkbar schmalen Ausgangspunkt bei einer von der mehrheitlich vertretenen Position abweichenden Übersetzung des Wortes apekdechesthai in Röm 8,23, um von hier ausgehend eine Neuinterpretation von Röm 8,14-30 vorzulegen. Mutig! Das Problem der bisherigen Auslegungen besteht nach Meißner darin, "dass das Heil der Gläubigen in den Versen 14-30 eine unterschiedliche und sich widersprechende zeitliche Einordnung erfährt" (12). M. will mit seiner Untersuchung zeigen, "dass apekdechesthai nicht nur erwarten, sondern ebenso auch empfangen bedeuten kann". "Damit wäre ausgedrückt, dass den Gläubigen jetzt schon die Herrlichkeit gegeben wäre, was V. 30 entspricht" (14). M. hat in dieser Dissertation eine Anregung Norbert Baumerts aufgenommen und ausgearbeitet (15, Anm. 13). Vorgehen und Methode der Untersuchung (17-19) bleiben sprachlich unpräzise und sachlich problematisch. Als Voraussetzung der Untersuchung soll der Nachweis erbracht werden, "dass apekdechesthai tatsächlich aufnehmen bedeuten kann" (17). Verifizieren lasse sich diese Interpretation, "wenn sich zeigen lässt, dass das erzielte Textverständnis sich auch anbietet, d.h. wenn sich der Text damit leichter verstehen lässt" (18). Als methodische Voraussetzung wird daher abschließend genannt, "dass man einen möglichen Lösungsweg erahnt" (18).

Apekdechesthai wird nach M. in den Lexika mit a) erwarten/sehnlichst erwarten, b) verstehen/auffassen, c) falsch verstehen angegeben, "wobei deutlich wird, dass erwarten die verbreitetste Bedeutung darstellt" (32). Leider werden in keinem Fall die jeweiligen Lexika mit Verfassernamen genannt. Bei Bauer-Aland finde ich ausschließlich erwarten, bei Menge-Güthling ungeduldig oder standhaft erwarten. Schon der Blick auf die Bezeugung des Bikompositums außerhalb der paulinischen Belege wirkt ernüchternd: "Es finden sich einige Belege, die eher die Bedeutung empfangen besitzen als erwarten ...". "Gleichzeitig zeigt sich aber, dass das Verb häufiger in der Bedeutung erwarten verwendet worden ist" (41). Es handelt sich hierbei um wenige, vor allem altkirchliche Belege und um einen Beleg aus der Historia Alexandri magni 21,52. Keiner der diskutierten Belege hat mich dahingehend überzeugt, apekdechesthai im jeweiligen Kontext mit aufnehmen/empfangen wiedergeben zu müssen. Überdies ist bei den diskutierten Textpassagen aus den Schriften des Makarios/ Symeon, wie M. mit Recht anspricht, "die Theologie des Makarios/Symeon, der sehr stark die Gegenwart als Heilszeit betont" (37), als interpretativer Rahmen zu bedenken. Im Alexanderroman scheint mir die präsentische Auslegung abwegig, geht es doch darum, dass Menschen in der Unterwelt als einer Zwischenstation die für sie bereitete Strafe erwarten (41).

Die Exegese der paulinischen Belege (1Kor 1,7; Gal 5,5 und Phil 3,20) zeigt nach M., dass "apekdechesthai eher empfangen" bedeutet. Dies steht in einem großen, ja geradezu absoluten Gegensatz zu den jeweiligen Auslegungen in den führenden Kommentaren zu den jeweiligen Stellen (etwa Schrage, Lindemann, Merklein zu 1Kor; Betz, Mußner zu Gal; Gnilka, Müller zu Phil) und verlangt nach einer Übersetzung, die den Text geradezu verfremdet: "Wir nämlich nehmen durch Geist aus Trauen ein Hoffnungsgut von Gerechtigkeit auf" (57 zu Gal 5,5). M. scheint mir auch eine Fehlinterpretation der drei unstrittig eschatologisch bzw. apokalyptisch ausgerichteten Belege einzuschlagen, wenn er betont, "dass das, was aufgenommen wird, ein geistliches Gut ist und dass ein innerer Vorgang des Aufnehmens angezielt ist" (78). Ganz problematisch wird der philologische Einstieg schließlich, wenn M. es für wahrscheinlich erachtet, "dass der Apostel das Verb als erster in dieser theologischen Bedeutung benutzt hat und insofern das Verb in dieser Bedeutung geschaffen hat" (78).

M.s Arbeit bietet im Weiteren drei Seiten zum Abfassungszweck des Römerbriefs, Überlegungen zur Struktur und zum Gedankengang von Röm 5-8 und sodann eine durchgehende Exegese von Röm 8,10-30 (117-376). Hierbei zielt M.s Arbeit auf den Nachweis, dass die Wirklichkeit des neuen Lebens auch den Leib betrifft und dass der Leib geradezu der Ort ist, an dem sich die Verherrlichung gegenwärtig und nicht erst zukünftig durchsetzt. Ich frage, ob nicht über das Verhältnis von Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit des neuen Lebens in Röm 8 nachgedacht werden kann und muss, ohne diese Frage mit der für mich ausgesprochen problematischen philologischen Erklärung des Bikompositums apekdechesthai zu verbinden? M. interpretiert Röm 8 von paulinischen Verwandlungsaussagen her (2Kor 3,18; 4,10-12) und bekräftigt ein Verständnis von Eschatologie in einem prozesshaften Sinn als zunehmende Verherrlichung. Ich nehme das Ergebnis vorweg.

Nach M. ist "das Thema von Röm 8,14-30 ... nicht die Erwartung der Gläubigen auf das endzeitliche Heil. Vielmehr geht es dem Apostel darum, den Gläubigen ihren Stand als Kinder Gottes auch in Bezug auf die Leiden zu versichern" (389). Die Hoffnung richtet sich demnach nicht auf ein bestimmtes Ende, sondern auf "das gegenwärtige Vertrauen auf Gott und sein Werk" (390). M. wirbt abschließend für ein spirituelles Verständnis von Sohnschaft. "Dann bedeutet Erlösung des Leibes die Erlösung des gottfernen Menschseins und beinhaltet, in die Sohnschaft und in die Herrlichkeit Gottes zu kommen. Es bedeutet, gleichgestaltet zu werden dem Sohn Gottes und an dessen Sohnsein, seiner Beziehung zum Vater und an seiner Herrlichkeit zu partizipieren" (390). Nicht Loslösung vom Leib, sondern Erlösung des Leibes (296)! Die philologische Frage nach dem angemessenen Verständnis von apekdechesthai bestimmt in diesem Teil die Interpretation auch nicht mehr. So fragt M. etwa, ob sich von Röm 8,11 her "schon die Weichen für das Verständnis von V. 23 stellen lassen" (117). Die Futurform zoopoiesai stehe dem nicht entgegen. M. interpretiert die Einwohnung des Geistes und die Lebendigmachung der sterblichen Leiber als parallele Vorgänge (140), obwohl Paulus hier betont einen präsentischen und einen futurischen Aspekt voneinander abhebt.

Die Arbeit muss sich an dem Maßstab messen lassen, den sie vorgegeben hat. Der Beweis der angekündigten These einer Neuinterpretation von Röm 8, die sich aus einem anderen als üblichen Verständnis von apekdechesthai notwendig ergibt, scheint mir missglückt. Das Nachdenken über das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft der christlichen Hoffnung in Röm8 wird durch diesen Ansatz nicht befördert, wohl aber durch etliche Aspekte, die M. in der durchgehenden Exegese von Röm 8 anspricht.